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Bern

"Fast ein italienischer Touch"

Das Alpine Museum exponiert sich mit einem Ausstellungsprojekt zu Nordkorea. Direktor Beat Hächler über heitere und heikle Momente in den Bergen des am stärksten abgeschotteten Lands der Welt.

Fast wie im Maggiatal: Nordkoreanische Ausflüglerinnen und Ausflügler in den Bergen von Kumgansan. Bild: Katharina Schelling

Interview: Jürg Steiner

Beat Hächler, ist es schön in den Bergen von Nordkorea?
Beat Hächler: Zweifellos. Wir besuchten etwa das Ausflugsgebiet Kumgangsan an der Grenze zu Südkorea, das als eines der schönsten Berggebiete ganz Asiens gilt. Es sieht dort fast wie im Maggia- oder Bavonatal im Tessin aus. Felswände, Granitblöcke, grünes Wasser, viele bunte Wandergruppen.
 
Unser Nordkorea-Bild ist geprägt von leeren Plätzen in Pyongyang, vom Führerkult um Diktator Kim Jong-un, von Mangelwirtschaft und drangsalierter Bevölkerung. Wie weltfremd ist es, sich auf das schöne nordkoreanische Berggebiet zu konzentrieren?
Die Antwort liegt schon in Ihrer Frage. Nordkorea ist bei uns mit wenigen krassen Bildern im Kopf, andere Zugänge sind uns quasi nicht möglich, weil wir keine anderen Bilder kennen. Meine Erfahrung aus den letzten zehn Jahren im Alpinen Museum mit Projekten zu Taiwan, Afghanistan oder dem Iran ist aber: Die Berge spielen in Gebirgsländern in alle Lebensbereiche hinein, in Wirtschaft, Bildung, Religion. Sie können deshalb zu einem Schlüssel für einen Zugang werden, wenn die Türe sonst verschlossen ist.

Wie kamen Sie darauf, dieses Modell auf den Extremfall Nordkorea anzuwenden?
Als ich 2014 die Biennale in Venedig besuchte, stiess ich im südkoreanischen Pavillon auf eine private Sammlung von Plakaten aus Nordkorea, und mir fiel auf, wie präsent Berglandschaften sind. Ich musste mir zuerst selber bewusst machen, dass Nordkorea ein Land ist, mit 25 Millionen Einwohnern dreimal so gross wie die Schweiz, das zu 80 Prozent hügelig oder gebirgig ist.

Was die Grundlage wurde für das Ausstellungsprojekt?
Der Gedanke war: Mit den Bergen hat die Schweiz eine Gemeinsamkeit mit Nordkorea, die vielleicht ein echtes Gespräch in Gang setzen kann, ohne dass die Warnlampen gleich auf Rot gehen.

Weil man die heissen politischen Themen ausblendet?
Es geht nicht um Ausblendung, sondern darum, auch die Menschen zu sehen, sich für ihre Sicht zu interessieren, ihnen zuzuhören und sie im O-Ton reden zu lassen. Wir reisten nicht mit einer vorgefertigten Analyse nach Nordkorea, um sie bloss noch zu bebildern.

Sondern?
Wir suchten den Dialog, mit echtem Interesse an den Menschen. Ein dialogischer Ansatz ist für mich die Voraussetzung, schwierige Fragen überhaupt zum Thema machen zu können. Das jetzt realisierte Projekt sucht die Auseinandersetzung – zunächst mit unserem Publikum, aber gerne auch mit der nordkoreanischen Botschaft. Ob es dazu kommt und was dabei herausschaut, wird die Erfahrung zeigen. Grundsätzlich: Was spricht dagegen, mit den Mitteln der Kultur das Gespräch zu suchen?
Nichts. Wobei es schon darauf ankommt, wie es die nordkoreanische Botschaft sieht.
Als ich dort das erste Mal anrief und mein Anliegen kurz skizzierte, wurde ich höflich gefragt, ob ich mich nicht verwählt habe und eigentlich die südkoreanische Botschaft suche. Unser Ansatz war für Nordkorea zweifellos gewöhnungsbedürftig. Es kam dann zu einem Gesprächstermin, und zwei Monate später erhielt ich einen Anruf aus Pyongyang. Man sei interessiert und bereit, sich darauf einzulassen.

