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Oper

Hoffnungslos, aber betörend schön

Mit «I Capuleti e i Montecchi» von Vincenzo Bellini präsentiert Theater Orchester Biel Solothurn ein musikalisches Juwel. Das Geschehen auf der Bühne dagegen ist erschütternd.

Bild: Suzanne Schwiertz / zvg

Annelise Alder

Das grosse viereckige Podest, das die Bühne des Theaters Nebia dominiert, erfüllt im Verlauf des Abends verschiedene Funktionen. Einmal ist es ein Himmelbett, einmal ein Altar, einmal eine Gruft. Der transparente Kettenvorhang aber, der es umschliesst, macht klar: Es sind alles Käfige, aus denen ein Entrinnen unmöglich ist.

Das betrifft allen voran Giulietta, die Hauptfigur der Oper «I Capuleti e i Montecchi» von Vincenco Bellini. Sie ist gefangen in häuslicher Enge mit einem herrischen Vater und in ihren Gefühlen, die zwischen Todes- und Liebessehnsucht schwanken.

Zum Glück hat Vincenzo Bellini ihre Leiden, die eine ganze Oper lang dauern, in so betörend schöne Musik verpackt. Und zum Glück steht Franco Trinca am Pult des Sinfonieorchester Biel Solothurn. Er lässt nicht nur zupackend aufspielen. Er gibt den schwermütigen Melodien viel Raum zur Entfaltung.

 

Kein Spektakel, dafür ein Seelendrama

Das Opernjuwel des italienischen Romantikers, das am vergangenen Freitag seine Bieler Premiere feierte, hat wenig 
mit der Romeo-und-Julia-Geschichte zu tun, die uns Shakespeare erzählt.

Felice Romani greift in seinem Textbuch zwar auf denselben Stoff zurück. Doch finden sich darin weder rauschende Feste noch glühende Liebesszenen oder spektakuläre Duelle zwischen den Aushängeschildern der miteinander verfeindeten Familien.

Die Oper führt uns vielmehr die Seelendramen von fünf eng miteinander verhängten Figuren vor. Da ist Capellio, das familiäre Oberhaupt der Capuleti. Daniel Reumiller entlockt ihm verschiedene Seiten: Den kompromisslosen Patriarchen – wo sein volltönender Bass besonders gut zur Geltung kommt –, den in seiner Ehre zutiefst Verletzten – schliesslich ist sein Sohn von Romeo, einem Montecchi, ermordet worden –, und am Schluss den von seinen Gefühlen übermannten. Passend besetzt ist auch Tebaldo, den Gustavo Quaresma als ungestümen, selbstbewussten Jüngling. Sein agiler, heller Tenor leuchtet in der Höhe wie in der Tiefe. Er hat Grund zu Optimismus, denn Giulietta ist ihm als Braut versprochen worden. Dies lässt Jonathan Macker als vermittelnden Lorenzo glaubhaft verzweifeln.

 

Gewaltbereit, aber auch verzweifelt liebend

Es ist eine patriarchale, gewaltbereite Gesellschaft, die einem vorgeführt wird. Auch Romeo, gesungen von einer stimmlich facettenreichen Josy Santos, gehört ihr an. Er ist nämlich ein Mörder. Gleichzeitig aber auch ein Liebender, der verzweifelt – und mit atemberaubend leisen Tönen - um seine Angebetete kämpft. Denn Giulietta ist hin- und hergerissen zwischen Gehorsam und Begehren. Sie vermag sich jedoch nicht aus ihrer familiären Umklammerung zu lösen. Ihr Schicksal erschüttert – und klingt trotzdem zauberhaft. Das ist nicht nur das Verdienst von Bellinis berührenden Melodien, sondern das hat auch viel mit dem in der Höhe unangestrengt leuchtenden Sopran von Aoife Gibney zu tun.

Franco Trinca lässt das Orchester mit den Protagonistinnen und Protagonisten auf der Bühne mitatmen und mitfühlen. Sein Gespür für diese Musik ist untrüglich. Jeder einzelnen Gesangsnummer verleiht er ihr individuelles Profil. Und er weiss sie wirkungsvoll zuzuspitzen. Zu hören sind packende Chorpassagen (hervorragend vorbereitet durch Valentin Vassilev), mitreissende Ensembleszenen (das Finale des ersten Akts ist ein Höhepunkt) und hervorragende instrumentale Einzelleistungen, etwa durch die Harfe, das Horn und – Chapeau! – die Klarinette.

 

Zeitlose und zeitgemässe Inszenierung

Regisseur Yves Lenoir und sein Lichtgestalter Mario Bösemann setzen auf die Strategie der Reduktion aufs Wesentliche.

Ganz zeitlos erscheint das Bühnenbild dennoch nicht. Die vielen Lüster erinnern an das Interieur eines Palasts. Dagegen nehmen Kostüme und Requisiten Bezug zur Gegenwart. Schliesslich finden sich heute noch patriarchalische Gesellschaften. Bruno de Lavenère als Ausstatter kleidet das überwiegend männliche Personal in zeitgemässes, aber bedrohlich wirkendes Schwarz. Das bunte und moderne Outfit, das Giulietta anfangs trägt, hebt sich dagegen wirkungsvoll ab. Es wirkt wie ein letzter hoffnungsloser Versuch, sich abzugrenzen. Doch muss sie es bald gegen keusches Weiss eintauschen. Ihr Seelenleiden versucht sie, mit Tabak und Tabletten zu bezwingen. Das Schlafmittel wird ihr gespritzt und nicht etwa als Trank verabreicht.

Die Inszenierung macht deutlich: Vor einem solchen gesellschaftlichen Hintergrund haben es nicht nur Frauen schwer. Auch Liebesglück lässt sich da nicht einstellen. Nachvollziehbar deshalb, dass Regisseur Yves Lenoir die Schlussszene vor dem Vorhang spielen lässt. Erst dann nämlich, befreit von allen Zwängen, vermögen sich die Liebenden zu finden. Bekanntlich ist es aber zu spät.

Stichwörter: Aufführung, Kunst, Bühne, Kultur

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