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Kunst

Gedruckt und gerastert

Das Kunsthaus Grenchen präsentiert in einer Doppelschau Schweizer Druckgraphiken und thematisiert unter dem Titel «Prominent? Andy Warhols ‹Goethe› und andere Berühmtheiten» das Porträt als Kunstgattung. Anregend und aufschlussreich zugleich.

Haar, Augen und Gesichtsausdruck: Das sind die auffälligen Schönheits-Attribute in den Arbeiten von Christian Vetter. Danzu gehört auch «Larissa»

Annelise Alder

«Prominenz ist keine Erfindung Hollywoods», sagt Claudine Metzger, die künstlerische Leiterin des Kunsthaus Grenchen. Bereits im antiken Rom gab es Leute, die von anderen bewundert wurden und solche, die sich selbst inszenierten, damit sie von ihren Mitmenschen zumindest beachtet, noch lieber aber verehrt oder sogar gefürchtet werden. Freilich unterscheiden sich die Mittel der Selbstinszenierung. Damals liessen sich Cäsar und andere antike Herrscher auf Münzen verewigen, so dass auch in den Aussenposten des riesigen Reichs allen bewusst war, wer das Sagen hatte.

Auch Mao, der Gründer der Volksrepublik China, liess sich auf einem Zahlungsmittel, nämlich einer Banknote verewigen. Dem erklärten Antikapitalisten war wohl nicht bewusst, dass er mit dem Geldschein den Inbegriff des Kapitalismus wählte. Ian Anüll, der 1948 in Sempach geborene Künstler weist in seinem Inkjetdruck mit dem Titel «Mao», die in der aktuellen Schau im Kunsthaus Grenchen zu sehen ist, auf die Ironie dieser Tatsache hin.

 

Facetten von Porträts
Das Porträt, das als Kunstgattung eine jahrhundertealte Tradition hat, erlebt heute im Zeitalter von Selfie und Selbstvermarktung einen unerwarteten Boom. Das Kunsthaus Grenchen fächert in seiner neuen Schau mit dem Titel «Prominent? Andy Warhols ‹Goethe› und andere Berühmtheiten» verschiedene Facetten von (Selbst-)Porträts auf und fragt auch nach dessen Schattenseiten.

Die Ausstellung fokussiert auf Druckgrafiken von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern und schafft damit weitere Bezugspunkte: Einerseits zum 100-jährigen Bestehen der Schweizerischen Graphischen Gesellschaft (SGG). Druckgrafiken sind deshalb auch in der Villa Girard zu sehen, die an den Neubau des Kunsthaus Grenchen angrenzt. Es sind Leihgaben des Kunstmuseum Olten. Die Auswahl zeigt Arbeiten quer durch die Jahrzehnte (siehe Zweittext).

Zudem spannt das Kunsthaus Grenchen mit der 21. Triennale Grenchen zusammen. Unter dem Titel «Tendenzen der Vervielfältigung» beleuchtet die Kunstgesellschaft Grenchen die Erweiterung der klassischen Druckgrafik nicht nur in Richtung digitale Technik. So sind auch Arbeiten im Bereich Design, Mode und Tattoo zu sehen.

Im Zentrum der Ausstellung im Neubau des Kunsthaus Grenchen steht Andy Warhols Porträt von Goethe aus dem Jahre 1981/1982. Mitten im grossen Saal, bei leicht gedämpftem Licht, prangt das «Renommierstück», so Claudine Metzger.

Prominent?, mag sich manch junge Museumsgängerin fragen. Goethe würde man heute im allgemeinen Sprachgebrauch kaum als prominent bezeichnen, obwohl der Name wohl vielen bekannt ist. Zu seiner Zeit war der Schriftsteller tatsächlich berühmt. So reiste er unter einem Pseudonym nach Italien, um nicht erkannt zu werden. Vor allem aber schien der Dichterfürst auch Wert auf Selbstinszenierung zu legen, wie das Porträt von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein zeigt, das Warhol als Vorlage diente. Das Fragezeichen hinter dem Motto der aktuellen Ausstellung «Prominent?» ist deshalb bewusst gesetzt. Das Wort meint nämlich nicht nur berühmt, etwa in kulturgeschichtlicher Hinsicht. Populär und «in aller Munde» gehören ebenso zu den Synonymen. Das sind freilich Kategorien, die an Film, Fernsehen und den digitalen Medien gebunden sind.

