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Tanz

Gebändigte Leidenschaft und starke Bühnenpräsenz

Das Tanzfestival Steps, das derzeit durch 30 Schweizer Städte tourt, hat vergangene Woche in Biel Halt gemacht. Mit der São Paulo Dance Company und dem Duo Molina/Wang präsentiert es zwei gegensätzliche Exponenten des zeitgenössischen Tanzes.

Tanzfestival Steps: Die Spanierin und die Deutsch-Asiatin kontrastieren farblich und kulturell. zvg

Annelise Alder

Zuerst ertönen geheimnisvoll nachhallende Klänge. Sie scheinen aus der Weite des Kosmos oder aus den Tiefen des Meeres langsam auf die irdische Oberfläche zuzusteuern. Eine Tänzerin taucht unvermittelt auf, erkundet tastend den Boden und gleichzeitig erspürt sie mit ihren Bewegungen und Verrenkungen alle Fasern ihres menschlichen Körpers. Vom Anfang, aber auch vom Wandel erzählt «Gen», die erste von vier Choreographien, die die São Paulo Dance Company bei ihrem Gastspiel in Biel vorstellt. Das Stück ist die eigene Geschichte der Choreographin Cassi Abranches, ihr Wandel von der Tänzerin zur Choreographin.

Geschmeidig und lässig

Das Ballett «Gen» kann auch anders gedeutet werden. Als Wandel, den der klassische Tanz im Laufe der letzten 100 Jahre durchlaufen hat. Die São Paulo Dance Company, die am Donnerstag im Théâtre Palace aufgetreten ist, bietet bestes Beispiel dafür. So bilden klassische Tanzdisziplin, Schrittkombinationen und Hebefiguren die Basis der Kompanie. Dazu gehört auch der Wechsel zwischen Pas de deux und Sequenzen mit dem Corps de ballet. Doch da sind auch die äusserst geschmeidigen Bewegungen, gar die Lässigkeit, mit der die südamerikanischen Tänzerinnen und Tänzer sich auf der Bühne bewegen und das Publikum verführen. Auch die rhythmusbetonte Musik und die Kostümierung im schlichten Schwarz verleihen der ersten Darbietung ihr modernes Gepräge.

Neues tänzerisches Terrain wird vor allem in «Céu Cinzento» erkundet. Der von der Seite eintreffende Lichtstrahl lässt eine Frauenfigur im Wahnzustand aufscheinen: Zuckend, mit grotesken Bewegungen scheint sie, später zusammen mit ihrem Bühnenpartner, um Liebe und Leben zu ringen. Eine moderne «Romeo und Julia»-Lesung, deren beklemmende Deutung die repetitive Musik unterstreicht.

Liebeswerben

Um Sehnsucht und Begehren geht es auch in «Mamihlapinatapai». Das Wort aus der Sprache der Ureinwohner Feuerlands umschreibt das Werben zwischen Mann und Frau, wobei die Sehnsucht nicht immer gestillt wird. Voll gebändigter Leidenschaft und mit geschmeidigen, weich ineinanderfliessenden Bewegungen vollführen die Mitglieder der südamerikanischen Kompanie dieses Liebeswerben, beflügelt wohl auch vom wehmütigen Gesang der hinreissenden Brasilianerin Marina de la Riva.

Das letzte Stück des Abends schliesst den Bogen zum Anfang. «Gnawa» geht nicht nur musikalisch auf eine archaische afrikanische Welt zurück. Das Ballett erzählt von rituellen, tranceartigen Tänzen einer vorislamischen Religionsgemeinschaft, die an Geister glaubt und die mit ihren Riten an die Ursprünge der Welt erinnern.

Flamenco versus Hip-Hop

Die facettenreichen klassisch-modernen Darbietungen des südamerikanischen Tanzensembles bescherten dem Théâtre Palace am Donnerstag ein ausverkauftes Haus. Im Gegensatz dazu «Felahikum» am Sonntag. Eine einzige Choreographie, bei der zwei aussergewöhnliche Frauen aus ganz unterschiedlichen Tanzkulturen sich gegenüber stehen: Das mag weniger attraktiv erscheinen als südamerikanisches Tanztemperament. Der Abend gerät jedoch zum Ereignis, besonders durch die starke Bühnenpräsenz der spanischen Flamencotänzerin Rocío Molina. Sie hat allerdings einen schweren Stand, denn sie sieht sich mit einer Tänzerin konfrontiert, die nicht nur farblich kontrastiert. Mit ihren abrupt hochfahrenden Bewegungen oder Drehungen am Boden um die eigene Achse scheint sie mehr wie eine Marionette denn wie eine Tänzerin zu agieren. Leise, ohne mit ihren Zapateados, ihren beschlagenen Schuhen Klickgeräusche zu verursachen, nähert sich die Flamencotänzerin ihrem Gegenüber. Sie heisst Honji Wang, ist eine deutsche Tänzerin und Choreographin mit koreanischen Wurzeln. Wang hat sich in Kampfsportarten weitergebildet und sich intensiv mit Hip-Hop beschäftigt.

Die Deutsch-Asiatin lässt sich von der stolzen Spanierin gerne vorführen, greift ab und zu dennoch eine ihrer Bewegungen auf, um sie nachzuahmen und weiterzuentwickeln. Mit Schalk und Gewitztheit begegnet Honji Wang dem immer dringlicher werdenden Händeklatschen und Schuhetrommeln der Flamencotänzerin. Immer wieder neuen Anlauf nehmend bewegen sich die beiden Bühnenpersönlichkeiten langsam auf einander zu. Darum bemüht, sich besser zu verstehen und sich «in der Andersartigkeit des Anderen wiederzufinden», wie es im Programmtext heisst. Die Musik unterstützt ihr Bestreben: Im Jazz finden die beiden erstmals eine sie verbindende Sprache.

«Felahikum», eine arabische Bezeichnung für Flamenco, steht exemplarisch für die Begegnung zweier unterschiedlicher Kulturen und dem Versuch, das Fremde zu verstehen und zu akzeptieren. Dass Neugierde, Witz und Toleranz dazu wichtige Voraussetzungen bilden, führt das Stück deutlich vor. Mit dieser Parabel setzt das Tanzfestival Steps des Migros Kulturprozent ein in seiner gesellschaftspolitischen Dringlichkeit starkes Zeichen.

Link: www.steps.ch

Stichwörter: Steps, Tanz, Festival, Show, Kultur, Ballett

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