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Biel

Engels Flügel

Seit einem Jahr spielt der Pianist Nicolas Engel auf der Strasse und sammelt Geld für einen Steinway-Flügel. Morgen spielt er erstmals auf dem Wunschmodell.

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Vera Urweider

31 620.15 – das ist die Zahl, die zurzeit Nicolas Engels Webseite ziert. Es ist auch die Summe, die der Bieler Pianist mit seinem Klavier in 141 Tagen auf Schweizer Strassen erspielt hat. Und es ist ein Drittel davon, was er für seinen grossen Traum benötigt: einen eigenen Flügel von Steinway & Sons im Wert von 89000 Franken.

Es ist ein waghalsiges Projekt, das der 32-jährige vor rund vierzehn Monaten gestartet hatte. Auch eines, das er zu jeder Zeit wieder hätte abbrechen können. Doch Engel zeichnet neben einer hohen Musikalität und Fingerspitzengefühl eine eiserne Disziplin und Zielstrebigkeit aus. Er geht drei- bis viermal in der Woche mit dem Klavier auf die Strasse, kündigt es davor online an, damit man ihn findet. Ein Frühaufsteher ist er. Und lässt sich auch von Wind und Wetter, nein, nicht mal von Schnee von seinem selbstgewählten Weg abbringen. Meistens mit einem ansteckenden Lächeln im Gesicht. Bereits wenn die frühmorgendliche Kaffeemühle kracht.

Angefangen hat er wortwörtlich ganz klein, auf einem Toypiano, Ende Juni letzten Jahres. «Das war definitiv ein Eyecatcher», sagt Engel. «Mit dem Miniklavier versuchen, einen Flügel zu erspielen, das war schon lustig.» Und auch viel praktischer zu transportieren. Denn Engel reist jeweils per Bus und Bahn. Auch mit dem richtigen Klavier. Er kennt mittlerweile viele Fahrpläne und Streckenverbindungen auswendig. Vor allem weiss er genau, wann die S-Bahn fährt. Denn nur diese bietet Platz für sein Riesenreisegepäck.

 

Tücken des Alltags
Es war einfacher, von Ort zu Ort zu gelangen, doch das Toypiano funktionierte nicht immer. Zu wenig klangvoll für die Strasse. Ging unter im alltäglichen Leben der potentiellen Zuhörer. Engels Idee jedoch hatte die Probephase überstanden und sich zu einem ernstzunehmenden Projekt entwickelt. Das Interesse auf seinem Blog, seiner Facebookseite und auf Instagram wuchs. So wuchs auch sein Instrument. Am 13. Oktober spielte er zum ersten Mal auf einem richtigen Klavier.

Ein Klavier, das er nun seit fast einem Jahr durch die halbe Schweiz schiebt. Ein Klavier, das Schrammen und Kerben trägt. Ein Klavier, das Engel nicht nur Musik- sondern auch Fittnessinstrument ist: «Ein netter Nebeneffekt.» Da ist es wieder, das Lächeln.

Nicolas Engel studierte sieben Jahre an der Musikhochschule in Luzern. In der Region kennt man ihn auch als Mitorganisator des Literaturcafés in der Bieler Altstadt. Oder von diversen musikalischen Experimenten in verschiedensten Konstellationen. Doch um auf den Strassen Biels und Neuenburgs zu spielen musste er vorspielen. Bei der Polizei. «Mindestens fünf Stücke musste ich vorweisen können. Und dass mein Instrument in einem guten Zustand ist», sagt er. Engel kennt nun also auch die Richtlinien der Städte, die er am meisten frequentiert. Meistens muss er jeweils nach einer halben Stunde Standort wechseln, «damit ich niemanden störe». Während in Bern und Neuenburg die Tagesbewilligung gratis ist, bezahlt er in Biel, Genf oder Lausanne dafür. Will er nach Solothurn, muss er auf katholische Feiertage acht geben, denn dann ist der Polizeiposten zu und die Bewilligung kann nicht abgeholt werden. Busse gäbe es dann aber trotzdem eine.

