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Er findet die Freiheit im Funk

Zu ihrer Musik könnte auch Prince singen: The Next Movement verbinden Entertainment und Qualität – auf überzeugendem Niveau.

JJ Flück, Schlagzeuger, Sänger, bei Bedarf Rapper und Einpeitscher: «Im Funk kann ich lebenslang auf Reisen gehen.» zvg
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Tobias Graden

Sein allererstes Konzert führte zu einem Polizeieinsatz. Es war die erste Hälfte der 90er-Jahre, JJ Flück besuchte das Gymnasium in Solothurn und spielte Schlagzeug in einer der Bands, die damals in der Stadt aktiv waren. Die Formation nannte sich Cailer (sie sollte mit zunehmender Bekanntheit den Unmut des fast gleichnamigen Schokoladeherstellers auf sich ziehen), ihr Stil war der Rock mit reichlich Gitarren und cooler Attitüde, und schon zu ihrer Live-Premiere kamen doppelt so viele Leute, wie feuerpolizeilich im Lokal zugelassen gewesen wären. Die Polizei traf ein, ein Teil des Publikums versteckte sich, so gut es ging, die Polizei ging wieder und die Band setzte ihr Konzert fort.
JJ Flück lächelt, wenn er sich an diese Episode erinnert. Sie hat ihm früh gezeigt, dass er in einer speziellen Branche tätig ist. «Das Musikbusiness hält die tollsten und die schlimmsten Dinge für einen bereit», sagt der heute 45-jährige Schlagzeuger. Ein Umstand, dem einzig mit Gelassenheit und Humor zu begegnen sei – doch davon später. Seinem Instrument von damals ist Flück jedenfalls treu geblieben, stilistisch hat er sich aber in eine andere Richtung entwickelt. Seine Welt sind Soul und Funk, jene afroamerikanische Musik, die in den 70er-Jahren wohl ihre grösste künstlerische Blüte erlebte. Er fand während der Ausbildung an der Jazzschule zu seiner Nische, wie er sagt, gleichzeitig war dies eine Art Rückkehr: In seiner Kindheit und Jugend lebte er mehrere Jahre in den USA und fühlte sich bei Prince und im Hip-Hop zuhause, als dies in der Schweiz noch praktisch unbekannt war.

«Wir sind wie Brüder»
Aber wenn Flück etwas nicht ist, dann ist es ein Nostalgiker. Zwar wacht in seinem Studio und Bandraum in einem Dorf im solothurnischen Wasseramt James Brown als überlebensgrosses Wandbild über die Geschehnisse, doch was da passiert, hat die 70er längst hinter sich gelassen. «Wir wollen den Funk des Jahres 2021 spielen», sagt er über die Band The Next Movement, die er zusammen mit dem Gitarristen Sam Siegenthaler und dem Bassisten Pascal Käser bildet. Das Trio macht zwar handgemachte Musik, nimmt aber aktuelle Strömungen auf, experimentiert mit Beats und mit Klängen, hantiert gerne mit Synthesizern – Flück und Käser brillieren nicht nur auf ihrem angestammten Gebiet, sie sind beide auch versierte Pianisten. Kurz: In keinem Moment klingt die Musik von The Next Movement altbacken, im Gegenteil.
Das Trio überzeugt mit Groove und Tightness, es agiert, als bestehe die Band nicht aus einzelnen Musikern, sondern als sei sie ein einziger Klangorganismus. Kein Wunder: Flück, Siegenthaler und Käser spielen seit ungefähr 20 Jahren zusammen. «Wir sind wie Brüder», sagt der Schlagzeuger. Sie bildeten bei bekannten Schweizer Musikgrössen wie Steff la Cheffe, William White oder Nicole Bernegger die Rhythmussektion, bei letzterer amtete Flück zudem als musikalischer Leiter und mit dem Rapper Greis war er als einziger Instrumentalist neben dem DJ unterwegs. Im Trio spielen sie zudem mit weiteren Musikern die James Brown Tribute Show – und diese Aufzählung ist längst nicht abschliessend. Die vielen Engagements boten den drei Freunden , die sich blind verstehen, zwar eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit und liessen ihnen auch reichlich Spielraum, ein genuin eigenes Projekt vermochten sie gleichwohl nicht zu ersetzen.

