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Cee-Roo

«Es steht nicht auf meinem Plan, im Gefängnis zu landen»

Ist es Kunst, Werbung oder gar Propaganda? Der Bieler Multimediakünstler Cyril Käppeli alias Cee-Roo ist zurück aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo er auf Auftrag einen Film der Reihe «Feel the Sounds of» gedreht hat. Er sagt, in drei Minuten könnten ohnehin nicht alle Aspekte eines Landes verhandelt werden. Er schliesst es aber nicht aus, künftig auch politische Filme zu machen – etwa für die Uiguren oder die verfolgten Studenten in Hongkong.

Cee-Roo (Cyril Käppeli): «Ich mache keinen Dokumentarfilm, der auf Arte ausgestrahlt wird und aufzeigt, was alles schiefläuft.»  zvg/stefan meyer

Interview: Tobias Graden

Cyril Käppeli, wie war das Jahr 2020 für Sie?
Cyril Käppeli: Ganz ehrlich: Für mich persönlich war es nicht schlecht. Zwar wurden meine Aufführungen in den Kinos annulliert, auch zwei, drei andere geplante Dinge konnten nicht stattfinden. Doch das gab mir mehr Zeit, um neue Sachen anzupacken. Und ich konnte mir viel Zeit für mich und meine Freundin nehmen, ich habe einfache Sachen des Lebens genossen: Ping-Pong spielen am See, auf der Dachterrasse chillen, kochen.

Sie erregen jeweils Aufsehen mit Ihren Jahresrückblicken aus Bild und Ton. Mit der Coronapandemie war 2020 ein aussergewöhnliches Jahr. Ist Ihnen der Rückblick dieses Mal schwerer gefallen?
Schwierig war es, das Video mit einer positiven Note enden zu lassen. Wer das Video betrachtet, soll am Ende ein besseres Gefühl haben als jenes, das er übers Jahr hatte. So hab ich jedenfalls dieses Jahr erlebt: Bei allem Negativen gibt es doch auch positive Aspekte. Und wenn man die sehen, spüren und fühlen kann, gibt dies die Motivation dafür, diese ganze Krise zu überwinden.

Dieser Jahresrückblick hat aber sicherlich mehr bedrückende Bilder als in früheren Jahren – mir scheint, 90 Prozent des Videos bestehen aus Pandemie, Katastrophen und sonstigen schlechten Sachen.
Das ist wie immer. Ich habe es mit jenen aus anderen Jahren verglichen: Jedes Mal sind die News von dramatischen Nachrichten geprägt. Leute, die sterben, Attentäter, Naturkatastrophen… das sind die grossen Schlagzeilen. Es wird für mich immer schwieriger, die positiven Neuigkeiten heraus zu grübeln, jene Nachrichten, die man gerne mal übersieht – und diese zur Geltung zu bringen. Das war dieses Jahr nicht anders, auch abgesehen von der Coronapandemie. Zudem fehlten mit all den abgesagten Grossanlässen Bilder, die Siege und Freude zeigen.

Haben Sie auch die Musik bewusst düsterer gestaltet?
Ja. Ich habe das Video in verschiedene Sequenzen aufgeteilt. Es war eine grosse Arbeit, für jede Sequenz die genau passende Musik zu komponieren, die genau jenes Gefühl überträgt, das ich vermitteln wollte. Darum deckt die Musik die ganze Bandbreite der Emotionen ab. Es war interessant, das zu komponieren, 2020 war eine Achterbahn der Gefühle.

Wie lange arbeiten Sie an einem solchen Jahresrückblick?
Dieses Mal brauchte ich mehr Zeit als sonst: Etwas mehr als zwei Wochen.

Wollen Sie mit diesen Jahres-Remixes eigentlich auch eine Aussage machen?
Ich überlasse es gerne dem Publikum, eine Aussage zu finden. Ich versuche neutral zu sein, man soll zwischen den Zeilen lesen. Mir geht es mehr darum zu zeigen, dass man besser durch schwierige Zeiten kommt, wenn man aufeinander hört und zueinander schaut.

Vereinfacht gesagt: Menschen, seid doch lieb zueinander.
Genau, so in dieser Art. Wobei, für einzelne Monate gilt das auch nicht. Wenn wirklich krasse Dinge geschehen sind, zeige ich einfach, was passiert ist. Da lege ich nicht noch eine Violine darüber um zu verdeutlichen, wie traurig das ist. In den Nachrichten werden ja die Klänge meist überdeckt von der Off-Stimme – wenn ich diese Tonspur freilege, ergibt dies eine zweite Dimension, die dem Publikum das Eintauchen in die Geschehnisse ermöglicht.

