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Ausstellung

Eine Reise in Emma Talbot

Im Kunsthaus Pasquart erzählt die britische Künstlerin Emma Talbot von den Erkundungen ihrer inneren Welten. Die Genferin Vanessa Billy kontrastiert das Feinstoffliche mit viel Material.

Emma Talbot zeigt Szenen aus ihren Traumlandschaften. copyright: yann staffelbach/bieler tagblatt
Tobias Graden
 
Was wohl eine Psychologin sagen würde, ein Traumdeuter? Auf den ersten Blick jedenfalls wirken die Figuren von Emma Talbot (*1969) erst mal eher etwas unheimlich, wie sie sich in ihren grossen, farbenfrohen Bildern tummeln; wie sie als Puppen in ihren Skulpturen (die sie als «3-D-Zeichnungen» bezeichnet) kauern; wie sie durch ihre Animationen huschen. Sie tragen langes Haar, das ihnen meist das Gesicht verdeckt, so ähnlich wie bei der jeweils Unheil ankündenden Mädchenfigur im Horrorfilm «The Ring». Sie haben kein Gesicht, manchmal ist nicht ganz klar, wie viele Glieder sie haben, sie verknäueln sich bisweilen und sehen dann aus wie eine Kreuzung zwischen Mensch und Insekt. Und die Landschaften, durch die sie streifen, sind zwar überaus farbenfroh, aber auch sehr unbestimmt; da ist wenig Gegenständliches, woran sie sich orientieren könnten – bisweilen reisen sie gar in den Kopf des Todes, durchs Ohr schlüpfen sie hinein. Die kurzen Texte, die Emma Talbot in die Sujets hineinstellt, verdeutlichen dann zusätzlich, dass ihre Figuren nicht  auf einem unbeschwertem Freizeitausflug sind. Vielmehr sind es Fragen und Feststellungen, die auf eine Verlorenheit oder zumindest ein Suchen hindeuten:«Woher kommen wir?», steht da beispielsweise auf englisch, «eine Explosion / vor der Erinnerung / natürliche Energie», oder: «Freigelassen / ins Chaos / wurden wir alle geboren / aber wo hinein?»
 
Energien in der Erde
Nun, diese Figuren, das sind alles Abbilder der Künstlerin selber. Und diese beantwortet die Frage, ob die Figuren denn glücklich sind oder nicht, ob die Landschaften lieblich sind oder furchteinflössend, mit einem entschiedenen «weder noch». Denn darum geht es nicht. Emma Talbot geht tiefer, ins Existenzielle hinein. «Wir glauben, dass das, was wir sehen, real ist», sagt Talbot dann beispielsweise, «aber wir alle werden wieder vergehen.» Oder: «Es geht bisweilen durchaus auch um Trauer. Aber ich sehe Trauer nicht als etwas Negatives.» 
Wenn sich Emma Talbot an ein neues Werk macht, dann zeichnet sie erst mal drei, vier Tage lang. Gänzlich intuitiv, sie bringt spontan zu Papier, was zu Papier gebracht werden will. Sie ist dann in einem Zustand, der zwar nicht gerade mit einer Hypnose oder Trance beschrieben werden kann, aber es doch erlaubt, in ihr Unbewusstes einzutauchen, wie sie sagt. Sie bildet also ihre inneren Traumlandschaften ab, die Schau heisst «Ghost Calls and Meditations». 
Diese Zeichnungen – zahlreiche davon flankieren im Pasquart an den Wänden die grossformatigen Werke, die bisweilen mitten im Raum aufgehängt sind – dienen als Skizzen, als Vorlage für ihre Bilder, die sie auf Seide malt, aus mehreren einzelnen «Blättern» dann zusammensetzt, bis sie schier monumental ganze Wände füllen. Sie wirken aber nicht erschlagend, denn oft ist da eine feine Verspieltheit, eine märchenhafte Poesie, und die an den Jugendstil erinnernde Ornamentik bringt auch eine Leichtigkeit in die Bilder. Gleichwohl, ernst genug sind die Themen dann schon, die Emma Talbot verhandelt. Die heutige Welt scheint ihr «screwed up» (ruiniert), der Mensch bringt sie mit seinem Beschleunigungswahn bis zum Crash, und statt dass wir uns wieder mit der Erde verbinden würden, pflegen wir ein oberflächliches, artifizielles Beziehungsnetzwerk und verlieren uns letztlich in der Einsamkeit. Das ist dann in der Aussage bisweilen etwas plakativ und auch plump, etwa wenn Talbot in der Videoanimation «When Screens Break» den exzessiven Handygebrauch anprangert. Einnehmender wirkt ihre Kunst, wenn sie geheimnisvoll bleibt, wenn sie sich zur Faszination fürs Feinstoffliche bekennt: «In der Erde sind Energien vorhanden», sagt Talbot, «in der modernen Zeit nehmen wir diese aber nicht mehr wahr. Wir müssen sie wiederfinden.» 
Das mutet etwas esoterisch an, und die skulpturalen Arbeiten aus bemaltem Papiermaché und buntem Stoff wecken Erinnerungen an den Weihnachtsbasar der Steinerschule. Und doch ist Emma Talbots Verständnis vom Leben als Kreislauf, ihre Darstellung des Wechselspiels von Werden und Vergehen, die Akzeptanz des Todes als Teil einer ewigen Reise auch für die Betrachter nicht nur ein Trip in die Innenwelten der Künstlerin, sondern auch ein weiser Aufruf an die Menschen, ihre Position im grossen Ganzen nicht zu überschätzen, gerade in der heutigen Zeit. 
 
