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«Es gibt viele Arten zu irren»

Hermann Kesten hat mit «Die fremden Götter» ein intelligentes und witziges Plädoyer für geistige Offenheit geschrieben. Der Nimbus Verlag hat den zu Unrecht vergessenen Roman neu aufgelegt.

Strahlende Roman-Kulisse: Das schöne Nizza. Dass die Stadt am Mittelmeer auch einmal Schauplatz fantastischer Ausschreitungen sein würde, konnte Kesten nicht wissen. Bild: Keystone

Alice Henkes

Es ist zum Haare raufen! Den Krieg haben Walter Schott und seine Frau überlebt. Das Konzentrationslager haben sie überlebt. Töchterchen Luise lebt nach all den Wirren wieder wohlbehalten mit den Eltern im schönen Nizza. Aber ach, die Tochter, während des Infernos, das über Europa tobte, in einem Ursulinenkloster in Avignon verborgen, ist zur frommen Katholikin geworden. Heimlich schleicht sie in die Kirche, um der Heiligen Jungfrau zu huldigen. Argwöhnisch beobachtet von Papa Schott, der, vordem ein weltlich denkender Jude, in der KZ-Haft fromm geworden ist. Und nun? Soll man Gott danken, dass der grosse Spuk vorbei ist? Oder mit ihm hadern, weil das Kind sich partout zum falschen Glauben bekennen will? Und: Welchen Gott soll man anklagen? Den katholischen? Den jüdischen?

Die Ausgangslage in Hermann Kestens ungemein vergnüglichem und intelligentem Roman «Die fremden Götter» ist verzwickt. Und sie wird, das kündigt sich bereits nach wenigen Seiten Lektüre an, im Fortgang der Handlung kein Jota besser. Ganz im Gegenteil. Vater Schott sinnt darauf, die Tochter zum rechten Glauben zurückzuführen. Er bittet Théodore Bovin, den Sohn des Hauptrabbiners von Nizza, zum Abendessen. Schott hofft, der junge Bovin werde Luise die «spirituelle und moralische» und auch «literarische Überlegenheit des alten Testaments beweisen».

 

Zur Zeit Buddhist
Doch der romantische Jüngling «mit braunen Locken, schlenkernden Armen und Beinen, mit Pickeln auf der Stirn und einer hellen Stimme» und mit einer Neigung zum Philosophischen ist dem Charme der kecken Luise nicht gewachsen. Er verliebt sich rasend. Rasch entwickelt sich das Gespräch zwischen ihm und Luise in eine Richtung, die Vater Schott veranlasst einzugreifen. Nicht aus sittlichen Erwägungen, sondern «aus Furcht, der unbedachte Jüngling werde in der nächsten Stunde zur katholischen Religion bekehrt werden.»

Der junge Bovin ist nicht der einzige in diesem Roman, für den der Glaube alles andere als ein starker Fels in der Brandung beunruhigender und destruktiver Zeitläufte ist. Kaum hat Vater Schott den Jüngling hinauskomplimentiert, erscheint Onkel Emile auf der Handlungsbühne. «Onkel Emile hat im Alter von 30 Jahren «Erfahrungen gesammelt, zu denen sonst ein Dutzend Männer sechzig Jahre brauchen». Zu diesen Erfahrungen gehören etliche Konversionen und weltanschauliche Richtungswechsel. Als Sohn eines reformierten Pfarrers erzogen, begeistert Onkel Emile sich nicht nur für alle erdenklichen leiblichen Freuden. Er fängt auch im Philosophisch-Religiösen schnell Feuer. «Wenn er einen Kommunisten traf, ward er selber bald Kommunist, trat in die Partei ein und wurde so radikal, dass man ihn eliminieren musste. Darauf trat er zum Katholizismus über und wurde für ein halbes Jahr immer fanatischer». Zur Zeit ist Onkel Emile übrigens Buddhist.