Corona statt Georgien
Nach 15 Jahren und tausenden von Konzerten reifte die Erkenntnis: Wenn wir unser eigenes Ding durchziehen wollen, dann geht das nur, wenn wir anderswo reduzieren. Flück und seine Kollegen gingen das Risiko ein, 2019 veröffentlichten sie mit «No Sleep Till Paradiso» eine erste EP, eine Tour mit mehr als 30 Konzerten folgte. Die Arbeit trug Früchte: The Next Movement konnten den  international tätigen Musikagenten Peter Basler für sich gewinnen, ein alter Hase, der auch mit Joe Zawinul oder Maceo Parker zusammengearbeitet hatte. Das deutsche Label Leopard, bei dem unter anderen diverse frühere Prince-Musiker ihre Sachen veröffentlichen, wird das nächste Album publizieren. Für letzten Frühling war eine ausgedehnte Tour in der Schweiz und Deutschland geplant, und gerade für diese Tage war das Trio für das Black Sea Jazz Festival in Georgien gebucht.
Aber eben: Corona. Die Pandemie erwischte die Band im dümmsten Moment. Doch JJ Flück sagt trocken: «Irgendwann gewöhnt man sich an all die Verschiebungen.» Als der erste Frust abgeklungen war, verlegte sich die Band auf Zuversicht und Produktivität. Seither hat sie jeden Monat ein neues Stück veröffentlicht und dazu jeweils ein Video gedreht. Sie glänzt dabei nicht nur musikalisch, sondern auch mit Attitüde und Humor: The Next Movement geben sich dermassen lässig-cool, dass es schier arrogant wirken könnte – wäre da nicht die einnehmende Selbstironie. Da ist er eben, der Humor: «Man muss einen Umgang finden mit den Wirren im Musikbusiness», sagt Flück, «unser Mittel dazu ist der Humor.»

Er taucht in die Tiefe
The Next Movement nehmen also sich selber nicht allzu ernst – das, was sie tun, dagegen sehr, gerade künstlerisch. Der Funk steckt zwar einen gewissen Rahmen, doch dieser lässt sich sehr unterschiedlich ausfüllen. «Ich finde reichlich Freiheit im Funk», sagt Flück, «auch wenn sie nicht so offensichtlich sein mag.» Die Struktur sei definiert, «aber es gibt reichlich Ebenen, auf denen man lebenslang auf Reisen gehen kann»: das Feeling, wie ein Groove platziert wird, die Phrasierung – in die Tiefe gelangt nur, wer sich lange genug mit dem Spiel dieses Stils beschäftigt. Wer gut hinhört, merkts: Da wird ein vordergründig simpler Beat durch Ghostnotes oder zusätzliche Hi-Hat-Schläge komplex und interessant gemacht, dort verzahnen sich unterschiedliche Tempi zu einem raffinierten Ganzen. The Next Movement spielen dies so, dass es fast beiläufig wirkt, doch dahinter steckt ganz viel Arbeit – zumal JJ Flück auch singt und «den japanischen Freund» bedient: den Sampler, der bei spartanischer Besetzung hilft, die nötige Vielschichtigkeit und Wucht im Sound hinzukriegen.
Höchst unterhaltsam – und bestens tanzbar – ist das alleweil, The Next Movement verbinden Entertainment mit hoher Qualität. Davon kann sich am Samstag im Le Singe auch die Polizei überzeugen, sollte sie gerufen werden. In ihrem Rapport wird sie notieren können, was in Flücks Studio auf einem Schlagzeugfell von einem früheren Konzert geschrieben steht: «Der JJ war lieb, es war laut.»
Info: Live am Samstag im Le Singe, Biel, Türöffnung 22 Uhr. Das Album «The Next Movement» erscheint am 10. September, Plattentaufe am 23. September in der Mühle Hunziken.

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