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Hier spielen sie ja noch kontrolliert

Rock’n’Roll ohne Gitarre? Wagners Walküre und Lemmy Kilmister im selben Song? Das geht, und zwar famos! Hotcha And The Teenage Lesbians From Hell werden es an der Plattentaufe vorführen.

Noch einmal 17-Jährige suchen, das mochte Hotcha (vorne) nicht, also legte er die Gitarre beiseite und griff zum Bass. zvg/simone haug
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Tobias Graden

Es dauert ein paar Minuten und zweieinhalb Songs, bis das Ganze so richtig auseinanderfällt. Dabei beginnt das Stück «Raté» fast so, dass man meinen könnte, es wolle sich als schmachtendes Chanson einschmeicheln, mit mittlerem Tempo, tragender Orgel, effektvollen Harmonien und einem klagenden Sänger, von dem einem das zunehmend verzweifelt flehende «Ne me quitte pas!» im Ohr bleibt. Aber wie das so ist mit dem Sehnen: Leicht schlägt es um in den Wahn, und so verliert der Song zunehmend an Kontur und mündet schliesslich in eine wilde psychedelische Improvisationsorgie.

Es ist einer der dichtesten Momente dieses an dichten Momenten nicht armen Albums, und man kann Beni 06 und Tobi Schramm nur dankbar sein, dass sie den erst widerwilligen Hotcha ins Studio von Sirup Gagavil schleppten, um dieses famose Stück Musik aufzunehmen, das nun in Form einer LP mit Namen «La Trilogie De l’Amour» vorliegt, bereit zur Taufe diesen Samstag im Le Singe zu Biel. Dieser Hotcha nämlich, er sagt, die Platte sei ja eher ein Zufall, weil er selber wolle einfach Konzerte spielen, es sei ihm anfangs unwohl gewesen angesichts des Vorhabens, die ohnehin nie fix definierten Songs in eine das Flüchtige überdauernde Form giessen zu wollen. (Er sagt es nicht ganz in diesen Worten, aber man darf ihn gewiss so interpretieren.)

Der Ausweg war dann leicht
Hotchas Zögern ist verständlich, stand er doch zuvor laut eigenen Angaben vor der nicht eben leichtgewichtigen Frage:Ist meine Karriere nun zu Ende?

Und das kam so: Seit mehr als 15 Jahren spielt Hotcha mit dem Organisten Beni 06 und dem Schlagzeuger Tobi Schramm in der Formation Hotcha And The Teenage Lesbians From Hell, neben der Band Pull My Daisy ist sie sein musikalisches Hauptstandbein; in seinem ganzen Musikschaffen seien es diese zwei Bands, die wirklich gut funktionierten, sagt der Altmeister. Das Trio war ursprünglich zu viert, doch dann trennten sich die Wege von Bassist und Band, und so etwas sei eigentlich das Ende einer Band, das wisse er aus 50 Jahren Erfahrung, eine Band sei  schliesslich nicht einfach eine Vereinigung von Musikern. «Noch einmal 17-jährige Mitmusiker zu suchen, das mochte ich nicht», sagt Hotcha, bald 69-Jährig, «und Leute in meinem Alter zu finden für einen solchen Sound, das ist nicht leicht.»
Der Ausweg aus dieser verzwickten Lage war dann allerdings recht leicht:Hotcha legte die Gitarre zur Seite und griff zum Bass.

Aber nicht zwingend einfach. Zwar habe er früher durchaus auch mal Bass gespielt, sagt Hotcha, «aber mies». Nun habe er das Instrument jedoch erlernt: Indem er bei der Musik, die er hörte, stets speziell auf den Bass geachtet, sich vermehrt dem 70er- und 80er-Soul und -Disco gewidmet und die dortigen Basslinien nachgespielt habe. Ein Jaco Pastorius ist aus ihm seither nicht geworden, aber das ist auch nicht das Ziel:«Ich bin nicht der Meister der Pausen», sagt Hotcha, «sondern des Durchspielens. Schliesslich muss ich ja noch singen dazu.» Schlagzeuger Schramm jedenfalls bat ihn ab einem gewissen Punkt, nicht weiter zu üben, denn sollte sein Spiel besser werden, wäre das schade.

