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Musik

Fällt jetzt die letzte Bastion?

Das Schweizer Opernstudio in Biel hat auf der Suche nach Werken von Komponistinnen tief
 in den Musikarchiven graben müssen – und dabei Erstaunliches zutage gefördert.

Mann und Frau: Das Geschlechterverhältnis unter den Komponierenden ist alles andere als ausgeglichen. Am Montag und Dienstag singen Studierende des Opernstudios für einmal nur Arien vonOpernkomponistinnen. Bild: Barbara héritier

Annelise Alder

Oper ist Männersache, zumindest was die Musik angeht. Dirigentinnen und Regisseurinnen haben in den Theaterhäusern längst Einzug gehalten. Sogar in der berühmten, aber in vielerlei Hinsicht konservativen «La Scala» in Mailand stand vor Kurzem erstmals eine Frau am Dirigentenpult. Aber Opernmusik von Komponistinnen? Es gibt sie, aber nur sehr vereinzelt. Die Opern der zeitgenössischen finnischen Komponistin Kaija Saariaho zum Beispiel erhielten in Salzburg oder Paris glänzende Kritiken. Der musikalische Alltag eines Opernsängers, einer Opernsängerin aber wird nach wie vor von Komponisten beherrscht – ausser bei den Studierenden des Schweizer Opernstudios in Biel. Diese gehen derzeit daran, diese letzte Männerbastion zu kippen.

 

Per Zufall auf spannende Entdeckungsreise

«Eigentlich bin ich per Zufall auf die Idee gestossen», sagt Mathias Behrends, Leiter des Schweizer Opernstudios der Hochschule der Künste Bern (HKB). Die Pandemie trug ebenfalls ihren Teil zu diesem aussergewöhnlichen Musikprojekt bei, das den Titel «She – Opernskizzen von Komponistinnen» trägt. Weil die weltweite Mobilität pandemiebedingt stark eingeschränkt ist, fanden die Aufnahmeprüfungen online statt. «Ich habe mir als Vorbereitung eine Tabelle zurechtgelegt und darin die Namen der Studierenden eingetragen samt dem Werk, das sie vorsingen.» Dabei sei ihm zum ersten Mal richtig bewusst geworden, dass keine einzige Arie von einer Komponistin stamme.

Das habe ihn stutzig gemacht, erzählt der Studiengangleiter, und ihn zu einem Projekt zu diesem Thema angeregt. Zusammen mit der Dramaturgin Maren Rieger machte er sich auf die Suche nach dem fast Unmöglichen, nämlich Opern von Komponistinnen aufzuspüren. Leicht wurde es den beiden nicht gemacht. «Es war ein sehr aufwendiger Prozess». Zuerst mussten Opernkomponistinnen ausfindig, dann ihre Werke in den Archiven aufgestöbert werden. «Wir konnten wegen der Pandemie nicht nach Mailand oder Paris reisen, um in Archiven zu recherchieren», erzählt der Studiengangleiter. Erschwerend kam hinzu, dass viele der entdeckten Partituren nur als Manuskripte existieren, sie also in eine lesbare Form gebracht werden mussten.

 

Publikum und Fachpersonen werden staunen

Matthias Behrends hat mit seinen Studierenden schon manche Operntrouvaille ans Tageslicht befördert, wie der Blick auf vergangene Projekte zeigt. Mit seine jüngsten «Opernskizzen» gelingt ihm einmal mehr eine Überraschung: Die Studierenden im ersten Semester des Masterstudiengangs singen ausschliesslich Arien und Szenen aus Opern von Komponistinnen.

Die meisten Werke dürften dem breiten Publikum unbekannt sein. Auch Fachleute werden staunen: Die Projektverantwortlichen haben nämlich erstaunlich vielfältige Werke zutage gefördert. Sie stiessen bei den zehn Studierenden des Masterstudiengangs, die notabene aus ganz unterschiedlichen Weltregionen stammen, auf grosse Begeisterung, wie Mathias Behrends erzählt. Ein Probenbesuch zeigt, dass allein die Szenen, Lieder und Arien von Ethel Smyth, Alma Mahler-Werfel oder von Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach unmittelbar berühren.

 

Ein Opernabend zum Thema «Suche nach der Befreiung»

Das ist schliesslich das Ziel dieser Opernskizzen. «Wir möchten, dass das Publikum den Opernabend geniesst und bislang unbekannte, aber schöne Musik entdeckt». Dass das Vorhaben gelingen dürfte, ist auch der Inszenierung dieser so unterschiedlichen Opernausschnitte durch Maren Rieger zu verdanken. Die Werke aus Barock, Klassik und Moderne fliessen auf organische Weise ineinander über. Erzählt werden dabei nicht konkrete Geschichten von Komponistinnen, die unterdrückt oder gar verleugnet wurden. Ausgehend von Francesca Caccinis Barockoper «La liberazione» geht es an diesem Opernabend vielmehr das übergeordnete Thema vom «Suchen und Ringen um Befreiung».

Begleitet werden die zehn jungen Sängerinnen und Sänger vom Pianisten Francesco Addabbo. Der Schlagzeuger Mathieu Casareale sorgt für zusätzliche musikalische Farben.

Ganz ohne coronabedingte Anpassungen gehen die diesjährigen Opernskizzen nicht über die Bühne. Doch haben sie für das Gesangsensemble und fürs Publikum Vorteile. Den angehenden Opernstars steht nämlich der gesamte grosse Saal im Volkshaus als Bühne zur Verfügung. So bleibt die Distanz zwischen den Akteuren gewahrt. «Intimität gibt es trotzdem, sie entsteht auf andere Weise, nämlich über die Musik», sagt Mathias Behrends. Er rät den Studierenden, diesen einmalig grossen Raum zu nutzen. Doch sie hat auch ihre Tücken: «Ihr dürft nicht auf den Boden schauen. Ihr müsst nach oben singen». Dort nämlich, auf der Galerie sitzt das Publikum. Es darf das aussergewöhnliche musikalische Spektakel aus der Vogelperspektive geniessen.

Link: www.hkb-playtime.ch

 

 

She – Opernskizzen von Komponistinnen.

Szenen aus Opernwerken von Sylvie Bodorová, Francesca Caccini, Adriana Hölszky, Undine Moore, Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, Ethel Smyth und Alma Mahler-Werfel. Es singen Mariia Alkhovik, Iria Arias, Helen Daniels, Lucija Ercegovac, Félix Le Gloahec, Andrei Maksimov, Oscar Rey, Marie Rihane, Jiajing Wang, Katharina Willi. Die Vorstellungen im Bieler Volkshaus finden am Montag und Dienstag, jeweils um 19.30 Uhr statt. Eine Anmeldung ist aufgrund der Zulassungsbeschränkung auf 50 Personen mit einer Mail an oper@hkb.bfh.ch notwendig. Es gilt die 2G-Regel mit Maske. aa

Stichwörter: Kultur, Oper, Studio, Biel, Theater

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