Die Bilder, die Sie nutzen, haben eine starke Wirkung, und in Ihrem Jahresrückblick kommen sie extrem konzentriert vor. Man könnte kritisieren, Sie nutzten Bilder des Leids von Menschen um den blossen Effekt willen.
(ironisch) Genau, so ist es, ich mache das, um viele Klicks zu erhalten … Nein. Mir geht es darum, die Augen vor der Realität nicht zu verschliessen. Ich will die Bilder, die alle kennen, mit jenen vermengen, die man leicht übersieht. Mich interessieren die Kontraste. Klar, der Schock und die Trauer gehören dazu, aber mir ist es wichtig, eine Balance zu finden, die funktioniert, ohne dass ich in Klischees oder Kitsch abdrifte.

Haben Sie Grenzen, gibt es Bilder, die Sie nicht zeigen würden?
Diese Frage stelle ich mir oft. Alle Bilder, die ich nutze, stammen aus öffentlich zugänglichen Quellen, aus offiziellen Nachrichten. Sie werden also schon so gezeigt.

Den Entscheid, ob etwas gezeigt wird oder nicht, treffen also nicht Sie, sondern Sie überlassen ihn den Journalisten, die sie als erste zeigen?
Das schon nicht. Bilder, die man nicht im Fernsehen zeigen würde, nehme ich schon mal nicht. Und ich nehme auch bei jenen, die ich auf verschiedenen Newskanälen finde, eine Selektion vor. Ich wähle nicht nur, welche ich zeige, sondern vor allem auch, wie ich sie zeige. Ich kann zum Beispiel ein schockierendes Bild nur kurz in einem kleinen Teilrahmen zeigen. Man hat dann gar nicht genug Zeit zu realisieren, was es wirklich ist, aber das Hirn ordnet ein und interpretiert. Ich will ja mein Publikum nicht abartig schockieren und traumatisieren.

Sie sind kürzlich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zurückgekommen. Was ist Ihr Eindruck von dem Land?
Ich bin eher skeptisch hingegangen und kam mit einem besseren Eindruck zurück, als ich gedacht hätte. Ich wurde angefragt, ein Video zu machen, das Abu Dhabi auf eine musikalische Art präsentiert, wie ich das in anderen Ländern auch schon gemacht habe. Zuerst fragte ich mich, was ich in Abu Dhabi wohl Authentisches finden könnte, das sich musikalisch präsentieren lässt. Ich fürchtete, das sei nicht viel, anders als etwa im Senegal, der eine reiche musikalische Kultur hat. Doch vor Ort fand ich schliesslich viele interessante Dinge, ich bin mit reichlich gutem Material zurückgekommen.

Wie kommt es, dass die Behörden der Emirate gerade auf Sie kommen für einen touristischen Werbefilm?
Das ist, weil mein Cousin dort ein Scheich ist.

Im Ernst?
(lacht) Nein. Offenbar haben sie schon Videos von mir gesehen, wie die Chinesen, die mich vor zwei Jahren angefragt haben. Für mich passte es, ich hatte gerade Zeit.

Sie haben also sofort zugesagt?
Nein, denn es gab in den letzten Jahren mehrere Anfragen aus den Emiraten, aus denen dann doch nichts Konkretes wurde. Das fand ich nicht so cool. Darum antwortete ich dieses Mal, ich hätte keine Zeit. Wider Erwarten kam dann aber eine Antwort, sie insistierten. Einen Monat später war ich in Abu Dhabi.

Ein solcher Auftrag ist lukrativ, nehme ich an.
Ja, eigentlich schon. Nur schon deswegen, weil ich fast alles selber mache – ich brauche bloss zwei Mitarbeiter beim Filmen. Der Aufwand ist aber recht gross: Wir haben zwei Wochen lang gedreht, dann folgen zwei Monate Postproduktion. Insofern ist es nun auch nicht dermassen lukrativ.

Verraten Sie, wie viel Sie an dem Auftrag verdienen?
Nein, das mache ich nie. Aber es ist nicht so, dass ich mit einem unverschämten Betrag geködert worden wäre. Ich stelle die Offerte, und die ist abhängig vom Arbeitsaufwand.

