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Lesung

«Heute stelle ich beim Schreiben den Wecker»

Der in Biel lebende Walliser Autor Rolf Hermann gibt morgen in der Buchhandlung Lüthy einen Überblick über sein bisheriges Werk. Im BT erzählt er von glücklichen und grippigen Lesungen und vom Fan-Club 
des FC Rolf Hermann.

Bild: Keystone

Rolf Hermann, morgen lesen Sie aus all ihren bisherigen Werken. Wird das ein Heimspiel oder sind Sie in Biel immer noch ein «Zugezogener»?
Rolf Hermann: Als vor Jahren der FC Sion auf der Gurzelen gastierte, gesellte ich mich spontan zu den Bieler Fans. Nach der Pause wechselte ich die Seite und ging zu den Sion-Fans. Ich bin beides: hier und im Wallis daheim. Ein Zugezogener, der Wurzeln geschlagen hat. Manchmal kommt es mir so vor, als spiele das für die Bieler keine so grosse Rolle. Zugezogene, die hier eine Heimat finden, gibt es viele. Und auch wegen dieser offenen Einstellung habe ich Biel mit den Jahren richtig gern bekommen.

Welche Lesung ist in schlechter Erinnerung geblieben?
Ganz so schlimm war noch keine. Einzig an eine Lesung kann ich mich erinnern, die meine Stimme arg in Mitleidenschaft gezogen hat. Ich las kurz vor Mittag in einem Pfarreisaal im Wallis. Punkt zwölf setzte das Glockengeläut mit einer solchen Heftigkeit ein, dass ich die Lesung schliesslich unterbrechen musste, zuerst einige Portionen Raclette zu mir nahm und dann die Lesung wieder aufnahm. Mit heiserer Stimme. Bei der nächsten Lesung im Pfarreisaal setzten wir die Matinee eine Stunde früher an.

Und eine unvergessliche?
Es war die erste Lesung, an der meine Tochter dabei war. Sie wusste ja, dass der Vater Bücher schreibt und mit ihnen auftritt. Ganz konzentriert hörte sie zu. Und als die Lesung vorbei war, kam sie schnell an den Bühnenrand, reichte mir die Hand und meinte augenzwinkernd: «Gar nicht so schlecht gemacht.» Ich war heilfroh!

Wie bereiten Sie Lesungen vor?
Ich schreibe eine Auswahl der Texte, die ich vortragen will, von Hand auf einen Zettel und überlege mir, ob das stimmig ist. Dabei wähle ich immer viel mehr Texte aus, als möglich sind. Der Ablauf kann sich je nach Stimmung ändern. Den lege ich erst kurz vorher fest und kann dann auch während der Lesung von dieser Auswahl abweichen. Vielleicht hängt das mit meinem Wunsch zusammen, eine Art Text-DJ zu sein, der auf die Reaktionen der Zuschauerinnen, so wie ich sie wahrnehme, eingehen und so das Zusammensein gemeinsam weiterentwickeln kann.

Ist Lampenfieber ein Thema?
Damit habe ich zum Glück kein grosses Problem mehr. Es hat sich mit den Jahren gelegt. Ein wenig aufgeregt bin ich schon, aber das hilft mir möglichst aufmerksam und hellhörig in die Lesung zu gehen.

Sind Sie also eine Bühnensau?
Ich bin eher ein Bühnenuhu, der seinen Kopf gerne in alle Richtungen dreht.

Haben Sie eine Art Fan-Club?
Da ich keine Fussballmannschaft bin, ist mir der Begriff «Fan» etwas suspekt.

Wie familienfreundlich ist Ihr Beruf?
Nicht mehr oder weniger als jeder andere Job. Im Idealfall verbringe ich meine Zeit mit Dingen, die ich als sinnvoll betrachte. Das ist mit dem Schreiben genauso der Fall wie mit der Familie. Ich habe aber auch einen leichten Hang zum Obsessiven. Wenn ich schreibe, kann mir das Zeitgefühl abhanden kommen. Als ich noch keine Familie hatte, spielte das keine Rolle. Da konnte ich schreiben, bis mir die Augen zufielen. Heutzutage stelle ich auch beim Schreiben den Wecker. Was sicher hilft, ist die Tatsache, dass ich ein Schreibatelier habe und versuche, nie etwas nach Hause zu nehmen. Auch gedanklich.

Wissen Sie etwas von Ihren 
Lesern? Gibt es Reaktionen?
Immer wieder. Gerade diese Woche hat mir eine Bekannte ein Foto zugeschickt, das sie heimlich von einem älteren Herrn gemacht hat, der im Hauptbahnhof in Bern in meinem Erzählband «Flüchtiges Zuhause» liest. Er steht ganz in sich gekehrt unter der grossen blauen Anzeigetafel mit den Abfahrtszeiten und um ihn stieben die Menschen in alle Richtungen davon. Ein schönes Bild.

Ein Hobby, das Ausgleich bietet?
Ich höre gerne Musik. Momentan sehr viel Matchenko und King Pepe. Auch gehe ich spazieren und wandern. Durch die Taubenlochschlucht, dem Bielersee entlang, im Jura oder immer wieder in den Alpen.

Mussten Sie Auftritte absagen?
Nah an einer Absage war ich nur einmal, als ich eine Laudatio auf José F.A. Oliver, einen grossartigen deutschsprachigen Dichter, halten durfte. Ich litt an einer schlimmen Grippe, zitterte noch eine halbe Stunde vor dem Auftritt im Hotelzimmer vor mich hin, so kalt war mir. Ich musste mich sogar ein paarmal übergeben. Doch dann trank ich so viel Fencheltee, dass es einigermassen ging. Kaum war die Laudatio gelesen, die Blumen und die Auszeichnung überreicht, rannte ich auf die Toilette. Dieses Mal wegen der übervollen Blase.

Gibt es eine Passage, auf die Sie besonders stolz sind? Eine Art 
literarischen Höhepunkt?
Der Ausschnitt, der mir immer wieder Freude macht, ist jener, der sich auf der Rückseite von «Flüchtiges Zuhause» befindet. Er geht so: Sie habe immer weggewollt, sagte Grossmutter. Zu aufwendig sei es, hier Landwirtschaft zu betreiben. «Irgendwohin, wo die Wiesen und Äcker flach sind.» Und schmunzelnd fügte sie an: «Warum nicht nach Russland – oder Schaffhausen?» Ob das allerdings mein Höhepunkt ist, da bin ich mir nicht ganz sicher.

Mit welchem Slogan würden Sie Ihre Lesung «verkaufen»?
«Der Bühnenuhu will den Radius seiner Kopfdrehungen bis Morgenabend noch erweitern.» 
Interview: Clara Gauthey

Info: Morgen, 19 Uhr, Buchhandlung Lüthy, Nidaugasse 60, Biel. Eintritt frei, Reservation empfohlen, Tel. 032 328 12 22, biel@buchhaus.ch.

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