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Biel

Herrenlose Sofas als Kunstobjekte

Ein Künstlerpaar fotografiert zum Spass ausgediente Sitzgruppen an Biels Strassenrändern – und stellt die Bilder ins Netz.
Was im Seeland begann, hat inzwischen Nachahmer auf der ganzen Welt gefunden.

Während zwei Jahren haben Esther Schmelcher und Philipp Läng die Sofas in Biels Strassen mit den Kameras ihrer Smartphones dokumentiert. Bild: zvg

Clara Sidler/pl

Nachdem Philippe Läng nach Biel gezogen war, wunderte er sich über die vielen herrenlosen Polstergruppen, die achtlos am Strassenrand hingestellt werden.

Nicht dass den Musiker schmuddeliges und schadhaftes Mobiliar aus der Fassung gebracht hätte: Vielmehr erkannten Läng und seine Partnerin Esther Schmelcher in den abgelebten Requisiten der Wegwerfgesellschaft flüchtige Kunstwerke, sozusagen «temporäre Installationen» (das BT berichtete).

So machten sich die zwei daran, zurückgelassene Polstermöbel in ihrem urbanen Umfeld mit dem Smartphone zu fotografieren. Zwischen 2016 und 2017 entstand auf diese Weise eine Kollektion von 144 Postkarten, die als drei Sammelbände mit einer Auflage von je 200 Stück veröffentlicht wurde. Jede Karte kann von der Unterlage abgelöst und einzeln verschenkt werden. «Eine gute Idee für ein Mitbringsel unter Freunden. Allerdings würde ich diese Bilder meiner 90-jährigen Tante nicht zumuten»,sagt die Bildhauerin Esther Schmelcher und lacht.

Hat Biel ein Abfallproblem?
Auf den Fotografien des Künstlerpaars findet man alle möglichen Polstergruppen: Einige sind noch in sehr gutem Zustand, andere sind hingegen völlig zerstört. Manchmal stiessen die beiden auf Mobiliar, das vollends aus der Zeit gefallen ist. «Was für Geschichten haben sich wohl im Umfeld dieser Möbel zugetragen?», fragt sich Schmelcher. Immerhin sei die Sitzgruppe ein Mittelpunkt im Leben vieler Menschen. Deshalb findet sie die Fotodokumentation «sehr berührend». Die Künstlerin ist sich sicher, dass ein vergleichbares Projekt mit einer anderen Möbelart kaum Widerhall gefunden hätte.

Deuten die verlassenen Möbel etwa auf Mängel bei der Bieler Abfallwirtschaft hin? «Nein, überhaupt nicht», widerspricht Esther Schmelcher. «Im Gegenteil: Wir stellen fest, dass solche Gegenstände von der Stadtverwaltung umgehend weggeschafft werden», ergänzt Philipp Läng.

Zur Vernissage ihrer Bilderkollektion hatte das kreative Paar letztes Jahr sogar die Bieler Bau-, Energie- und Umweltdirektorin Barbara Schwickert eingeladen. «Und sie ist tatsächlich gekommen», freut sich Läng. Die Gemeinderätin habe überdies mehrere Exemplare als Geschenk für die Ratsmitglieder gekauft.

Silvan Kocher, der Leiter des Strasseninspektorats, zeigt sich belustigt: «Nun wird also Sperrmüll im öffentlichen Raum zum Kunstobjekt.»

Dennoch stellt der Verantwortliche fest, dass Sitzmöbel nicht immer ordnungsgemäss entsorgt werden: «Meistens fehlen Vignetten.» Das Reglement schreibt zwei Aufkleber zu 1.60 Franken pro Sitzplatz vor. Folglich beträgt die Entsorgungsgebühr für ein dreiplätziges Sofa 9.60 Franken.

Die städtischen Mitarbeiter nehmen abgestelltes Sperrgut ohne Vignette vorerst nicht mit. Stattdessen bringen sie darauf einen orangenen Kleber an und hoffen, dass das Versäumnis in der folgenden Woche nachgeholt wird. Vielleicht nimmt aber auch jemand den Gegenstand zu sich nach Hause mit.

«Drei Bildbände sind genug»
Inzwischen fotografieren Philip Läng und Esther Schmelcher keine Sofas am Strassenrand mehr: «Drei Bildbände mit Postkarten sind genug.»

Dennoch findet die Idee des Bieler Künstlerduos ein grosses Echo. Über ihr Konto «sofapublic» auf Instagram haben die beiden ihre Bilder weltweit verbreitet. Nun scheint sich eine regelrechte «Sofa-Bewegung» zu entwickeln: Mittlerweile erscheinen im Netz unter dem Stichwort «sofapublic» ähnliche Fotos von heruntergekommenen Polstermöbeln aus New York, Berlin, Prag – oder aus Tramelan.

Link: www.sofabiel.ch

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