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Oper

Hier spielt Putin keine Rolle

Am Freitag ist in Biel Premiere der Oper «Mazeppa» von Peter I. Tschaikowsky. Regisseur Dieter Kaegi erzählt, weshalb auf der Bühne grausame Momente gezeigt werden und warum er auf einen Bezug zur aktuellen Russlandpolitik verzichtet.

Der Chor probte letzten Freitag in Alltagskleidern. Die Kostüme und der kriegerische Hintergrund werden erst an der Premiere zu sehen sein. Bild: Raphael Schaefer

Interview: Annelise Alder

Dieter Kaegi, wie sind Sie auf die Oper «Mazeppa» von Peter Tschaikowsky gestossen?

Dieter Kaegi: Es ist ja nicht das erste Mal, das Theater Orchester Biel Solothurn Tobs eine Oper von Tschaikowsky präsentiert. Vor ein paar Jahren haben wir «Iolanta» gespielt und vor meiner Zeit bei Tobs wurde «Eugen Onegin» aufgeführt. Wir wollen mit «Mazeppa» eine weitere Oper dieses grossartigen Komponisten vorstellen.

 


Was zeichnen die Opern Tschaikowskys aus?

Tschaikowsky ist für mich einer der grössten Operndramatiker. Wie kaum ein anderer Komponist kann er Emotionen transportieren und damit das Publikum berühren. Er macht dies nicht auf kitschige Weise, sondern mit einer musikalisch absolut hochstehenden Qualität. Einzig Puccinis Opern vermögen auf ähnliche Weise das Publikum zu erreichen.

 

Woran liegt das?

Das liegt einerseits an den hervorragenden literarischen Vorlagen. Tschaikowsky greift meistens auf Puschkin zurück. Andererseits am Genius des Komponisten. Gerade im Fall der Oper «Mazeppa» ist der Schluss etwas vom Eindrücklichsten, was auf einer Opernbühne zu erleben ist. Es ist auch ein sehr unkonventioneller Schluss für eine Oper. Ohne grosses Finale, ohne laute Klänge, aber gerade deshalb sehr berührend. Das sind Gründe, weshalb ich Tschaikowsky liebe.

 

Die Oper wird trotzdem selten aufgeführt.

So selten eigentlich nicht. Vor ein paar Jahren war sie in Bern zu hören. Ich selber habe «Mazeppa» in Dublin und in Monte-Carlo inszeniert. Stefan Märki hat die Oper in Cottbus für seine Eröffnung angesetzt. Sie steht vielleicht im Schatten seiner berühmtesten Oper «Eugen Onegin». Aber zu Unrecht, wie die vielen positiven Reaktionen auch vom Publikum bei «Iolanta» vor ein paar Jahren in Biel und Solothurn gezeigt haben.

 

In der Oper kämpft ein ukrainischer Kosake gegen die Übermacht des russischen Zaren. Das ist ein brandaktueller Stoff. Nehmen sie das in Ihrer Inszenierung auf?

Nein, absolut nicht. Es war auch nicht geplant. Der jetzige Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist ja nicht neu, es gibt ihn schon lange. Mazeppa ist immer noch ein Nationalheld in der Ukraine. Das steht für mich aber nicht im Vordergrund, weder war dies der Fall bei der Auswahl des Werks noch jetzt in der Inszenierung. Auch bei Tschaikowsky geht es nicht in erster Linie um den politischen Konflikt.

 

Der historische Kontext wird ausgeblendet?

In Russland und in den östlichen Ländern wird «Mazeppa» oft historisch dargestellt. Ich finde, das Stück verliert seine Qualität, wenn man nur diesen Aspekt beleuchtet.

 

Wo liegt der Fokus?

Im Mittelpunkt steht die persönliche Tragödie der Maria, die zwischen der Treue zu ihrer Familie und der Liebe zu Mazeppa aufgerieben wird.

 

Das Publikum wird also nicht Putin und Selenski auf der Bühne sehen?

Nein, das wäre billig, und es würde auch der Tragweite des derzeitigen Konflikts nicht gerecht.

 

In der Oper wird gefoltert und hingerichtet. Wie gehen Sie als Regisseur damit um?

Das schrecklichste in der Oper ist der Krieg zwischen den Kosaken und dem russischen Heer mit tausenden von Toten. Tschaikowsky hat ihn in einem Zwischenspiel dargestellt. Der Krieg an sich ist als Schlachtenmusik zu erleben und wird auf der Bühne erst im letzten Bild in seinen Auswirkungen sichtbar.

 

Und die anderen Grausamkeiten?

Die Folter und die Hinrichtung sind in der Oper szenisch beschrieben, die muss man deshalb auch zeigen. Vor allem die Hinrichtung des Vaters unter Beteiligung der Öffentlichkeit bildet auf der Bühne einen Höhepunkt. Dabei kommt der Dramatiker Tschaikowsky zum Zug. In dem Moment, als der Vater erschossen wird, erscheinen Maria und ihre Mutter. Sie erkennen aber, dass sie zu spät sind, um ihn zu retten. Einen dramatischeren Moment kann man sich gar nicht vorstellen. Es gehört zum Genius Tschaikowskys, diese riesigen Kontraste aufzuzeigen. Einerseits gibt es grausame Momente, kurz davor noch heitere Volksszenen. Die Extreme wirken durch ihren starken Kontrast noch extremer.

 

Die Bedeutung der Oper liegt in ihrer Dramatik?

