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Bieler Philosophietage

«Hunde haben auch Hemmungen»

Morgen spricht der Tierphilosoph Markus Wild in Biel über Leid und Liebe, ein «tierisches Problem». Das BT wollte von ihm unter anderem wissen, ob Fische auch Liebeskummer haben.

Markus Wild mit dem Hund Titus. Der ist auch bei Vorlesungen und Vorträgen mit dabei. Bild: zvg

Interview: Simone Tanner

Markus Wild, essen Sie Fleisch?
Markus Wild: Nein, ich bin seit fünf Jahren Vegetarier.

Warum?
Eigentlich war mein Thema ja nicht die Tierethik, sondern die Tierphilosophie. Doch ich wollte mir eine Meinung zum Fleischkonsum bilden. Aus diesem Meinungsbildungsprozess bin ich als Vegetarier herausgekommen.

Tierethik spielt zumindest für Laien in die Tierphilosophie hinein. Was versteht man genau unter dem Begriff Tierphilosophie?
Sie untersucht Fragen nach dem Denken, Bewusstsein, Selbstbewusstsein, nach der Moral und dem Schmerzempfinden von Tieren und den damit zusammenhängenden Fragen nach ihren Rechten. Zudem geht es um die Beziehung von Mensch und Tier und darum, was uns eint oder voneinander unterscheidet.

Wie kamen Sie überhaupt auf die Tierphilosophie?
Während des Studiums sind mir immer wieder Aussagen von Philosophen begegnet, die die Unterschiede von Mensch und Tier erklärten. Ich merkte, dass diese Aussagen zum Teil gar nicht stimmten.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Friedrich Engels sagte, dass kein Tier ein Werkzeug herstellt. Das ist eindeutig falsch. Oder der Anthropologe Helmuth Plessner sagte, dass sich kein Tier im Spiegel erkennt. Zehn Jahre später erfand man den Spiegeltest, und die Tiere erkannten sich doch. Das Zweite, was mich irritierte, war die sogenannte sprachkritische Wende, der linguistic turn, den man meiner Meinung nach überschätzte, da man von da an alles von der Sprache abhängig machte: Denken, Bewusstsein, Moral. Für Menschen ist Sprache wichtig. Wenn man aber in die Tierforschung schaut, gibt es Hinweise darauf, dass sie auch ohne Sprache denken, ein Bewusstsein und eine Art moralische Vorstellung haben. Das war für mich der Beweis, dass die Sprachabhängigkeitsthese irgendwie falsch sein muss.

Aber Sprache macht den Menschen auch zu einem sozialen Wesen.
Beim Menschen stimmt das. Bei Tieren gibt es andere Faktoren. Eines wäre die Körpersprache, das Verstehen von Emotionen bei anderen, worin Hunde und Schimpansen zum Beispiel sehr gut sind. Was bei Tieren auch wichtig ist im sozialen Miteinander, sind Regeln. Bei Schimpansen frisst zum Beispiel der Chef zuerst. Aber wenn das Alphatier das Fressen nicht zuerst sieht, kann man es ihm abluchsen. Regeln generieren demnach auch einen Gruppenzusammenhalt.

Mani Matter sang, es seien die Hemmungen, die uns von den Schimpansen unterscheiden. Sehen Sie das auch so?
Ich mag das Lied sehr. Aber ich glaube, Mani Matter hat nicht recht. Denn im Lied steckt ja die Grundidee, dass wir Triebwesen sind, wenn wir «dem Meitschi höchstens chli uf d’Bei» schauen, uns aber eben nicht getrauen. Dagegen, so Matter, machen die Tiere einfach, was ihnen in den Sinn kommt. Das stimmt nicht. Wenn zum Beispiel ein Schimpanse über ein Weibchen herfallen möchte und das Alphatier kommt, muss er sich zusammenreissen. Auch Hunde haben Hemmungen. Im Fall einer verbalen Bestrafung verhalten sie sich ganz anders. Wichtig ist beim Lied von Mani Matter, dass wir uns Gedanken darüber machen können, wo wir Hemmungen haben sollten. Am Schluss singt er ja, dass es ein Glück ist, dass wir Hemmungen haben.

Dann ist der Unterschied, dass wir Menschen uns im Gegensatz zu Tieren über die Folgen unseres Handelns bewusst sind?
Ja, und daraus folgern wir bestimmte Prinzipien, denen wir folgen. Wir können über unser Verhalten nachdenken. Das kann ein Tier nicht.

Aber Sie gehen davon aus, dass Tiere ein Selbstbewusstsein haben.
Ja, sie haben ein körperliches Selbstbewusstsein und ein Bewusstsein über ihre soziale Stellung in der Gruppe. Und das dritte wäre ein Bewusstsein darüber, dass sie Schmerzen haben oder Angst. Das ist wichtig, damit sie ihr Verhalten entsprechend anpassen können.

Sie haben für die Eidgenössische Ethikkommission ein Gutachten gemacht zur Kognition und dem Bewusstsein von Fischen. Sie sind zum Schluss gekommen, dass Fische wie Säugetiere ein Bewusstsein und Schmerzempfinden haben. Eine neue These.
Man akzeptierte schnell, dass Fische aufgrund ihrer Schmerzrezeptoren die physiologischen Voraussetzungen haben, um Schmerz zu empfinden. Das Problem war aber, dass einige Biologen sagten, dass sie aufgrund der fehlenden Hirnrinde im Gegensatz zu den Säugetieren doch keinen Schmerz empfinden können.

Hier kam die philosophische Betrachtung ins Spiel.
Ja, ich untersuchte, ob das Argument der fehlenden Hirnrinde ein gutes ist. Ist es nicht, denn sie können Schmerzsignale in anderen Hirnarealen verarbeiten .

