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Oper

Grosse Wirkung dank kleinem Format

Mit den beiden Einaktern «La notte di un nevrastenico» von Nino Rota und «Gianni Schicchi» von Giacomo Puccini setzt das Theater Orchester Biel Solothurn einen lustvollen Saisonakzent.

Gespannt horchen die Angehörigen der Testamentseröffnung. Ben Zurbriggen/zvg

Annelise Alder

Eigentlich ist es erstaunlich, dass die Gattung des Operneinakters nicht öfter auf den Spielplänen der hiesigen Opernhäuser erscheint. Denn Oper in konzentrierter Form würde dem Zeittrend nach Verdichtung und Verkürzung entsprechen. Die Gattung wurde denn auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts populär, also mit der beginnenden Moderne und ihren negativen Begleiterscheinungen wie Hektik und stressbedingten Krankheiten.

Bezugnehmend auf diesen Zeitkontext macht es deshalb Sinn, dem herausragenden Spätwerk «Gianni Schicchi» von Giacomo Puccini aus dem Jahre 1918 den wenig bekannten Einakter «La notte di un nevrastenico» von Nino Rota entgegensetzten. Denn darin geht es um einen Mann, der an Neurasthenie, also an Nervenschwäche leidet, einer um die Jahrhundertwende erstmals so benannten Zivilisationskrankheit. Dem tristen Sujet zum Trotz handelt es sich beim Werk Rotas wie auch bei «Gianni Schicchi» um Komödien in bester Buffotradition.

Mildernde Umstände

Gianni Schicchi, die Hauptfigur in Puccinis gleichnamigen Einakter, bittet am Schluss der Vorstellung das Publikum allerdings um mildernde Umstände für sein Verhalten. Was war geschehen? Der etwas tolpatschige, aber gerissene Gianni Schicchi hat eine wohlhabende, aber dekadente und geldgierige Florentiner Familie dank einer List um ihr Erbe gebracht. Sein Antrieb erfolgt allerdings nicht nur aus reinem Eigennutz. Er hat auch das Glück seiner Tochter im Visier, die nun ihre grosse Liebe heiraten kann.

Das Publikum kann sich dem einnehmenden Charme des Gianni Schicchi jedenfalls nicht entziehen. Auch gönnt es dem jungen Liebespaar ihr Glück und findet es insgeheim Recht, dass der raffgierigen und egoistischen Verwandtschaft des verstorbenen Buoso Donati, an deren Spitze die standesbewusste und hochmütige Zia steht, eins ausgewischt wird.

Das Publikum drückt denn auch gerne ein Auge zu, auch weil Michele Govi mit allen Fasern seiner Persönlichkeit die Rolle des Gianni Schicchi ausfüllt. Hinreissend, wie er sich ins Fäustchen lacht während die Verwandtschaft ob des für sie ungünstigen Testaments verzweifelt. Sichtlich mit Genuss zieht er die Fäden seines Intrigenspiels und gibt nebenbei noch den liebevollen Vater. Seinem jovialen Gemüt, passend dazu eine frisch-grüne Lederjacke (Kostüme von Dorothee Scheiffarth), stehen die schwarz gekleideten habgierigen Verwandten gegenüber, angeführt von Zia (Susannah Haberfeld in passend arroganter Attitüde). Das commedia dell’arte-artige Figurenensemble wird durch den jugendlichen Rinuccio (überzeugend: Gustavo Quaresma) und seiner geliebten Lauretta komplettiert. Clara Meloni verleiht ihr einen modernen Anstrich, gleichwohl geht ihr berühmtes «O mio babbino caro» zu Herzen.

Moderne versus Eklektizismus

Das Sinfonieorchester Biel Solothurn unter der engagierten Leitung von Marco Zambelli gelingt es, die vielschichtige Partitur breit aufzufächern: Dabei geraten die für Puccini typischen süssen, weiten Melodiebögen nie zu sentimental, die plappernden buffonesken Passagen entfalten sich ebenso wirkungsvoll wie die herrlichen Ensembleszenen. Zambellis pathosfreie Partiturauslegung lässt Puccini zu Recht nicht als nostalgischen Spätromantiker erscheinen, sondern als Wegbereiter der musikalischen Moderne.

Nino Rota dagegen, dessen Operneinakter «La notte di un nevrastenico» 1959 entstand, knüpft musikalisch nicht an die Musik seiner Zeit. Auf eklektische Weise lässt er Prokofiev oder Gershwin anklingen und zitiert mit dem Blues aus «La dolce vita» gleich auch sich selbst. Die Fachwelt hat ihn dafür mit Verachtung bestraft. Doch Marco Zambelli und das Ensemble im Orchestergraben zelebrieren lustvoll den Esprit und den rhythmischen Drive dieser Musik und offenbaren grosses Gespür für ihre szenische Wirkung. Es knallt (Aufprall des weggeworfenen Schuhs) und schrillt (Wecker morgens um 6 Uhr) und schmerzt, letzteres in Form von scharfen Dissonanzen, wenn die körperlichen Qualen des Protagonisten besonders heftig sind.

Ironisch gebrochen

Ratlos lässt einen dagegen die Handlung zurück: Der Neurastheniker mietet in einem Hotel nicht nur ein Zimmer, sondern gleich die Nachbarräume dazu, aus Angst, nachts gestört zu werden. Doch der geldgierige Portier vermietet die Zimmer gleichwohl. Mit einem Liebespaar und einem Schuhfetischisten als Nachbarn – beide halten sich nicht an die verordnete Ruhe – beginnt für den lärmempfindlichen Mann eine Leidensnacht, die mit dem Schrillen des Weckers um
6 Uhr morgens ihren traurigen Höhepunkt erreicht.

Eine schräge Handlung ist das, die auf der tatsächlich schrägen Bühne zum Glück ironisch gebrochen wird (Inszenierung und Bühne: Andreas Zimmermann und Marco Brehme). Nur zwei von drei Zimmern sind klar erkennbar, für die szenische Logik sorgt dann die hervorragende Lichtführung. Den sicht- und hörbaren Leiden und Ängsten der Protagonisten werden Aufruhr (Rolling Stones-Logo auf dem T-Shirt des Nevrastenico) und Lebenslust auch im fortgeschrittenen Alter (Liebespaar) entgegengehalten. Für ihre adäquate Umsetzung sorgt das von Félix Duméril überzeugend choreographierte Ensemble, allen voran Michele Govi als lärmempfindlicher Hypochonder, Clara Meloni und Gustavo Quaresma als schrulliges Liebespaar und Konstantin Nazlamov als zwanghaften Commendatore.

Info: Weitere Daten in Biel: 10., 12. und 29. Januar, 1. und 3. Februar, 3., 5. und 7. März. Eine Übersicht über die Aufführungen in Solothurn sowie Tickets unter www.tobs.ch.

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