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«Für Rock sind wir zu soft, für Jazz zu hart»

Sie lassen sich musikalisch nicht einordnen und bedienen sich der ganzen Bandbreite der 90er-Jahre-Popkultur. Trois Imaginaires sind grandios verspielte Musiker, lieben Comics und treten diesen Samstag in der Alten Landi Vinelz auf.

Sie sind 90ies-Kids, feiern Gameboy und Gorillaz, und nennen sich auch schon mal Nerds. Bild: zvg
  • Dossier
Vera Urweider
 
«Wir spielen Manga-Jazz», gibt er häufig zur Antwort. «Was ist das?», hört er dann jeweils. Dann merkt er: «Eigentlich weiss ich auch nicht so genau, was das ist, was wir machen.» Er lacht. Schielt leicht nach oben. Überlegt. Nimmt Anlauf für den nächsten Satz. Lacht wieder und meint: «Aber das ist cool. Es ist eigentlich genau das, was ich immer wollte. Einfach spielen. Und nicht eingeordnet werden.»
 
Anatole Buccella ist Gitarrist. Jazzgitarrist. Und Jazzgitarrenlehrer. Das ist das, was er studiert hat. Nach der Sekundarschule in der Bieler La Suze und der Matura am See besuchte der ursprünglich aus Plagne stammende erst die Hochschule der Künste in Bern, studierte dann in Finnland, Schweden und Dänemark, mit Abschluss des Nordic Jazz Masters, und schliesslich landete er noch an der Hochschule der Künste in Zürich. Jazzgitarre also. Und es ist auch, was er oft spielt. Doch eben: oft. Nicht immer.
 
Gemeinsam mit dem Drummer Samir Boehringer aus Kreuzlingen und dem Bassisten Pino Zortea aus Biel, bricht Buccella regelmässig aus dem Jazz aus. In fast alle Richtungen. Die drei 90ies-Kids lernten sich im Studium kennen, jamten und als Buccella 2016 zum internationalen Gitarrenfestival «Guitarras del Mundo» in Biel eingeladen wurde, sagte dieser zu und meinte: «Ich komme mit einem Trio.» Nicht etwa ein Gitarren-Trio, nein. Ein Gitarren-Drum-Bass-Trio. «Das war unser Anfang», so Buccella. Aus dem spontanen Projekt wuchs eine Beständigkeit. «Und heute sind wir eine Band.» Eine, die zwar noch immer vor allem in der Jazzszene und auf Jazz-Events gebucht wird, auch sehr jazzig daherkommt, doch eben nicht nur. Immer wieder überraschen sie das Publikum. Plötzlich säuselt eine Ballade. Oder es wird rockig. Gar punkig. Und dann, dann erklingt auf einmal die Melodie wie aus einem Computerspiel.
 
Imaginaire Collectif
«Trois Imaginaires» heissen sie zusammen. Eigentlich sollten sie «Trio Imaginaire» heissen, «doch irgendein Veranstalter hatte uns falsch geschrieben». Buccella lacht schon wieder. «Ab da hiessen wir halt ‹Trois Imaginaires›. Hauptsache drei.» Und irgendwie klingt dies ja auch mehr nach einem Bandnamen, als das Wort «Trio», das oft in der Klassik und im Jazz als Ensemblebezeichnung benutzt wird, analog zu Duo oder Quartett. Die Bezeichnung «Band» ist Buccella denn auch sehr wichtig. «Als Jazzer spielst du in vielen verschiedenen Projekten, oft in einer zusammengewürfelten Formation, nur für einen Abend oder so. Das mag ich auch. Ich hab auch immer wieder Lust, Sideman zu sein.» Doch eben: «Für mich ist es aber tatsächlich wichtig, eine fixe Band zu haben. Das gibt Tiefe. In der Musik. Und in der Beziehung untereinander.»
 