Die Schauspielerin Sarah Bernhardt etwa gehört in diese «prominente» Kategorie. «Sie war einer der ersten, die an ihrer Bekanntheit bewusst gearbeitet hat», sagt Claudine Metzger. Sie machte als eine der ersten Tonaufnahmen von sich und spielte in Filmen mit. Ihr hat Roger Pfund mehrere seiner Arbeiten gewidmet. Meistens sind es Fotografien, die er auf Lithografien übertrug und bearbeitete. Ein Produkt der Massenmedien ist auch Marilyn Monroe. Die Fotografie der Schauspielerin von Tom Kelley in der ersten Ausgabe des «Playboy» 1949 ist das Vorbild für den ebenso schlichten wie raffinierten Schurdruck von Markus Raetz.

 

Vielfalt an Drucktechniken
Die Ausstellung, die gleichzeitig auch eine faszinierende Vielfalt an druckgrafischen Techniken präsentiert, dehnt den Begriff der Prominenz in verschiedene Richtungen aus: Öffentliche Anerkennung ist unabdingbar mit dem Begriff verbunden. Das zeigt allein die freche Paraphrase von Edouard Manets «Le déjeuner sur l’herbe» durch Joëlle Flumet.

Doch sie hat auch ihre Schattenseiten, wie die Arbeit von Yves Netzhammer vor Augen führt. Mit der Software von Gesichtserkennungsprogrammen entwirft der Schweizer Computerkünstler abstrakte Physiognomien zwischen Mensch und Tier, Mann und Frau. Seine Arbeit «Gesichtsüberwachungsschnecken», welche in der Ausstellung als Dokumentation gezeigt wird, dürfte in der Wiener U-Bahn-Station, wo sie hängt, manch Denkanstoss, aber auch manch Schmunzeln hervorrufen.

Schliesslich sind auch Porträts jenseits der erwähnten Kategorien zu sehen. Die Siebdruck-Serie von Anton Bruhin stellt die Schönheits-Attribute Haar, Schminke und Gesichtsausdruck zu Debatte, derweil Jean Crotti in seinen Holzschnitten den Schönheitswahn ironisch unterwandert. Einige Installationen ergänzen die grafischen Arbeiten wie etwa Pipilotti Rists Installation «Open my Glade», die der grassierenden Selbstinszenierung groteske Seiten abgewinnt. Gespannt darf man auch auf Tobias Gutmann sein. Er wird am 16. September vor Ort sein «Face-o-mat», eine Art analoger «Fotoautomat», bedienen.

Info: Die Ausstellung dauert vom 19. August bis 28. Oktober. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag, 14-17 Uhr, Sonntag, 11-17 Uhr. Angeboten werden auch Führungen. Am 16.9. findet eine Performance von Tobias Gutmann («Face-o-mat») statt. An der Finissage am 27.10. spielen Frankie & Tony. Weitere Informationen zur Ausstellung sind unter www.kunsthausgrenchen.ch zu finden.

 

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«Von Menschen und Dingen»
Das Kunsthaus Grenchen ist seit 2016 Mitglied der Schweizerischen Graphischen Gesellschaft (SGG). Die SGG wurde 1918 zum Zweck der Förderung zeitgenössischer, vornehmlich schweizerischer Originalgraphik gegründet, und feiert heuer sein 100-Jahr-Jubiläum mit einer umfassenden Publikation und mit Ausstellungen in verschiedenen Häusern ihrer Mitglieder.

Unter dem Titel «Von Menschen und Dingen» ist im Kunsthaus Grenchen eine Auswahl aus verschiedenen Jahrzehnten zu sehen, darunter ein Blatt von Paul Klee, die expressionistische Holzschnittserie des Kirchner-Zeitgenossen Hermann Scherer oder die neunteilige Folge von Kaltnadelarbeiten «Soldaten, Frauen + Tiere» der Basler Künstlerin Miriam Cahn. aa

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