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Biel

Eine ganz und gar eigene Welt

Die Tänzerin und Choreografin Belinda Winkelmann lebt in Deutschland und gastiert morgen am Rennweg 26. Ihre Performance «Temporary Illusions» widmet sich der Heimat – und damit auch dem Seeland.

Belinda Winkelmann tanzt Sehnsucht. Bild: zvg
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Annelise Alder

Am Anfang stand eine plötzlich auftretende tiefe Sehnsucht nach Heimat. «Ich schrieb E-Mails an all meine Freunde und Bekannte. Ich wollte von ihnen wissen, was für sie Heimat bedeutet», sagt Belinda Winkelmann. Die Tänzerin und Choreografin, die in Siselen auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, lebt seit 2014 in Freiburg in Breisgau, fern von Freundinnen und Familie, vom See, den Hügelketten des Jura und der Stadt Biel, in der sie während zehn Jahren gearbeitet hat. «Heimat, das sind für mich Kindheitserinnerungen, aber auch die Landschaft des Seelands und mir nahestehende Menschen. Mich hat interessiert, was andere Menschen mit dem Begriff verbinden.»

Eine Sehnsucht, die nicht vergeht
Auf das Nachdenken folgte eine künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Sehnsuchtsgefühl. Belinda Winkelmann tat dies zusammen mit Ewelina Kotwa. Auch sie ist Tänzerin und Choreographin. Die beiden bilden zusammen das Tanzduo twone Company. Ewelina Kotwa ist gebürtige Polin. Sie lebt aber bereits seit 16 Jahren nicht mehr im Land, wo sie geboren wurde. Sie besucht ihre Eltern und Geschwister zwar regelmässig. «Doch auch sie weiss, wie sich Sehnsucht nach Heimat anfühlt», sagt Winkelmann.

Bei ihrer Kollegin habe das Thema auch noch weitere Assoziationen ausgelöst. Für Ewelina Kotwa, die vor wenigen Jahren ein Kind geboren hat, sei der Mutterleib so etwas wie die Urheimat. Mit der Geburt verlasse das Kind diesen Hort der Geborgenheit. Die Sehnsucht danach sei deshalb ständige Begleiterin des Lebens.

Resultat dieser kreativen Auseinandersetzung zu Trennung, Schmerz und Sehnsucht ist eine abendfüllende Tanzperformance mit dem Titel «Temporary Illusions». Sie feierte Premiere in Freiburg in Breisgau im Jahr 2019 und sie wurde von der lokalen Presse begeistert aufgenommen. Letztes Jahr hätte das Stück in Biel aufgeführt werden sollen, doch Corona hat dies verhindert. Morgen ist es endlich so weit.

Seit der Premiere sind nun bereits zwei Jahre vergangen. Hat sich das Stück seither weiterentwickelt? «Ja, natürlich. Wir stehen heute an einem anderen Punkt als damals. Dazwischen haben wir neue Arbeiten entwickelt, welche ihre Spuren auch in «Temporary Illusions» hinterlassen haben.» Aber aufs Ganze gesehen habe sie und Kotwa nur kleine Änderungen vorgenommen.

Über Umwege zum kreativen Tanz
Belinda Winkelmann ist keine klassisch ausgebildete Tänzerin. Ihr künstlerischer Schwerpunkt liegt in der Improvisation und in der Performance. Auch der Schwerpunkt der Ausbildung in Freiburg lag auf Improvisation und Komposition.

«Von uns wurde deshalb sehr viel kreative Eigenleistung verlangt.» Ohnehin weist die gebürtige Seeländerin einen ungewöhnlichen Werdegang aus. Zunächst besuchte sie das Lehrerseminar, anschliessend liess sie sich in Freiburg zur Heilpädagogin ausbilden.

Den Anstoss zu einer Tanzkarriere gab ihr die Bieler Choreografin und Tänzerin Susanne Müller Nelson, die in Nidau unter anderem Kurse für zeitgenössischen Tanz anbietet. In Freiburg in Breisgau, wo Belinda Winkelmann ihre Tanzausbildung absolvierte und wo sie heute als freischaffende Tänzerin und Choreografin lebt, begegnete sie Ewelina Kotwa. Auch sie ist über Umwege zum zeitgenössischen Tanz gestossen. Die Polin hat zunächst in Mathematik promoviert, bevor sie sich ausschliesslich dem Tanz verschrieb.

«Wir ergänzen uns perfekt», sagt Winkelmann. Sie selber sei als Heilpädagogin gegenüber allem, was nicht der Norm entspreche, offen. Derweil ihre Kollegin als Mathematikerin ein ausgeprägtes Bewusstsein für Räumlichkeiten und rhythmische Strukturen mitbringe.

Meditative Körpersprache
So verschieden ihr Werdegang, so eint die beiden Performerinnen das Bedürfnis, einer inneren Betroffenheit zu künstlerischem Ausdruck zu verhelfen. Sehnsucht nach Heimat, Mutter Erde, der Zyklus der Frau: Das sind Themen, mit welchen sich die beiden Künstlerinnen in den letzten Jahren intensiv beschäftigt haben. «Die Themen ergänzen sich gegenseitig und haben alle viel kreatives Potenzial», sagt Winkelmann. Musik bildet in den Performances, die daraus entstehen, einen wichtigen Part.

Auch rein äusserlich sind sich die beiden Frauen ähnlich. «Wir sind uns in der Erarbeitung von ‹Temporary Illusions› auch physisch sehr nahegekommen.» Im Trailer zum Stück ist zu sehen, wie sich die Körper der beiden Performerinnen zu Beginn zu einer einzigen Einheit verschmelzen. «Wir bilden eine Art Urzelle, die dann, wie bei einer Zellteilung, auseinanderbricht.» Passend dazu erklingt die «Schöpfung» von Joseph Haydn.

So wie entstehendes Leben einem eigenen gemächlichen Duktus folgt, so wirken die Bewegungsabläufe der beiden Tänzerinnen: Ruhig, fast meditativ. Die abstrakte und dennoch ausdrucksstarke Körpersprache der beiden Bewegungskünstlerinnen entfaltet sich auf langsame und organische Weise. Sie lässt dem Publikum viel Raum für eigene Assoziationen, was durchaus beabsichtigt ist. «Wir vollen dem Publikum nicht vorschreiben, was es zu sehen hat.» Doch wissen die beiden Performerinnen aufgrund von Rückmeldungen, dass das Publikum in eine ganz und gar eigene Welt eintauchen wird.

Info: Die Vorstellung von «Temporary Illusions» findet morgen Donnerstag am Rennweg 26 um 20 Uhr statt. Eine Reservation per Mail an twOne@posteo.de ist erwünscht. Weitere Informationen sind der Website des Veranstalters www.rennweg26.ch zu entnehmen.

Stichwörter: Tanz, Kultur, Sehnsuch

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