Die Mitt-/Endzwanziger verbindet aber nicht nur die Liebe zur Musik und die daraus gewachsene Freundschaft. Nein, es ist eine ganze Welt, die die drei vereint. Eine Welt der Imagination. Der Comics. Der Zeichentrickfilme. Der Computerspiele. Gameboys. Filme und Bücher ihrer Jugend. Kurz: der Popkultur. Und eben: Mangas. Die japanische Comic-Kultur. «Ich liebe die Präzision und die Einfachheit der Popkultur», so Buccella. «Doch Popmusik machen wir nicht.» Was dann? Irgendwie rockige Gitarrenriffs, mit der Freiheit des Jazzes. Form und Harmonie scheinen auf das erste Ohr einfach. Doch wechseln sie eklektisch. «Trois Imaginaires» bedienen sich überall, wo sie gerade wollen, und setzen es neu zusammen. Obwohl man es schlicht nicht einordnen kann, nimmt es einen mit. Auf eine Reise, auf ihre Reise, in ihre eigene Welt der Imagination. «Im Französischen gibt es den Begriff imaginaire collectif. Das kann man kaum übersetzten», so Buccella zur Bandnamenwahl. Übersetzt man es sinngemäss landet man bei «gemeinsame Vorstellungskraft». Doch die französische Bedeutung geht weiter. «Alles, was man sich ausdenkt, hat eine Wirkung auf die Realität», versucht Buccella weiter zu erklären. «Man denkt sich etwas aus, um die Realität zu beschreiben. So, wie es schon die alten Mythen gemacht haben.» Stille. Vielleicht denken sich «Trois Imaginaires» ihre Musik aus, um eben gerade aufzuzeigen, dass es kaum Grenzen gibt? Dass vieles möglich ist? «Wir wollen Musik machen mit dem grösstmöglichen Umfang.»
 
Gameboy-Musiker
In der Welt der Video- und Computerspiele, Filme und Comics zu Hause, erstaunt es denn auch nicht, dass die virtuelle britische Band Gorillaz – 1998 gegründet, also fast gleich alt wie die drei Imaginären – eine starke Faszination auf die jungen Männer auslöste. Eine Band, die aus vier Comicfiguren besteht. «Ich glaube, jeder von uns, wollte auch gerne mal so eine Figur sein», sagt Buccella. «Oder eine Computerspiel-Figur. Ja, wir sind schon ein bisschen Nerds», sagt er, und relativiert sogleich: «Aber ‹Nerd› bedeutet ja eigentlich nur, dass man in irgendetwas sehr vertieft und gut ist.»
 
Gut sind sie allemal. Transportieren Freude von der Bühne ins Publikum oder in ihrem neusten Musikvideo «Gaming Memories», in dem sie ein – wie könnte es anders sein – Gameboy-Spiel interpretieren. Ob es irgendwann mal Visuals gäbe auf ihren Konzerten? Oder sie ganz in Trickfilmfiguren verschwänden, wie eben Gorillaz? Wohl (noch) nicht. «Visuals sind vielleicht eine Idee. Irgendwann. Doch die Musik steht bei uns schon ganz klar im Zentrum», sagt er. Ganz lassen können die drei die imaginäre Welt aber eben doch nicht. Derzeit arbeiten sie an einem neuen Musikvideo, inspiriert von der neunziger Kultserie «Twin Peaks».
 
Einen Wunsch allerdings hat Anatole Buccella noch. Einen grossen und einen noch etwas grösseren sogar. Erst der grosse: Ein passendes Label finden für das eigentlich seit acht Monaten fertige Album. Das ist wohl der Preis, den sie bezahlen, sich musikalisch so frei zu bewegen. «Für Rock sind wir zu soft, für Jazz zu hart», sagt er. «Daraus wachsen manchmal schon Selbstzweifel.» Doch sie bleiben ihrer Linie treu. Und irgendwann erfüllt sich ja dann vielleicht sogar der noch grössere Wunsch: einmal die Musik zu einem Videospiel zu komponieren und selber einzuspielen. «Das wäre richtig cool!»

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