Wie frei bewegten Sie sich auf ihren Reisen nach Nordkorea?
Wir waren von morgens bis abends betreut, in etwa so stelle ich mir eine Reise auf einem Kreuzfahrtschiff vor. Ab und zu macht man einen Landgang.

Zum Beispiel zum Tessin-ähnlichen Ausflugsgebiet Kumgangsan. Wen trafen Sie?
Die Leute sind unterwegs im Ausflüglerstil, mich erinnerte die Szenerie an Bilder aus den Fünfziger- oder Sechzigerjahren bei uns. Wir sahen Wandergruppen in kurzen Hosen, mitunter recht laut und heiter, es hatte fast einen italienischen Touch.

Die Vorstellung ist, dass da alle in Uniform im Stechschritt den Berg hochlaufen.
Das ist das Bild, das man im Kopf hat. Im Vergleich zu Pyongyang, wo die Leute so zackig unterwegs sind, dass man die Marschschulung herauszuspüren glaubt, war hier in den Bergen Entspannung spürbar, die Freude an der frischen Luft der Berge, recht ähnlich wie bei uns. Aber wenn sich die Leute von uns interviewen liessen, gehörte es stets dazu, dem Führer Kim Jong-un zu danken für die schöne Landschaft. Mit der Zeit wird der Dank zur Formel.

Wie frei redeten die Leute?
Unsere staatlichen Begleiter fungierten als Dolmetscher und bekamen alle Fragen und Antworten mit. Ich erinnere mich an eine skurrile Szene, Filmer Gian Suhner interviewte im Skigebiet Masikryong einen Skilehrer. Als das Gespräch auf seine Lieblingsskimarke kam, vergewisserte er sich kurz beim Dolmetscher, ob er das sagen dürfe. Dann antwortete er: Rossignol. Man spürte seinen inneren Clinch, dass er als einer, der weiss, wovon er redet, eine westliche Skimarke nennt.

Sie reisten auch zum 2700 Meter hohen Paektusan, an der Grenze zu China.
Dass es sich um einen Vulkan handelt, der noch aktiv und potenziell unruhig ist, macht den Standort in diesem heiklen Grenzgebiet erst recht speziell. Der Paektusan hat im buddhistischen Kulturraum seit Jahrtausenden eine tiefe Bedeutung, für die gesamte koreanische Halbinsel, aber auch für China.


Das nordkoreanische Regime verklärt ihn pseudo-religiös zum «Heiligen Berg der Revolution», das Geburtshaus des früheren Staatschefs Kim Jong-il wurde an den Berg verlegt.
Ja, in Pyongyang hängt an fast jeder Busstation ein Bild des Paektusan. Als wir auf die nordkoreanische Botschaft in Bern gingen, sahen wir als Erstes: ein Bild des Paektusan. Dass man vor Ort wunderschöne Sonnenaufgänge erleben kann, macht ihn zu einem spektakulären patriotischen Wallfahrtsort.

Wollte die nordkoreanische Botschaft Ihr Filmmaterial sichten, ehe es gezeigt wird?
Die Frage tauchte auf, als wir in Nordkorea waren, später auch seitens der Botschaft in Bern. Meine Antwort war stets: In unserem westlichen Kulturverständnis ist es nicht vorstellbar, dass ich als Macher den Inhalt der Ausstellung von einer politischen Instanz absegnen lasse. Das ist nicht verhandelbar.

Verstanden sie das?
Auch der Stiftungsrat des Alpinen Museums bekommt die Ausstellung erst zu sehen, wenn sie steht. Mir ist bewusst, dass dies für die nordkoreanische Seite nicht wirklich verständlich ist, aber die nordkoreanische Botschaft bestätigte, sie respektiere die künstlerische Freiheit des Museums. Auch bei der Ausreise aus Nordkorea wurde unser Filmmaterial nicht kontrolliert.

Werden sich die Nordkoreaner die Ausstellung ansehen?
Ich werde die nordkoreanische Botschaft einladen, selbstverständlich, sobald wir die Ausstellung eröffnen. Ebenso sollen unsere nordkoreanischen Reiseguides nach Bern eingeladen werden. Ich könnte mir eine Veranstaltung mit den Nordkoreanern vorstellen, wenn eine echte Diskussion möglich ist. Wünschbar ist, dass bestehende Bilder im Kopf herausfordert werden, eine produktive Neugier ausgelöst wird, die eine Auseinandersetzung ermöglicht. Bei uns, aber auch auf der nordkoreanischen Seite.

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