Welche Bedingungen wurden Ihnen gestellt?
Eigentlich keine, und das motivierte mich, den Auftrag anzunehmen. Ich befürchtete zuerst, sie könnten nur das moderne Abu Dhabi sehen wollen, dieses ganze Schickimicki-Zeug, das mich gar nicht so sehr interessiert. Aber sie wussten, dass ich versuche, in meinen Videos das Authentische eines Landes hervorzubringen, und sie liessen mir totale Freiheit. Sie wollen dann einfach eine erste Version sehen und sagen dann, was ihnen passt oder nicht. Ich kam also an und wollte gleich auf die Baustellen, denn Abu Dhabi ist eine einzige riesige Baustelle. Aber die Verhältnisse auf den Baustellen wurden ja auch im Westen thematisiert, da sind sie wohl etwas sensibel.

Schneiden Sie also ihr Material schon im Voraus so, dass Sie damit rechnen können, es werde angenommen?
Nein. Ich mache es so, wie ich es geil finde, ich will meinen Eindruck zeigen. Sie haben dann die Wahl zu sagen, ob etwas zu weit geht. Aber das kam bei meinen bisherigen Auftraggebern noch fast nie vor. Und ich mache sowieso auch eine eigene Version, einen Director’s Cut, den ich zu 100 Prozent selber bestimme und über meine Kanäle veröffentliche.

Konnten Sie denn in den Emiraten alles filmen, was Sie wollten?
Ja, es war super. Ich erhielt eine Liste mit Vorschlägen von Drehorten, die auch vom Klang her interessant sein sollten. Ich habe aber auch selber recherchiert, und wir haben vor Ort auch spontan gedreht. Die besten Takes hatten wir an solchen Schauplätzen.

Die Vereinigten Arabischen Emirate werden von Menschenrechtsorganisationen immer wieder kritisiert. Es gibt keine demokratischen Wahlen, keine Gewaltentrennung nach westlichem Verständnis und keine politischen Parteien. Medien- und Meinungsäusserungsfreiheit sind stark eingeschränkt, Homosexualität ist illegal und wird bestraft. Sind diese Zustände ein Thema für Sie?
Das sind Themen, die zu kompliziert sind, als dass ich sie in einem solchen Video bringen könnte. Klar, die Emirate funktionieren auf mehreren Ebenen anders als wir, auch wenn sie sich nun langsam öffnen. Man darf beispielsweise mittlerweile Alkohol konsumieren und Sex vor der Ehe wird nicht mehr bestraft. Darum finde ich das Land auch interessant: Es ist sehr auf den Westen fixiert, technologisch und kulturell, gleichzeitig ist es stark in seinen Traditionen verhaftet, etwa mit arrangierten oder gar erzwungenen Ehen.

In den VAE gibt es auch politische Gefangene. Diese hätten Sie wohl kaum filmen dürfen.
Wahrscheinlich nicht. (überlegt) Ich mache keinen Dokumentarfilm, der auf Arte ausgestrahlt wird und aufzeigt, was alles schiefläuft in dem Land. Trotzdem kann ich jene Bilder zeigen, die ich gesehen habe und vermitteln, was ich wahrgenommen habe.

Das Problem ist ja gerade, dass Sie nicht alles sehen. Die wirklich problematischen Dinge sieht man als Besucher nicht einfach so.
Das ist klar. Die Grenze ist gegeben durch jene Dinge, die ich anschauen und mit nach Hause nehmen konnte. Ich müsste sonst einen ganz anderen Ansatz wählen, müsste lange Vorrecherchen machen und mit versteckter Kamera filmen…
…was zur Folge hätte, dass wohl Sie im Gefängnis landen würden.
Genau. Und das habe ich derzeit nicht in meiner Planung.

Denken Sie nicht, dass Sie von einem Land wie den Emiraten vereinnahmt werden? Dass es letztlich Propaganda ist, wenn Sie in einem solchen Staat einfach einen schönen Film drehen?
Das kann man so sehen. Aber es lässt sich mit meinen Jahresrückblicken vergleichen: Ich könnte in diesen auch nur die negativen Dinge zeigen – doch stattdessen grabe ich auch nach den positiven. Klar, in einem Land wie den Emiraten ist es schwierig, die Grenze zu finden. Ich will nicht nur die schönen Dinge zeigen, aber auch nicht im Gefängnis landen. Ich muss also Orte finden, die für mich nicht gefährlich sind und gleichwohl authentischen Charakter haben und etwas erzählen. Wenn ein pakistanischer Bauarbeiter spontan vorsingt und alle seine Kollegen schauen mit ernstem Gesicht direkt in die Kamera, dann sagt ein solcher Moment auf der emotionalen Ebene durchaus etwas aus. Aber die Interpretation überlasse ich dem Publikum.
Ist ein solcher Film aus Ihrer Sicht Kunst oder ein kreativer Werbespot?
Ich betrachte ihn nicht unbedingt als Kunst. Es ist eher eine kreative Multimedia-Produktion. Gleichwohl ist es ein guter Weg, um etwas zu vermitteln, das ich mit der Sprache nicht könnte. Ob man dies als Kunst bezeichnet oder nicht, ist mir egal.

