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Konzert

Flöte, Föhn und «Fool on the Hill»

Die Worte von «Yesterday» zur Melodie von «Ob-la-di, Ob-la-da»; Kasperli, der John Lennon kommentiert: Zum Eidg. Beatlesgedenktag machen aus dem Material der Fab Four ihre eigene Kunst.

Das ist kein Regierungskabinett – das sind Ruedi Häusermann, Herwig Ursin, Marco Käppeli und Philipp Läng (v.l.), die Zum Eidg. Beatlesgedenktag gerne eine John-Lennon-Brille aufsetzen.  zvg
Tobias Graden
 
Beatles oder Rolling Stones? Diese Frage konnte der Bieler Musiker Philipp Läng lange problemlos beantworten: «Ich habe die Beatles über meinen Vater richtiggehend aufgesogen», sagt er, «dafür bin ich ihm sehr dankbar. Meine eigenen Kinder habe ich dann auch gleich damit geimpft.»
Die Blütezeit der Fab Four hat Philipp Läng zwar erst aus zweiter Hand mitgekriegt. Mit Jahrgang 1964 ist er gerade ein paar Jahre zu spät auf die Welt gekommen, um diese Überband der 60er selber zu erleben. Dafür dauert seine Beschäftigung mit dem Quartett aus Liverpool umso länger an: Läng ist Teil der Formation, die sich Zum Eidg. Beatlesgedenktag nennt und sich bis heute mit dem Material der Beatles auseinandersetzt. 
 
Ohne seinen Sohn spielt er doch
Aber... es gibt doch keinen eidgenössischen Gedenktag für die Beatles? Die Gruppe hat ihren Ursprung am Metschgplatsch, einem traditionellen Jugendfest in Lenzburg. Ruedi Häusermann, Musiker, Komponist und Regisseur, wohnt seit je in Lenzburg, seine Garage liegt direkt am Festplatz in der Altstadt. In dieser Garage begann er vor über 40 Jahren, mit seinem Sohn am Schlagzeug am Metschgplatsch jeweils Beatles-Songs zu spielen. Das Duo lud jeweils so viel Publikum in die Garage, wie gerade reinpasste, schloss das Tor für 20 Minuten und interpretiere einige Lieder – und wiederholte dieses Prozedere pro Abend mehrfach. Der Name der Häusermannschen Band: Das legendäre Originalohnemeinensohnspielichkeinenton-Orchestra. 
Irgendwann hatte der Sohn aber genug davon und Häusermann brauchte Ersatz. Er stiess auf den Schauspieler und Musiker Herwig Ursin und auf Läng, als Schlagzeuger stiess Marco Käppeli hinzu. Es folgten Jahre in Lenzburg, über die Läng erzählt, als sei es ein Märchen: «So spielten wir Jahr für Jahr, es war eng, es war heiss, es war wunderschön.» 
 
Plötzlich ruft eine Frau an und beklagt sich
Und sie spielen noch heute, und zwar nicht nur in Häusermanns Garage. Auf dem Repertoire basierend schrieb Häusermann gar das Theaterstück «Long-Slow-Fade», welches das Quartett im Zürcher Schiffbau aufführte. Darin zeigte das Quartett Möglichkeiten, wie die Beatles-Kompositionen hätten entstehen können – eine 30-minütige Inszenierung, eine Mischung aus Theater und musikalischer Improvisation.
Zum Eidg. Beatlesgedenktag können auf die damit gemachten Erfahrungen zurückgreifen, ebenso auf Experimente, die nicht klappten, wie jener mit den Käfern: «Das ging vollkommen schief, aber es war ein guter Versuch», sagt Philipp Läng.
Man darf sich das Quartett nämlich keineswegs bloss als vielleicht etwas eigenwillige Coverband vorstellen. Die Gruppe geht zwar von der Musik der Beatles aus, doch ist diese nur ein Teil der Mittel, die sie braucht, um ihre eigene Kunst zu schaffen. Dabei wird durchaus zitiert, das Material der Beatles auch mal spielerisch verfremdet, es wird damit fast ein bisschen Schabernack getrieben. So erklingen beispielsweise die Worte von «Yesterday» zur Melodie von «Ob-la-di, Ob-la-da». Oder es erklingt plötzlich der Telefonanruf einer Frau, die sich beklagt, sie komme im vorgespielten Song vor. An skurrilen Momenten fehlt es ohnehin nicht. Läng, der Tüftler, hat zum Beispiel eine Flötenorgel gebastelt, die sich mit einem Föhn bedienen lässt – und damit spielt er das Solo aus «The Fool on the Hill».
 
Es ist Kunst, und doch darf man lachen
Meistens aber hantiert Philipp Läng an seinen zwei Plattenspielern, mit denen er interveniert, begleitet, konterkariert. Er habe nicht zuletzt die Aufgabe, dann einzugreifen, wenn es pathetisch zu werden drohe, sagt Läng mit einem Augenzwinkern. Da kann es schon mal sein, dass er ein Trompetensolo von Herwig Ursin ergänzt mit Jazz à la Coltrane, den er vor Jahren mal vom Saxophonisten Donat Fisch erhalten und auf Platte geschnitten hat. Mit Beatles-Platten arbeitet er dabei fast gar nicht, eher noch kommen Enrico Caruso oder Kasperli vor. Aus dem Beatles-Material erwächst also ein Improvisationskonzert, «und die schönsten Momente sind dann, wenn’s unvermittelt super passt», sagt Philipp Läng. Seine Rolle ist also nicht die eines DJs, sondern er agiert als Musiker, der nach Gefühl interveniert. Was insgesamt dabei wächst, sei dem Beatles-Stück «Revolution Nr. 9» nicht ganz unähnlich.
Dabei können komische Momente entstehen, und, ganz wichtig: Das Publikum darf lachen – was an einem Impro-Konzert sonst eher selten geschieht. Als Persiflage oder Parodie ist das Programm aber nicht zu verstehen. «Wir meinen es ernst!», betont Läng, und die langjährige Verehrung der Beatles durch die Musiker ist echt. 
Dass das Quartett heute in Biel auftritt, ist in gewisser Weise auch Corona zu verdanken. In der Pandemie hat das Quartett nach neuen Auftrittsformaten gesucht. Statt wie früher drei mal 20 Minuten spielt es jetzt eine Stunde lang, «und da ist immer noch viel Theater drin», sagt Läng. Das funktioniert im Kunsthaus Aarau, das funktioniert sicher auch heute Abend im Literaturcafé. Wo sieht und hört man schon eine Walze mit Saiten drehen, die, berührt mit einem Geigenbogen, den Anfang des Songs «Because» spielt, bevor dann vier Freigeister mehrfach vom Universum der Beatles in ihr eigenes reisen, hin und zurück? 
Info: Konzert heute Abend 21 Uhr im Literaturcafé, Obergasse 11, Biel. Kollekte, Richtpreis Fr. 20.-.

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