Mich interessiert der dramatische, aber auch der psychologische Aspekt. Deshalb kann man das Werk im 18. Jahrhundert, heute oder in den 50-Jahren ansiedeln, wie wir es tun. Ein Qualitätsmerkmal einer guten Oper ist, dass man sie zeitlich irgendwann ansiedeln kann. Im Kern geht es nämlich um die Beziehungen zwischen den Menschen. Dazu gehören etwa auch die Opern von Mozart, zum Beispiel «Cosi fan tutte».

 

Weshalb haben Sie die 50er-Jahre gewählt?

Die Zeit hat eine gewisse erkennbare Ästhetik. Zudem habe ich Mühe mit Inszenierungen, die in der Gegenwart spielen und wo mit Handys auf der Bühne hantiert wird. Ich mag eine gewisse zeitliche Distanz. Die 50er-Jahre passen auch gut zur Thematik wegen dem Kalten Krieg, der Militarisierung und der Präsenz der Militärfiguren.

 

Wie ist die Crew mit russischen Sängerinnen und Sängern zustande gekommen?

Ich suche mir die Sängerinnen und Sänger aus und höre sie mir an.

 

Sie waren also viel unterwegs?

Ich war viel an Gesangswettbewerben und Vorstellungen in östlichen Ländern und in Moskau. Es gibt in Russland in riesiges Potential an jungen, hochbegabten Sängerinnen und Sängern. Das Moskauer Bolschoi-Theater hat das beste Opernstudio der Welt. Der Nachwuchs, der dort abschliesst, ist absolut phänomenal.

Die Titelrolle singt Aleksei Isaev.

Aleksei ist Haus- und Starbariton der Helikon-Oper in Moskau. Ich hatte den jungen, aussergewöhnlichen Sänger schon länger im Auge. Es war nicht einfach, ihn zu engagieren, weil wir ja so viele Vorstellungen haben. Die Sänger und Sängerinnen müssen sich für eine grössere Zeitperiode freimachen. Vielleicht hat auch die Pandemie etwas geholfen, weil in Moskau viel abgesagt wurde. Wir haben also grosses Glück, dass wir eine so tolle Besetzung zusammen bekommen haben.

 

Weshalb eignen sich westliche Künstler weniger für russische Opern?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass nicht Russen eine russische Rolle gut singen können. Aber es wirkt nie so authentisch, wie wenn ein Muttersprachler singt. Es geht weniger um die Beherrschung der Sprache als vielmehr um die Sprachmelodie. So ist es auch bei französischen Opern: Es ist ein grosser Unterschied, ob sie von einer Person mit französischer oder nicht-französischer Muttersprache gesungen wird. Italienisch ist einfacher zu singen. Das kann auch ein Amerikaner oder eine Russin. Aber russische und französische Opern versuche ich mit Leuten aus dem jeweiligen Land zu besetzen.

Sprechen Sie selbst Russisch?

Ich kann etwas russisch, weil ich viel in Russland gearbeitet habe. Aber es sind meistens Begriffe, die ich in den Proben benutze, wie «nochmals von vorn».

 

«Mazeppa» erfordert ein grosses Orchester. Der Graben im Bieler Stadttheaters ist klein.

Wie immer, wenn wir grösseres Repertoire spielen, müssen wir Anpassungen vornehmen. Die Streicherbesetzung ist kleiner und es gibt Verschiebungen bei den Bläsern. Wir erteilen Komponisten den Auftrag, diese Anpassungen vorzunehmen. Sie müssen die Partitur so einrichten, dass wir sie in unseren kleinen Orchestergräben spielen können. Wir sprechen nicht von Reduktion, weil unter den Bläsern einzig gewisse Instrumente ausgetauscht werden, sondern von einer Adaption.

 

Dirigent der Oper ist der kommende Chefdirigent Yannis Pouspourikas. Was prädestiniert ihn für diese Aufgabe?

Komponist und Werk liegen Yannis Pouspourikas sehr am Herzen. Er hat «Mazeppa» bereits zweimal dirigiert, nämlich in Gent und in Antwerpen. Mir war es auch wichtig, zusammen mit dem neuen Chefdirigenten eine Oper einzustudieren. Es ist natürlich auch ein Statement ihm gegenüber und seiner Zukunft hier in Biel, und natürlich auch dem Orchester gegenüber.

Info: Weitere Informationen zum Stück, die Spielzeiten und Ticketreservationen unter www.tobs.ch

 

«Mazeppa»

  • Die Oper «Mazeppa» von 
Peter I. Tschaikowsky beruht auf einer literarischen Vorlage
 Alexander Puschkins. Darin steht das Kriegsgeschehen
zwischen russischen Soldaten und ukrainischen Aufständischen im Mittelpunkt.
  • Tschaikowsky fokussiert dagegen das tragische Schicksal Marias, die zwischen der Loyalität ihren russischen Eltern und der Liebe zum ukrainischen Kosaken Mazeppa aufgerieben wird.
  • Die Oper wird von Dieter Kaegi, Intendant von Theater Orchester Biel Solothurn, inszeniert, die Gesamtleitung hat der zukünftige Chefdirigent des Sinfonieorchester Biel Solothurn Yannis Pouspourikas.
  • Premiere ist diesen Freitag, um 19.30 Uhr im Stadttheater Biel.
  • Weitere Aufführungen unter anderem am 1., 6., 11., 13., 22. und 30. März. aa
Stichwörter: Biel, Chor, Oper, Mazeppa, Tobs, Stadttheater

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