Sie haben auch schon einen Film der Reihe «Feel the Sounds of» in China gedreht, ebenfalls auf offizielle Einladung der Behörden hin. Wie war es dort?
China ist so riesig, dass ich nur einen ganz winzigen Teil davon besuchen konnte: Shanghai und Umgebung. Shanghai ist ähnlich wie Abu Dhabi, es gibt so viele Expats, dass es schwierig ist, dort einen Film zu machen, der ein authentisches China vermittelt.

Städte wie Shanghai und Abu Dhabi sind doch authentisch in dem, was sie sind: Dort sitzt das Geld, dort findet Entwicklung statt. Dies nicht zu zeigen, wäre folkloristisch – in einem Film über die Schweiz würden sie wohl auch nicht nur Bergbauern zeigen.
Klar. Ich meine mit Authentizität auch nicht einfach Tradition. Mir geht es mehr darum zu zeigen, was der wirkliche Alltag der Menschen ist. In der Schweiz würde ich auch Banker und Busfahrerinnen zeigen. Das war auch in den Emiraten so: Die Auftraggeber wollten, dass ich den normalen Alltag der Einwohner abbilde. Der Film richtet sich nicht direkt an Touristen.

Zurück zu China: Mit der Unterdrückung der Uiguren und vielem mehr gibt es genug Anlass für Kritik an China. «Feel the Sounds of China» klammert all dies aus. Würden Sie einen solchen Film heute anders machen oder gar nicht, wenn man etwa sieht, wie China die Studenten in Hongkong ins Gefängnis wirft?
Wenn, dann würde ich «Feel the Sounds of Hongkong» machen oder «Feel the Sounds of Persecution» («Verfolgung», Anm. d. Red.), in denen ich dies thematisiere. Was übrigens nicht unmöglich ist: Ich kann mir gut vorstellen, in einigen Jahren mein Konzept weiterzuentwickeln und politische Aussagen zu machen. Aber einen Film wie «Feel the Sounds of China» würde ich nicht anders machen. Denn das Land ist ohnehin viel zu komplex, als dass es in einem dreiminütigen Video umfassend gezeigt werden könnte.

Gibt es denn Grenzen für Sie, was Auftragsarbeiten angeht – gibt esbeispielsweise Länder oder Auftraggeber, für die Sie nicht drehen würden?
Ich betrachte die Anfragen stets aus mehreren Perspektiven: Was ist es für ein Auftraggeber, was für ein Land? Was ist gefordert, was fühle ich dabei? Ich versuche, so offen zu sein wie möglich, denn oft sind es Länder, in denen ich noch nie war, die ich nur aus Medienberichten kenne. Es interessiert mich, selber hinzugehen, die Situation mit meinen eigenen Augen zu betrachten und mit Menschen zu reden. Darum fallen meine Filme eher positiv aus. In einigen Jahren bin ich vielleicht dann bereit, anhand meiner gemachten Erfahrungen tiefer in die dunklen Seiten einzudringen und diese zu thematisieren. Aber das ist noch nicht sicher.

Sind Sie ein politischer Mensch?
Eben nicht. Darum halte ich mich eher aus dem Politischen raus, obwohl es mich durchaus auch interessiert. Ich versuche, offene Augen und Ohren zu haben, aber nicht eine allzu vorgefestigte Meinung, die dazu führen könnte, dass mir Türen verschlossen bleiben.

Was wird man von Ihnen als nächstes sehen?
Ich habe tausendmilliarden Projekte für 2021… Ich möchte gerne wieder mal meine Performance in den Kinos zeigen können. Ich arbeite weiter mit der Sendung «52 Minutes» auf RTS. Und ich habe weitere Projekte in der Schweiz und im Ausland, von denen ich noch nichts erzählen kann. Aber sie sind sehr cool und vermischen Musik, Video und Performance.

Was wünschen Sie sich für 2021?
Dass sich die Menschen anhand des Jahres 2020 überlegen konnten, was gut ist für sie und was weniger, und dass sie darauf aufbauen können und zu einem guten Zusammenleben finden.

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