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Konzert

Etwas Schönes ist ja auch mal schön

Eingängig und raffiniert, organisch und artifiziell: Das Bieler Duo L’Horée tauft morgen sein Debütalbum «Des voiles». Trotz karger Besetzung klingt es reichlich orchestral.

L’Horée: Vincent Membrez und Fanny Anderegg beschallen die weiten Räume. zvg/Guillaume Perret

Tobias Graden

Ist das ein Beduinenpaar, das da so bedeutungsschwanger durch die Wüste wandelt? Oder sind diese Figuren einem mittelalterlichen Fantasy-Roman entsprungen, der im Nahen Osten spielt? Was hat es mit diesen dunkel gewandeten Gestalten für eine Bewandtnis? Man sieht ihre Gesichter nicht, und nachdem sie von dem bläulich schimmernden Trank gekostet haben, den ihnen die üppig geschmückte Frau reicht, zerfallen sie zu Staub. Worauf sich der Mann zu Boden bückt und aus den Überresten eine Art Sandblume birgt, die er in seine Ledertasche steckt.
«A l’orée» heisst das Stück, in dessen Video diese wunderlichen Dinge geschehen. Es ist ein Lied des Bieler Duos L’Horée, das Paar in der Wüste besteht aus der Komponistin und Sängerin Fanny Anderegg und dem Pianisten und SoundtüftIer Vincent Membrez. Irgendwie geht es in dem langsam treibenden Lied, in dem Stimme und Synthesizer zu einem symbiotischen Klangteppich verwoben werden, um Verwandlung, Neuanfang, Transformation, um Ängste, Barrieren und Freiheit. Es stammt von der Filmemacherin Mei Fa Tan, «sie hatte Carte Blanche», sagt Membrez, «aber dass es in der Wüste spielt, in diesem weiten Raum, das passt zu uns.»

Unfreiwillig gegründet
Der weite Raum: Das ist eine Assoziation, die beim Hören der Musik von L’Horée des Öftern auftaucht. Schliesslich verleitet die Musik auf dem Debütalbum «Des voiles» ab und an dazu, sie «sphärisch» zu nennen: Sie setzt nicht zwingend auf einen raschen Wiedererkennungseffekt, Synthesizer- und Pianoklänge verbinden sich mit geschichtetem Gesang zu eigentlichen Soundscapes, die vergessen machen, dass hier doch «nur» ein Duo am Werk ist.
Was heute orchestral klingt, hat seinen Ursprung nämlich in einer denkbar reduzierten Form der Besetzung, und das erst noch unfreiwillig. Vincent Membrez spielte schon länger im Fanny Anderegg Quartett, als dieses vor etwa fünf Jahren als Vorband von Emily Loizeau auftreten sollte. Die französische Chanteuse wünschte aber keinen Band-Auftritt vor ihrem Konzert, sondern tolerierte bloss die Sängerin und den Pianisten auf der Bühne, und letzterer durfte zudem das Piano ihrer Formation nicht benutzen. Von Anderegg und Membrez war also einiges an Flexibilität und Umarrangierkunst gefragt für diesen Auftritt – es war die Geburtsstunde von L’Horée, mittlerweile gibt es das Quartett nicht mehr.
Es dauerte dann aber eine Zeitlang bis zur ersten Veröffentlichung, 2017 erschien eine EP, nun folgt das Album. Gut‘ Ding will Weile haben – glaubt man dem Selbstbeschrieb auf der Website, geht es dem Duo um nichts weniger als darum, «einen modernen Weg für das frankofone Chanson» aufzuzeigen.

Mit dem Alter lieblicher
Im Gespräch stapelt Vincent Membrez allerdings etwas tiefer: «Es geht insofern um Chanson, als dass Fanny grossen Wert auf ihre Texte legt. Und ich mache einfach mein Zeug dazu. Es ist nicht wirklich Elektropop, geht aber in diese Richtung.»
Das wiederum ist natürlich Understatement. Mit der Mischung aus Eingängigkeit und Raffinesse, Organischem und Artifiziellem, Analogem und Digitalem sowie der gleichzeitigen Zuneigung zu schönen Harmonien und vertrackteren Strukturen zimmern sich L’Horée einen durchaus eigenständigen Auftritt. Verglichen mit seinem früheren Wirken fällt gleichwohl auf, wie sich Vincent Membrez einer leichter zugänglichen Musik zugewandt hat. Im Duo Qoniak mit Schlagzeuger Lionel Friedli frönte er der Improvisation und dem Abstrakten, und als Teil von Christy Doran’s New Bag stand er für eine eher sperrige Form des zeitgenössischen Jazz.
Mittlerweile hat er sich in Richtung Pop bewegt – ohne in seichten Mainstream zu verfallen, wohlverstanden. So begleitet er Sissy Fox bei deren rohem Elektropop ebenso wie die wundersamen Marey bei deren verwünschter Zaubermusik. Abstraktes sei ja cool zum Spielen, sagt er, aber eher anstrengend zum Hören. «Etwas Schönes zu machen ist auch mal ganz schön. Offenbar werde ich mit dem Alter lieblicher.»
Das wiederum bedeutet nicht, dass es sich Membrez bei L’Horée einfacher machen kann. Er sei Perfektionist, sagt er von sich, «ich mag es, die Dinge im Studio ganz genau vorzubereiten und auszuarbeiten».

«Nichts ist Playback»
Doch wie kriegt man diese hochgradig konstruierte, computerunterstützte Musik denn auf die Bühne, so dass gleichwohl ein Live-Erlebnis bleibt? Anderegg und Membrez haben ein Credo: «Nichts ist Playback.» Alles, was das Publikum hört, ist live eingespielt und wird dann geloopt – Tonspur für Tonspur wird also aufgeschichtet und wieder entfernt. Das kann zu kniffligen Situationen führen: «Manchmal weiss ich nicht mehr, womit ich einen bestimmten Klang im Studio eingespielt habe», sagt Membrez. Die Methode bringt es auch mit sich, dass manche Stücke leicht umarrangiert werden müssen. Sie enthalten also etwas weniger Elemente – «dafür ein Mehr an Gefühl», verspricht Membrez.
An der Plattentaufe vom Samstag im Nebia dürfte es an letzterem ohnehin kaum fehlen. Das Konzert wird nämlich von Live-Visuals umrahmt – und für einzelne Lieder holt das Duo einen 50-köpfigen Chor auf die Bühne.

Info: L’Horée: «Des voiles»(iGroove). Plattentaufe morgen Samstag, ab 19 Uhr, im Nebia, Thomas-Wyttenbach-Strasse 4, Biel. Doppelkonzert mit Olivia Pedroli, die ihr Programm «Les Volontés» aufführt.

Stichwörter: Konzert, Pop, Chanson, Biel, L'Horée

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