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Literatur

Ein royales Leben und eine gefühlte Wahrheit

Donat Blum schreibt in unaufgeregtem, authentischen Ton über (s)eine Grossmutter, über die Liebe in all ihren Facetten, über Schmerz, Schönheit und die Suche nach Verbundenheit. Ein dichtes, berührendes Debüt ist «Opoe» – am Puls gefühlter Wahrheit.

Donat Blum (32 Jahre): «Dürfen sich zwei Männer lieben? Die Frage stelle ich gar nicht.» Bild: zvg / Melanie Hauke

Clara Gauthey


Nein, diese Story von Donat Blum ist nichts Besonderes. Über die Grosseltern schreiben, das haben schliesslich schon viele vor ihm getan, eine ganze Biege von Enkelliteratur steht in den Regalen. Und doch hat dieses Debüt mit dem seltsamen Namen einen besonderen Reiz – sogar obwohl, oder gerade eben, weil die Geschichte der Grossmutter mütterlicherseits gar nicht unbedingt eine besonders aufsehenerregende ist.

Der Tod eines Familienmitglieds, das uns nahesteht, über das wir aber meist kaum etwas wissen, bedeutet das Ende direkter Zeugenschaft. Nähe und Fremde liegen dann offenbarer denn je im Widerstreit.Die Zugehörigkeit zu einem Geheimnis, das Hörensagen per Familienflurfunk, vermischt mit dem «Mysterium Blutsverwandtschaft»: Anlass genug, eine Suche zu beginnen. Und so fragt sich auch der Autor Donat Blum: Wer mag diese Frau, die als junge Frau aus den Niederlanden in die Schweiz kam und zeitlebens nur gebrochen Deutsch sprach, gewesen sein? Welche Geheimnisse barg das Leben der Grossmutter? Und was hat das mit mir zu tun? «Opoe» nennen die Niederländer ihr Grosi, «Opoe», die «Oma», die eigentlich Zusanna heisst.


Das Ich, der Autor, die Wahrheit
Der Ich-Erzähler selbst, das ist vielleicht fast die grösste Irritation, heisst wie der Autor: Donat. Zugegeben, eine kleine «Provokation», sagt dieser, denn hundertprozentige familienhistorische Realität ist sein Roman natürlich nicht. Per Zufall ist Donat Blum, der teilweise in Berlin lebt, wieder einmal in der Stadt Biel anzutreffen, die er aus der Zeit am Schweizerischen Literaturinstitut kennt, das er 2015 abschloss. Eine Stadt, die ihm immer noch viel bedeutet. Und für ihn: «Vielleicht die Einzige in der Schweiz, in der man etwas mehr als anderswo so sein kann, wie man ist.»
Dass der Autor sich also sozusagen zur dokumentarischenZunft aufschwingt, indem er sich nicht hinter einem auktorialen Erzähler versteckt, lässt umso stärker die Frage nach der Wahrheit aufkommen.


Was berührt, bleibt
Ob ihn seine Grossmutter tatsächlich gesiezt hat? Ob er doch noch irgendwo jüdische Wurzeln gefunden habe? Ob man mal diese lasziven Fotos von seinem schwulen Fotografenfreund sehen könne? Und ob er tatsächlich Briefe seiner Grossmutter gefunden habe, in denen sie von diversen Abtreibungen berichtet? Genau genommen besagt aber schon der Epilog, um welche Art von Wahrheit es in «Opoe» geht: «Keine von Fakten, sondern eine ähnlich derjenigen von Träumen. Oder vonOpern, die gebaut werden sollen.» Eine gefühlte Wahrheit.
Die Wahrheit der Gefühle ist ihm eine wichtige – was berührt, bleibt. Von der «ekstatischen Wahrheit» spricht er, ein Begriff, den der Filmemacher Werner Herzog geprägt hat, der sagte, eine «tiefere Schicht von Wahrheit» lasse sich nur durch Stilisierung, Inszenierung und Erfindung erreichen. Hören und Sehen als Diener des Willens. Die Welt als Wille und Vorstellung: Und so erhält in diesemBuch die poetische Wahrheit Platz, wobei aber der pseudofaktische Rahmen eine bestimmte Dynamik aufkommen lässt. «Ich wollte alles raushaben, was mich nicht berührt hat. Rein durfte in das Buch nur, was einen Anker in mir drin hat, darum ist es auch nicht so besonders dick geworden.»


Schwuler Sex, schwule Liebe
Und einen Anker hat in diesem Autor das, was schön ist. Eine Natur, die universelle Teilhabe vorgibt, eine Teilhabe auch über Traditionen, Familiengeschichten, über Es geht um Liebe, in all ihren Facetten. Im Falle des Autors sind es schwule Beziehungen, aber auch die Liebe zu Freunden, der Mutter, (die «echte» hat das neue Buch noch gar nicht ganz gelesen) und natürlich auch zur Grossmutter, so fremd sie auch mitunter auftrat. Die homosexuellen Partnerschaften beschreibt Donat Blum unbefangen imWechsel mit Rückblenden auf das Leben der Grossmutter und bringt sie uns derart natürlich und leicht nahe, so emotional und erfahrbar, dass uns eigentlich gar nicht auffällt, dass es eben keine heterosexuellen Liebschaften sind.
Nun, vielleicht geht das auch nur den Leserinnen so, während sich manch männlicher Leser mit Berührungsangst von homosexuellen Sexszenen abwenden wird. Sei’s drum, ein Grossteil der literarischen Leserschaft sind ja ohnehin Frauen, sagt dieStatistik. Und schliesslich ist es längst nicht nur Sexuelles, um das es geht, sondern eben auch die Liebe im Kopf.


Löcher in den Händen
Anekdoten mit der Grossmutter werden im Rückblick bedeutsam. Wie sie die Beine übereinanderschlug, so mit der Hand zwischen den Kniekehlen vergraben: ganz wie er. Wie sie unter der Liebschaft ihres Mannes, unter Konventionen, ihrer Fremdheit im Ausland litt. Wie sie immer anspruchsloser wurde imAlter, sie, die einst das Geld mit «Löchern in beiden Händen» ausgab. Wie er ihr schliesslich beisteht, als sie im Pflegeheim einen Nervenzusammenbruch erleidet. Wie er an ihrem Bett sitzt und singt, als ihm keine Worte mehr einfallen. Ihr Freund ist. Wie er schliesslich um ein «vergebenes Leben» trauert, eines, das als «royaal leven» angefangen hatte. Wie er seine eigene Liebe mühsam unter möglichen Lieben findet – vielleicht.

 

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Der Autor

- Donat Blum, geboren 1986 in Schaffhausen.

- Interreligiöse Studien an der Universität Bern; Arbeit bei einem Catering; 2008 bis 2013 Co-Präsident des lesbisch-schwulen Berner Filmfestivals «Queersicht»

- 2011 bis 2015 Studium am Schweizerischen Literaturinstitut Biel und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig

- Kolumnen fürs «Bieler Tagblatt», Moderation diverser Literatur-Talks, Mit-Initiator, Veranstalter und Moderator der Reihe Skriptor an den Solothurner Literaturtagen gau

Stichwörter: Kultur, Literatur, Donat Blum, Opoe

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