Sie sind hier

Abo

Kunstaktion

Hier schlägt die Stunde Null

«Ein grosszügiger Rückzug» nennt das Künstlerpaar Effi und Amir seine Installation in Biel. Die beiden lassen Objekte im totalen Schwarz verschwinden – und spielen so auf den Urmoment der Kreation an.

Unter ihren Händen wird alles schwarz: Effi und Amir gehen zurück zum «Tzimtzum», dem Moment, bevor alles begann.  zvg/Rudolf Steiner
Tobias Graden
 
Es ist ein fast schon feierlicher Moment, als der Künstler und Autor Pavel Schmidt seinen David an Effi Weiss und Amir Borenstein übergibt. Schmidt hat das Objekt – eine Miniaturausgabe von Michelangelos David, der wohl berühmtesten Statue der Welt – extra mit einem Davidstern versehen, gebastelt aus einem zusammengelegten Zollstock. Schmidt weiss: Sein David wird nicht mehr lange weiss leuchten. Weiss und Borenstein, die als Künstlerpaar Effi & Amir auftreten, werden ihn schwarz färben. Schon einmal habe er einem David eine ähnliche Behandlung angedeihen lassen, erzählt Schmidt, als er für eine Kunstaktion eine solche Skulptur nach Namibia gebracht habe, wo dieser Archetyp des perfekten marmorweissen abendländischen Mannes geschwärzt wurde. 
Aber das Schwarz von Effi und Amir ist schwärzer. Es sei ein «ultraschwarz», sagt Amir, das schwärzeste Schwarz, das er finden konnte. Es soll so viel Licht absorbieren wie nur möglich. David wird komplett mit diesem Schwarz geschwärzt, der Hintergrund, vor dem er stehen wird, ebenfalls, und schliesslich wird David kaum mehr sichtbar sein, er wird verschluckt werden vom Schwarz. 
 
Gott macht Platz
«Ein grosszügiger Rückzug» nennen Effi und Amir ihre Aktion im KlHaus, zu der sie das befreundete Bieler Künstlerpaar Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner eingeladen hat, das als Haus am Gern den Raum vor dem Kunsthaus Pasquart betreibt. Für diese Aktion haben sich die Künstler aus Israel, die mittlerweile in Brüssel leben und arbeiten, mit der Kabbala beschäftigt, der überlieferten mystischen Form des Judentums. Darin gibt es den Begriff «Tzim-tzum». Er bezeichnet, so Amir, «den Moment, als Gott entschied, die Welt zu erschaffen».
Der Künstler erklärt es so: Vor der Erschaffung der Welt war Gott allumfassend, er war überall. Also musste er sich zurückziehen, sich reduzieren sozusagen, um überhaupt den Raum zu ermöglichen, in dem etwas sein konnte, das nicht er selbst war – eben die Welt. Der Schöpfungsprozess begann dann damit, dass Gott sein unendliches Licht zusammenzog, so dass Raum entstand. «Tzimtzum» wird auch umschrieben mit der «Selbstkontraktion Gottes aus seiner eigenen Mitte». Man kann sich dies vorstellen wie ein schwarzes Loch, das alles in seiner Umgebung einsaugt, sei es Materie oder eben Licht. Dort, wo dieses vorher war, entstand nun Raum für Neues.
Im übertragenen und weltlicheren Sinne also steht «Tzimtzum» für den Moment unmittelbar vor dem Kreationsprozess, den Urknall, die Stunde Null. Es ist der Moment, so Amir, «wenn du morgens noch im Dunkeln im Bett liegst und die Idee für ein Bild hast». Ohne die Idee gibts kein Bild, aber mit der Idee allein ist es auch noch nicht getan: Nun braucht es eine Leinwand, Farbe, Pinsel – und vor allem die Energie, dem Nichts ein Etwas entgegenzusetzen. Aber der Raum, in dem das Bild entstehen kann, ist schon mal da. 
 
Leere Leinwand in Locarno
Im KlHaus schaffen nun Effi und Amir einen solchen Raum, indem sie Gegenstände, die ihnen gebracht werden, mit dem schwärzestmöglichen Schwarz überziehen. Am Wochenende kam beispielsweise Biels Kulturdirektorin Glenda Gonzalez Bassi (PSR) vorbei und brachte eine alte Kassette der Band Douleur d’Avion. Diese harrt noch ihrer Einschwärzung. Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR) übergab dem Künstlerpaar eine 20er-Note – sie hängt nun an der Wand, schwärzer als die Nacht, vor ebenso schwarzem Hintergrund und ist so eigentlich nicht mehr sichtbar. Sinnigerweise ist auf dem (ungeschwärzten) Geldschein die Piazza in Locarno während des Filmfestivals zu sehen – mit leerer Leinwand. Weiter versammelt sind bislang beispielsweise eine kleine Eule, eine Leiter, ein Gefäss, ein Fotoapparat, ein elektronisches Gerät – alles so schwarz, dass es sozusagen gar keine Farbe mehr hat. 
Ist das, was Effi und Amir hier tun, also das Gegenteil von Kreation? Nicht eigentlich, sagt Effi. «Tzimtzum» ist nicht Zerstörung, sondern die Schaffung eines leeren Raumes, auf dass er mit neuen Möglichkeiten gefüllt werde. Darauf spielt der Titel der Aktion an – der Rückzug ist kein destruktiver, sondern eben ein grosszügiger.
 
Fünf Minuten Kulturhistorie
Und doch nimmt «Ein grosszügiger Rückzug» auch Bezug auf den geschichtslosen Raum in Leipzig. Haus am Gern hatte diesen 2005 in einer Gartenlaube eines Schrebergartens eingerichtet. In der Laube herrschen Reinraumbedingungen, sie ist versiegelt, es passiert darin also rein gar nichts. Zwar ist dort nicht alles schwarz, und doch ist in diesem Raum der Nullmoment auf absehbare Zeit konserviert, die Zeit steht auf stand-by. 
Im KlHaus wird das aber nicht so sein. Heute und morgen nehmen Effi und Amir Gegenstände entgegen, von allen, die ihnen welche bringen wollen. Und sie lassen sich gerne in Gespräche verwickeln. Aber wie das so ist mit den grossen Fragen: Es ufert rasch aus. Pavel Schmidt etwa bringt Davids weibliches Pendant ins Spiel, die Venus von Botticelli. Im Nu umreissen die Künstler ein paar Jahrhunderte Kultur- und Kunstgeschichte anhand der Rolle des Lichts, das zuerst in religiösen Darstellungen das ganze Dasein samt Himmel und Hölle abbildete, um später die Details irgendwelcher Gegenstände in Stilleben auszuleuchten. Und heute wählen Effi und Amir das schwärzeste Schwarz, um diese Details grösstmöglich zum Verschwinden zu bringen. Denn erst, wenn alles dunkel ist, lässt sich wieder sagen: Es werde Licht.
Info: Heute und morgen nehmen Effi und Amir «menschengemachte Objekte» entgegen, am Wochenende ist Vernissage von 11 bis 18 Uhr. KlHaus by Haus am Gern, vor dem Kunsthaus Pasquart, Seevorstadt 71, Biel. 

Nachrichten zu Kultur »