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Ausstellung

Ein Stein sagt «Hi!»

Kann Materie ein Speichermedium für die Vergangenheit sein? Solchen Fragen widmet sich die aktuelle Installation im KlHaus in Biel – und bald folgen weitere Fragen.

Ein Gruss wie eine Sprechblase: «Countless Ears» von Zora Berweger. Bild: zvg/Rudolf Steiner

Tobias Graden

Ein Stein am Boden in der Mitte. Eine Leuchtschrift in der Ecke an der Wand. «Hi!», grüsst sie in poppiger Schrift. Das ist alles, was an Material zu sehen ist von Zora Berwegers Installation «Countless Ears» (ungefähr: «Unzählige Ohren»), die derzeit im KlHaus vor dem Centre Pasquart ausgestellt ist.

Auf den ersten Blick gar simpel, eröffnet das Werk einen umso weiteren Raum für Fragen und Gedanken. Und: «Countless Ears» ist in Bezug zu setzen zu «Lifetime Europe», dem geschichtsfreien Raum in Leipzig, den das Bieler Künstlerduo Haus am Gern (Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner) in der Laube einer Kleingartenanlage eingerichtet hat. In dem Gebäude herrschen Reinraumbedingungen, es ist abgeriegelt – darin passiert nichts. Der Raum ist also geschichtsfrei.

 

Gegroundete Materie

In ihrer stillen Installation geht Berweger das Thema sozusagen von der anderen Seite her an. Der Stein ist wie gegroundete Materie mit einem eigenen Zeitbegriff; er ist offenkundig viel älter als alles um ihn herum, näherungsweise könnte man sagen: Ihn gibt es schon seit Ewigkeiten. Er bleibt zwar offenkundig stumm, was aber nicht heissen muss, dass sich um ihn keine Geschichten ranken, dass ihm nicht doch Geschichte innewohnen kann. Wie eine Sprechblase in einem Comic macht das «Hi!» an der Wand darauf aufmerksam. «Erzählt Materie etwas – für sich selbst? Wie vermittelt sie sich – wie kommt sie zu Bewusstsein? Durch uns Menschen? Was von uns gehört nicht selbst zur Materie? Und schliesslich: Was ist das Non-Physische?»

Letztlich ist «Countless Ears» eine Einladung, über solche Fragen, wie sie im Begleittext zur Installation formuliert sind, nachzudenken. Das KlHaus werde so zu einem «Theaterraum mit Dialogbruchstücken». Und so geht es dann auch um Fragen, die sich in der bildenden Kunst immer wieder stellen, beispielsweise jene, was zwischen Werk und Betrachtenden passiert: «Was ist an diesem bestimmten Ort anwesend, was kommuniziert – wie?»

 

Viel, aber auch nicht

Zora Berweger ist 1981 in Bern geboren, sie lebt seit 2006 in Leipzig – zusammen mit ihrem Partner Stefan Guggisberg, einem gebürtigen Thuner. Beide sind Kunstschaffende und wie Haus am Gern ein Künstlerpaar – die Bande zwischen Biel und Leipzig bestehen schon lange, und die Beziehung zu Biel hat Guggisberg, der hier einst die Grafikfachklasse der Schule für Gestaltung absolviert hatte, auch aufrechterhalten. 2019 beispielsweise waren Berweger und Guggisberg zusammen an der Cantonale im Kunsthaus Pasquart vertreten.

Fürs KlHaus haben die beiden aber unterschiedliche Arbeiten gemacht. Kaum feiert nämlich Berwegers Installation am nächsten Donnerstag Finissage, folgt auch schon die Vernissage für Guggisberg am Samstag. Er zeigt Bilder unter dem Titel «Raum, Ereignis, Ort» – eine Werkbezeichnung, die bewusst wie eine Leerstelle wirkt, die erst noch mit konkretem Inhalt gefüllt werden muss. Ähnlich funktionieren seine Bilder: Sie zeigen viel, aber eben auch nicht. Da sind zum Beispiel ein Boden und eine Wand – also ein Raum, scheinbar. Eine Frau bewegt sich gerade aus ihm weg, sie ist am Bildrand nur noch halb zu sehen. In der freien Fläche sind Skizzen von Köpfen, durchzogen von Linien. Hat hier jemand an die Wand gekritzelt? Und da ist ein Schattenspiel, wobei nicht richtig klar wird, woher die Lichtquelle stammt.

 

Fragen zum Raum

Alles bleibt im Ungefähren. Das gilt nicht nur für das Motiv, sondern auch für das Bild an sich. Denn was aussieht wie eine verschwommene Fotografie, ist in Wahrheit eine Zeichnung – auf dem iPad digital angefertigt. Guggisberg verwendet keine vorgefertigten Fragmente, sondern konstruiert seine Bilder in höchstmöglicher Auflösung Schicht für Schicht von Grund auf. Guggisberg verfolge einen fotografischen Ansatz, sagt Rudolf Steiner, der selber auch fotografisch tätig ist, doch er bleibe mit seinen Zeichnungen bewusst in der Unschärfe. Und auch sie eröffnen einen Frageraum, stellen Fragen zum Raum: In welchem Raum sind diese Bilder, wenn sie entstehen? Welche Form hat dieser Raum? Was ist der Bildraum an sich? Steiner zu bedenken, dass diese Bilder zwar eine Raumtiefe aufweisen, aber es ist sozusagen keine reale, «sie ist rein fotografisch gedacht». Die Materie selber kommt erst ins Spiel, wenn die Bilder ausgedruckt werden.

Info: «Countless Ears» noch bis Donnerstag; «Raum, Ereignis, Ort» ab Samstag, Eröffnung um 11 Uhr. KlHaus beim Kunsthaus Pasquart, Biel.

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