 

Sorry, I don’t play Mozart
Doch nicht nur die Richtlinien der Städte sind verschieden, sondern auch der Erfolg seiner Arbeit. «Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedliche die Leute auf mich reagieren», sagt er. Klar. Schauen würden noch immer überall alle, wenn er sein Klavier der Strasse entlang schiebt. «Ich habe Wiederholungstäter, viele Zuhörer kommen immer wieder und fragen auch gleich, wann ich wieder in der Stadt sei.»

Andere seien zaghafter, wollten halt erstmal schauen und wissen, um was es geht: «Aber auch das ist völlig ok.» Dafür hat Engel an seinem Klavier seine Informationstafel angebracht: kurzer Projektbeschrieb, Internetseite und der Spruch  «Sorry, I don’t play Mozart. I just play my own music.»

 

Openair-Flügel
Engels Musik ist für die Strasse komponiert. Entwickelt sich weiter mit jedem Spiel. «Bach und Co. brauchen einen anderen Rahmen», sagt er entschieden und bestimmt – wurde er doch auch schon darauf angesprochen, ob er denn auch «richtige» Musik spielen könne.

Seine Stücke sind Eigenkompositionen mit Variationen und Improvisationen. Leicht und sanft gleiten die Klänge durch die Gassen und über Plätze. Und sie werden morgen das allererste Mal auf einem Steinway Flügel openair zu hören sein. Es ist noch nicht sein eigenes Instrument. Es ist einer von der «Steinway Hall Suisse Romande» zur Verfügung gestellter Flügel, die damit Engels Projekt unterstützen wollen.

Ein Projekt, das weiter wächst. Denn: «Der Flügel ist mein Traum und daran arbeite ich. Mit dem was ich kann. Klavier spielen.»


Info: Erstes Openair-Steinway-Konzert von Nicolas Engel morgen am First Friday beim Café du Commerce um 19, 20 und 21 Uhr. Bei Regen steht der Flüge im Café du Commerce.

 

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Nachgefragt

«Da arbeitet einer hart»

Armando Piguet, Leiter der «Steinway Hall Suisse Romande» von Musik Hug in Lausanne, ist fasziniert von Nicolas Engels Projekt. Zur Unterstützung hat er sich etwas Besonderes einfallen lassen.


 

Armando Piguet, mit Strassenmusik für einen Steinway Flügel Geld sammeln – was geht Ihnen da durch den Kopf?
Ich bin beeindruckt! Wir bekommen ja immer wieder Bettelbriefe und Bittschriften zur Unterstützung verschiedener musikalischer Projekte oder Konzerte. Aber Engels Vorhaben und Disziplin faszinieren mich, es ist nicht alltäglich. Da schleppt einer ein Klavier Tag für Tag durch die Strassen für den Traum eines eigenen Steinway-Flügels. Das ist schlicht genial. Da arbeitet einer hart für seinen Traum.

 

Haben Sie ihn schon einmal selber spielen hören?
Leider nein. Ich wurde von Freunden und meinem Sohn auf Engels Projekt aufmerksam gemacht und habe dann auf Youtube das Video geschaut, wo er auf dem Bieler Zentralplatz spielt. Doch für morgen Abend habe ich mir extra freigenommen und freue mich sehr auf das Konzert.

 

Nicolas Engel wird auf einem ganz speziellen Instrument spielen.
Genau. Als Unterstützung geben wir Engel nicht einfach Geld oder Rabatt auf einen Flügel, den soll er ja mit Spielen verdienen. Wir stellen ihm jedoch ein Modell seines Wunschflügels zur Verfügung, einen Steinway B-211, um an speziellen Orten openair spielen zu können. Ganz unkompliziert. Wir liefern, er spielt, wir holen wieder ab. So wie morgen in der Bieler Altsatdt. Die Menschen sollen erfahren können, auf was genau der Pianist hinarbeitet.

 

Was macht den Steinway B-211 zu einem besonderen Flügel?
Dieses Instrument besteht aus 12000 Einzelteilen und ist der drittgrösste Flügel von Steinway & Sons. Die Bauzeit beträgt rund 13 Monate und er wird nachwievor zu 80 Prozent von Hand erschaffen. Für mich sind Nicolas Engel und der B-211 somit die perfekte Symbiose von musikalischer Handwerkskunst und baulicher Handwerkskunst.
Interview: Vera Urweider

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