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Openair am Bielersee

Er versucht, sich nicht zu verlieren

Der Akkordeonist Mario Batkovic gilt als Besessener, mindestens ist er ein Perfektionist. Am Samstag spielt er in Vinelz solo. Genauer: Er lässt sein Instrument spielen.

Er kostet die Klänge aus: Mario Batkovic und sein Akkordeon. copyright: tabea hüberli

Tobias Graden


Das Reich des Mario Batkovic liegt unter dem Boden, im Sous-Parterre. Hier die Aufnahmekammer, ein Studio, konzipiert und eingerichtet ganz für ihn und sein Akkordeon. Daneben das Mischpult, etwas erhöht ein paar Quadratmeter zum Proben mit anderen Musikern, ein Tischchen mit Stühlen, in der Wand ein Fach, abgeschlossen von zwei Holztürchen. Batkovic öffnet sie, Spirituosen kommen zum Vorschein, zuvorderst der Sliwowitz, er bietet ein Glas an.
Da ist er, der Klischeemoment, nach fünf Minuten. Dabei greifen die Klischees viel zu kurz bei ihm, auf die ersten Eindrücke ist kein Verlass. Doch davon später.


Heute kann er besser trennen


Mario Batkovic verbringt viel Zeit in seinem Raum im Berner Progr. Der «Bund»nannte ihn einen «Besessenen», er selber sagt: In diesem Raum, den er für seine Musik hat, stecke seine ganze Kraft drin.  Und überhaupt höre er die ganze Zeit Musik in sich, das sei schon «spacig». Es gab Zeiten, da hatte er richtiggehend Angst, dass diese Musik komplett überhand nehmen, dass sie sich seiner ganz bemächtigen könnte. Heute könne er aber besser trennen: Er ist Familienvater, er gärtnert. Zuhause nimmt er das Akkordeon kaum je in die Hand.
Ein Perfektionist ist er jedenfalls alleweil. Anderthalb Jahre hat er zusammen mit seinem Tonmeister Nicola Jannuzzo getüftelt, bis er die ideale Mikrofonisierung für sein Solo-Album gefunden hat – für ein Album, das abgesehen von etwas Hall auf sämtliche Effekte ebenso verzichtet wie auf Overdubs, auf dem allein Batkovics Akkordeon erklingt, nichts weiter. Batkovic sagt:«Ich versuche nicht, mich mittels Musik zu finden. Sondern ich versuche, mich in ihr nicht zu verlieren.»


Das Akkordeon hat ihn gefunden


Es ist auch nicht so, dass er das Akkordeon gefunden hat. Sondern es ist umgekehrt:Das Akkordeon hat ihn gefunden. Mit vier bekam er das erste Instrument geschenkt, «von da an gab’s keine andere Option mehr in meinem Leben». Vielleicht wäre er auch mit einer Posaune Musiker geworden oder mit einer Gitarre, jedenfalls war das Akkordeon von da an sein Lebenspartner. Seine Karriere als Musiker in der Schweiz wäre leicht zu erzählen mit der Geschichte seiner Migration (er kam mit elf von Bosnien in die Schweiz), mit einem allfälligen Zerrissensein zwischen den Welten, mit der anfänglichen Fremdheit in der Schweiz und einer darauffolgenden Flucht in die Kunst. Allein:So lief das nicht ab. Mario Batkovic hatte sein Akkordeon bei sich und damit seine Heimat. «Es ist alles da, was ich brauche», sagt er, «in der Musik ist keine Zerrissenheit.»
Ähnlich verhält es sich mit den Klischees. Natürlich kennt er sie, und je nach Projekt bedient er sie auch. Als Frontmann der wilden Grossband Destilacija gibt er lustvoll den ungestüm leidenschaftlichen Balkan-Macho, textlich wie musikalisch. Doch als ihn kürzlich TV-Talker Kurt Aeschbacher darauf behaften wollte und den Finger auf offensichtliche Gegensätze legte (der Vater von Batkovics Frau ist ein SVP-Politiker vom Lande), gab sich der Musiker wortkarg und meinte bloss, er habe den besten Schwiegervater, den er sich vorstellen könne. Lieber drückt er sich in seiner Musik aus, in der alle seine Gefühle zu finden sind, und über die er sich auch mit seinem Publikum verständigt. Was die Klischees betrifft, so hält er fest:«Ich diene ihnen nicht. Aber ich nutze sie aus, wenn sie meiner Musik dienen.»


Bausteine in Repetition


So hat er etwa einen Auftritt von Destilacija am Gurtenfestival auch dazu genutzt, zehn Minuten lang solo Akkordeon zu spielen – was andernfalls wohl kaum programmiert worden wäre. Denn auch wenn er gewiss kein scheuer Mensch ist: Letztlich geht es ihm um sein Instrument, das Akkordeon. Das jahrelange Wirken in diversen Bands wie den Kummerbuben oder das Komponieren von Filmmusik (wie zu «Der Imker») diente ihm auch dazu, seinen Namen bekannt zu machen, um ein Solo-Album veröffentlichen zu können.
Dieses nämlich ist der Minimal Music näher als dem Pop. Batkovic arbeitet mit nicht mit herkömmlichen Liedstrukturen und langen Melodiebögen, sondern er verwendet einfache, kurze Bausteine, die er repetiert und harmonisch und dynamisch variiert. Er will nicht Virtuosität demonstrieren, sondern den Raum schaffen für die Klangästhetik des Instruments. Das ist der Kompositionsweise eines Yann Tiersen (der mit dem «Amélie»-Soundtrack berühmt wurde) nicht unähnlich, allerdings geht es Batkovic nicht ums Liebliche, Süsse, Melodienhafte. Die sieben Stücke auf «Batkovic Solo» wollen mit Konzentration gehört werden, mit Neugier und auch mit Hingabe. Sie dauern bis zu knapp 13 Minuten, Batkovic kostet auch mal einzelne Klänge lange aus, das Stück «Desiderii patriae» besteht gar ganz aus flächigen Klängen und den Geräuschen, die beim Spielen entstehen. Wer zuhört, soll das Akkordeon so hören, wie Batkovic selber es hört, denn es ist das Instrument, das spielt: «Wenn ich mich mit ihm hinsetze, höre ich ihm in erster Linie zu», sagt Batkovic.
Diese Teilhabe wird am Samstag auch dem Publikum in Vinelz vergönnt sein. Wie lange er dort spielt, weiss er noch gar nicht. «Mit solchen Dingen befasse ich mich nicht», sagt er. «Ich gehe auf die Bühne, sitze ab und spiele. Den Rest entscheidet das Publikum.»

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