Das Piano gibt die Gitarre
Nun spielt also Hotcha den Bass wie weiland die wilden Kerle in den 60-ern, mit Plektrum und in rascher Tonfolge, er bereitet so einen federnden Teppich.

Gleichzeitig ist natürlich die Gitarre im Klangbild weggefallen, aber das fällt zunächst gar nicht auf, kann doch Beni 06’ verzerrtes Wurlitzer-Piano anfangs leicht für eine solche gehalten werden, wie es da im Opener «Kissed By The Sun» – «unserem Hit», sagt Hotcha – das eingängige Riff spielt. Ist man sich allerdings erst mal gewahr geworden, dass hier kein Saitenzupfer, sondern ein Tastendrücker am Werk ist, geht das Staunen erst richtig los. Nicht nur lässt Beni 06 das Fehlen des klassichen Rock’n’Roll-Instruments schlechthin komplett vergessen, er spielt neben dem Piano meist auch seine Farfisa-Orgel oder irgendeinen seltsamen Synthesizer gleichzeitig und entlockt seinem Instrumentenpark mithilfe des Effektgeräte-Arsenals immer obskurere Klänge, allesamt analog, versteht sich. Wie er in «SOS Amour» seine Klangwalze anrollen lässt und er dann in feurigem Furor immer wilder Klangschichten auftürmt wie ein grosszüiger Wirt im Emmental, der seinem schleckmäuligen Gast stets aufs Neue noch einmal eine Extraportion Nidle auf die xMeringue schlenzt, das alleine ist den Kauf dieses übrigens von Santino Safari sehr schön gestaltenten Albums wert.

Auf der Platte erfolge dies ja noch kontrolliert, raunt Hotcha. Ihm selber sei jedenfalls bisweilen die Kinnlade runtergefallen angesichts der Kaskaden, die ihm da entgegendröhnten, und die anfängliche Skepsis gegenüber dem ganzen Unterfangen verflog rasch. Dabei sei dessen Erfolg nicht zwingend zu erwarten gewesen: Die zwölf Songs waren dem Selbstverständnis der Band entsprechend im Voraus keineswegs ausformuliert, an Konzerten nimmt sie sich die Freiheit, genialische Höhenflüge ebenso zuzulassen wie jähe Abstürze. Ihm selber scheint es hörbar wohl geworden zu sein, sein Gesang, wenn man ihn so nennen will, klingt spitzer und vifer, als es sämtliche empörten 68er-Franzosen zusammen hingekriegt haben. Immer jünger werde er zwar nicht, aber auf ein Alterswerk dürfe man getrost noch ein bisschen warten.

Dann gehts ans Drachentöten
Vorerst verbringt der glühende Opernliebhaber seine Zeit lieber noch damit, Wagners Walküre und Motörheads gleichzeitig in einen Discosong mit Garagenrock-Ästhetik zu verpacken: «Kissed By The Sun» ist eine Improvisation über den ersten Akt der Oper, in dem Siegmund und Sieglinde in einem inzestuösen Akt Siegfried zeugen, wobei es bei Hotcha dann eher weniger werkgetreu weitergeht: «Lemmy Kilmister» reimt sich auf «sister» halt besser als Hunold, getötet werden soll er gleichwohl, und irgendwann sind dann auch noch die Drachen los. Im dazugehörigen Video, von Dominic Schmid gefertigt, taucht jedenfalls Siegfried aus Fritz Langs Nibelungen-Verfilmung auf, gemischt mit Bildern des Dirigenten Carlos Kleiber und Szenen eines Auftritts der leicht bekleideten Band an der Bieler Barbarie.
Honoratioren der Hochkultur rümpfen darob wohl mehr als nur die Nase. Alle anderen haben mit Hotcha And The Teenage Lesbians mächtig Spass und hoffen, es möge nicht noch einmal 15 Jahre dauern, bis sich Hotcha wieder ins Studio getraut. Seine Mitmusiker wären dann ja schon über 60.

Info: Hotcha And The Teenage Lesbians From Hell: «La Trilogie de l’Amour» (Calypso Now/Urgence Disque). Erhältlich als Vinyl mit Download-Code zu 20 Franken bei hotcha@hotcha.ch. Plattentaufe am Samstag im Le Singe, Biel.

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