Glauben Sie denn, dass ein Fisch auch Liebeskummer empfinden kann?
(lacht) Das ist eine schwierige Frage. Zuerst müsste man ja wissen, ob ein Fisch überhaupt verliebt sein kann. Man müsste sich überlegen, was Verliebtheit genau bedeutet. Da wird es schon schwierig. Die meisten sagen, dass Verliebtsein ein bestimmtes Gefühl ist. Dieses müsste man beim Fisch nachweisen können. Aber ich glaube, für das Verliebtsein reicht es nicht, ein bestimmtes Gefühl zu haben. Die Sicht des anderen muss einem wichtig sein. Wenn ich verliebt bin, muss ich die Welt auch durch die Augen des anderen sehen können.

Die Fähigkeit zum Altruismus.
Ja. Grundvoraussetzung dafür ist es, zu verstehen, dass der andere eine Sicht auf die Welt hat und damit eigene Werte. Hier überfordern wir den Fisch. Deshalb glaube ich nicht, dass er Liebeskummer empfinden kann.

Sind Sie trotz solcher Unterschiede zwischen Mensch und Tier der Meinung, dass wir auf derselben Ebene sind?
Ich vertrete grundsätzlich die biologische Perspektive, die besagt, dass Menschen Tiere unter Tieren sind, aber spezielle. Was uns spezieller macht, kann man mit Hilfe der Evolution erklären. Das ist eben die Tatsache, dass wir über Prinzipien unseres Handelns nachdenken können. Wir können uns Regeln geben. Wenn man sie verletzt, gibt es Sanktionen. Jetzt kann man darüber nachdenken, ob wir auch Regeln verletzen, wenn wir Tieren etwas antun. Eine wichtige Regel ist jene, nicht ohne guten Grund jemandem Schmerz und Leid zuzufügen.

Sie gilt auch für Tiere. Sie ist gesetzlich im Tierschutzgesetz verankert.
Ja. Wer Tieren ohne guten Grund Schmerzen zufügt, kann strafrechtlich belangt werden. Darüber hinaus geht die Würde des Tieres. Damit verbindet man bei Menschen ein Instrumentalisierungsverbot. Man kann Menschen also nicht einfach kaufen, als Instrument benutzen oder töten. Wenn man das mit der Würde der Kreatur in der Bundesverfassung ganz ernst nehmen würde, hiesse das dasselbe für Tiere. Man darf sie nicht töten, kaufen oder besitzen.

Dann dürften Sie auch Ihren Hund Titus nicht haben?
Er kann bei mir wohnen, wie ein Kind bei mir wohnt, aber ein Kind besitze ich ja auch nicht wie ein Eigentum.

Wenn Tier und Mensch ganz gleichgestellt wären, würde es unser Zusammenleben völlig verändern.
Ja, und ich bin überzeugt, dass wir in diese Richtung denken müssen, dass die Würde des Tieres ebenso zählt wie jene des Menschen.

Dann dürften wir Ihrer Meinung nach auch keine Nutztiere mehr halten?
Ja, zumindest keine Nutztiere, die man nur als Mittel zum Zweck hält. Ich kann mir aber vorstellen, dass man zum Beispiel noch Schafe hält, um die Wolle zu gebrauchen. Aber sobald man Tiere tötet oder auch einsperrt und unter schlechten Bedingungen hält, verletzt man ihre Würde. Und Nutztiere werden schlecht gehalten, auch in der Schweiz.

Das bedeutete, dass die ganze Landwirtschaft obsolet würde.
Man kann sich auch eine weitgehend vegetarische Landwirtschaft vorstellen. Oder eine Landwirtschaft, die Wolle oder Honig produziert oder eine massiv reduzierte Form von Milchwirtschaft. Oder eine Tierhaltung zur Erhaltung unserer Alpweiden.

Und wir würden statt Fleisch und Fisch Insekten essen?
Viele Leute sagen, wir müssten Fleisch und Fisch essen, um die Weltbevölkerung ernähren zu können. Wenn es aber wirklich darum geht, die Weltbevölkerung zu ernähren, sollte man einen hoch energiereichen Stoff nehmen. Wenn man am meisten Eiweiss verzehren will, sollte man Maden essen, sicher nicht Kühe.

Aber irgendwann wird man vielleicht merken, dass auch Maden ein Schmerzempfinden haben?
Im Moment sehe ich kein Kriterium, das die Empfindungsfähigkeit bei Maden unterstreichen würde.

Viele Menschen erachten Ihre Ideen als total extrem.
Das mag sein. Aber extreme Ideen haben in der Schweiz durchaus eine Chance. Irgendwann hat nämlich das Volk beschlossen, dass es eine Würde der Kreatur gibt, die in der Bundesverfassung festgelegt ist. Was Tiere anbelangt, haben wir die extremste Verfassung der Welt.

Welches Tier wären Sie gerne?
Ein Adler, weil dieses Tier so sehr verbunden ist mit dem Freiheitsgefühl. Das ist wohl so eine typisch philosophische Perspektive, jene über allem.


Info: Bis am Sonntag finden in Biel die Philosophietage statt. Markus Wild hält morgen, um 11.30 Uhr, im Stadttheater ein Referat unter dem Titel «Leid und Liebe, ‹ein tierisches Problem›». www.philosophietage.ch
 

Zur Person
Markus Wild ist 1971 geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik an der Universität Basel. Promotion 2004 (Basel). Habilitation 2010 (Berlin).
2003-2012: Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin.
2012-2013: SNF-Förderprofessor an der Université de Fribourg.
Seit 2013: Professor an der Universität Basel. Er ist seit 2012 Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich. sit

 

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