Eine 60 Meter lange Reifenschlange
Denn der Mensch in der heutigen Zeit, der hinterlässt schon heftig Spuren, das macht die Ausstellung «We Becom» von Vanessa Billy (*1978) klar. Die Genferin macht mit ihrer Kunst eine ähnliche Aussage, kontrastiert im Pasquart aber die feinstofflichen Welten von Emma Talbot mit ganz viel Material, was besonders in der Salle Poma zur Geltung kommt, wo Billy grosse Objekte platziert hat, die sie fast allesamt für die Schau in Biel geschaffen hat. Wussten Sie beispielsweise, dass sich ein Traktorreifen so aufschneiden lässt, dass daraus eine 60 Meter lange Schlange entsteht? «60 Meter, das ist ganz schön viel», sagt die Künstlerin, die darob selber gestaunt hat. 
Der Gegensatz zwischen ihren überaus handfesten Werken und der Fragilität von Emma Talbot zeigt sich dabei schon vor dem Eingang respektive im Foyer des Kunsthauses. Draussen hat Vanessa Billy grosse rostige Mehrschalengreifer platziert, also Werkzeuge, die Baumstämme ergreifen können – während die Britin sich damit begnügt hat, zwei kleine Zeichnungen mit Reissnägeln an die Wand zu heften. Zum Kunstwerk umgewandelt nennt Billy die metallenen Ungetüme «Claws», Klauen also, und sie wirken, als gingen sie gleich zum Angriff über. Auch in der Salle Poma hat es noch welche. Ihre Masse heftet sie an den Boden, während das Werk «Bales» von der Decke baumelt. Schier erschlagend jedoch auch dieses: Unzählige Vogelfedern hat Vanessa Billy gesammelt und sie in zwei Nylonnetze gesteckt, bis diese zu Kugeln mit fast anderthalb Metern Durchmesser angewachsen sind. 
Die Aussage dabei ist eine ähnliche wie bei den «Cow Donuts», diesen aufgeblasenen Traktorschläuchen, die mit Kuhfell umspannt sind: Wie der Mensch die Natur konsumiert, und sei es bloss zur Aufnahme von Proteinen als Nahrung, das sei schrecklich. Mit ihren Werken wolle sie den Klimawandel «materialisieren», ihn nicht mittels Informationen intellektuell thematisieren, sondern ihn über das Material sinnlich zugänglich machen – mittels Werken, die so ungewöhnliche Form annehmen, dass sie sofort ins Ausge springen. So wie «Chenille» («Raupe»), ein Silikonabguss eines ausgewalzten Traktorreifens, der mit seinen sieben Metern Länge wie ein unheimlich überdimensionierter Tausendfüssler am Boden lauert. 
Als Gleichzeitigkeit von Utopie und Dystopie beschreibt Pasquart-Direktorin Felicity Lunn das eigentümliche Ensemble. Sie habe versucht, sich eine Naturlandschaft vorzustellen, die durch das Wirken des Menschen seiner Kontrolle entglitten sei, sagt die Künstlerin. Für jene, denen dies zu subtil erscheint, gibt es noch das rostige Ölfass in der Ecke. Das Werk heisst «Empty the Earth to Fill the Sky» («Die Erde entleeren, um den Himmel zu füllen») und beinhaltet auch eine Nebelmaschine. Wird diese angeworfen und wabert der Rauch durch den Raum, verwandelt sich die Salle Poma endgültig in eine Endzeitlandschaft.  
 
Info: Kunsthaus Pasquart, Biel, bis 21. November. Vernissage heute ab 17 Uhr. Künstlerinnengespräch mit Emma Talbot morgen um 14 Uhr, mit Vanessa Billy am 28. Oktober. 

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