 

Flotte Komödie
Mit seinem lebenshungrigen Ungestüm bringt Onkel Emile die Romanhandlung noch mächtig in Fahrt. Denn nicht alle sind in Glaubensfragen so lässig wie der dicke Onkel. Vater Schott etwa will das Töchterchen auf Biegen und Brechen dem wahren Glauben zuführen und schreckt auch vor drakonischen Massnahmen nicht zurück. Was mit missglückten Lehrgesprächen mit dem jungen Bovin beginnt, entwickelt sich rasch zu einer flotten Komödie, auf deren federndem Fundament Kesten kluge Beobachtungen und Gedanken leicht wie Scherzworte hüpfen lässt. Auf heitere, doch eindringliche Weise wird klar, dass religiöser Fundamentalismus, egal welcher Konfession, die Ursache jener Probleme ist, dessen Lösung er zu sein vorgibt.

Der Verlag Nimbusbooks legt mit Hermann Kestens «Die fremden Götter» einen Roman vor, der zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. 1949 erschien des Buch erstmals im Amsterdamer Exilverlag Querido. Hermann Kesten, 1900 in Galizien geboren und in Nürnberg aufgewachsen, begann seine literarische Laufbahn 1928 mit der Veröffentlichung seines Erstlings «Josef sucht die Freiheit». Nicht nur als Autor machte er sich einen Namen. Kesten war auch als Journalist und Lektor und Verleger tätig und wurde so zu einer wichtigen Figur im Literaturbetrieb der Weimarer Republik und später im Literatenkreis der Exilanten. Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns floh bereits 1933 nach Frankreich, lebte in England, Belgien, den Niederlanden und ab 1940 in den USA.

 

Zu heikel für die Nachkriegszeit
Den Schriftsteller Kesten interessierte stets der Mensch in der Gesellschaft. Den Mensch Kesten der Mitmensch. Er setzte sich in den Jahren des Exils für zahlreiche von den Nationalsozialisten verfolgte Kulturschaffende ein. In den 50er-Jahren kam er zurück nach Europa, lebte zunächst in Rom und bis zu seinem Tod 1996 in Basel.

Kestens Roman «Die fremden Götter», unmittelbar nach dem Krieg entstanden, ist ein humorvolles Plädoyer gegen engherzige Frömmelei und für ein freiheitliches Denken, das nicht alle Wahrheit allein für sich beansprucht. Es war ein Buch zur Zeit. Nicht nur im Hinblick auf die Geschichte, die man in Europa gerade hinter sich gebracht hatte. Religiöse Fragen spielten in den Nachkriegsgesellschaften der westlichen Staaten eine tragende Rolle. Die Menschen suchten, vom Krieg und allen anderen Schrecken verunsichert, im Schoss der Kirchen Trost.

Es ist auch heute wieder ein Buch zur Zeit. Sorgen doch religiöser Fanatismus, Fremdenfeindlichkeit und ideologische Verbohrtheit für einen schärferen, aggressiven Ton in gesellschaftlichen Debatten. «Es gibt viele Arten zu irren», sagt der Oberrabbiner von Nizza am Ende des Romans zu seinem liebeskranken Sohn Théodore. Ein einfacher, aber kluger Satz, den man sich gar nicht oft genug vorsagen kann.

Der lockere Ton, den Kesten anschlägt, ist alles andere als ein Verharmlosungsversuch. Wie viel Brisanz bei der Erstveröffentlichung in Kestens Buch steckt, zeigen ein Briefwechsel zwischen Kesten und dem Filmproduzenten Gerhard Bornaus aus dem Jahr 1950 sowie einem Nachwort des Kesten-Biografen Albert M. Debrunner im Anhang des Romans. Kaum erschienen, sollte Kestens Roman auch schon verfilmt werden. Das überrascht eigentlich nicht, sieht man sich diese temporeiche Story mit vielen Irrungen und Wirrungen an. Dennoch kam es nie zu der Verfilmung. Kestens Roman hatte einen Makel. Er erwähnte, wenn auch eher am Rande, Konzentrationslager und Massenmord. Das wollte so kurz nach dem Krieg niemand im Kino sehen. Unbeabsichtigte Schärfe erhält der Roman durch seinen Handlungsort. Das mediterrane Nizza einst mediterraner Touristenmagnet, wurde im Juli 2016 zum Schauplatz islamistischen Terrors. Das konnte Kesten freilich nicht ahnen.

Info: Hermann Kesten, «Die fremden Götter», Nimbusbooks, Zürich, 2018, 34 Franken.

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