Sie sind hier

Abo

Biel

«Ich habe keinen Bock auf Social Media»

Der 23-jährige Bieler Cellist Samuel Niederhauser spielt heute im Farel-Saal ein anspruchsvolles Soloprogramm. Erfolg hat er auch ohne Präsenz in den Sozialen Medien. Und nun winkt sogar noch sein Traumjob.

Er will spielen, nicht an seiner Website basteln oder sich im Netz anpreisen. Copyright: Peter Samuel Jaggi / Bieler Tagblatt
  • Dossier
«Die letzten Tage waren hektisch», sagt der 23-jährige Bieler Cellist Samuel Niederhauser. Ausserdem musste er sein Instrument beim Geigenbauer vorbeibringen. So kurz vor dem Konzert? «Ich wollte unbedingt einen neuen Steg.» Das ist das kleine hölzerne Bauteil zwischen Decke und Saiten des Instruments. Es überträgt die Schwingungen, die mit dem Bogen erzeugt werden auf den Korpus des Instruments und bringt es dadurch zum Klingen. Der alte Steg war nicht kaputt. Der Cellist möchte mit einem neuen Steg den Klang optimieren. «Damit erreiche ich eine direktere Ansprache.»
 
Das Instrument ist nämlich noch nicht lange in den Händen des Bieler Musikers. Erst letztes Jahr hat er die Kostbarkeit erhalten. Es handelt sich um ein Cello von Carlo Giuseppe Testore aus den 1690er-Jahren. Er hat es von einer Gönnerin aus Zürich als Leihgabe erhalten – auf unbegrenzte Zeit. «Vor allem in der Tiefe klingt das Cello fantastisch», sagt er. 
 
Er hat kaum Pausen
Ob mit altem oder neuem Steg: Die Auswirkungen solcher Details sind für Laien kaum hörbar. Für Profis dagegen sind sie entscheidend. Samuel Niederhauser ist ein Profi. Oder genauer: Auf dem besten Weg dorthin. Was damit gemeint ist, veranschaulichen die vergangenen «hektischen» Tage. 
 
Zunächst organisierte er ein Konzert in seinem Wohnort Meilen am Zürichsee. Dann produzierte er eine Videoaufnahme und übermittelte sie kurz vor Ablauf der Anmeldefrist des Queen Elisabeth-Wettbewerbs nach Brüssel. Er präsentiert darin ein Wahl- und zwei Pflichtstücke, unter anderem die berühmte Arpeggione-Sonate von Schubert. «Sie ist extrem schwierig zu spielen, auch wenn sie einfach tönt.». Daneben übte er intensiv an Orchesterwerken. Er hat sich nämlich für eine Solo-Cello-Stelle bei einem Sinfonieorchester beworben. Wird er zum Vorspiel eingeladen, muss das Geforderte tadellos sitzen. Die Konkurrenz aus aller Welt wird erdrückend sein, denn es ist ein höchst begehrter Posten. «Es ist mein Traumjob. Ich hätte mit dieser Teilzeitstelle ein regelmässiges Einkommen. Daneben könnte ich eigene Projekte realisieren.» 
 
Bis ins Halbfinale
Zu alledem spielte Samuel Niederhauser vor wenigen Wochen in Genf ein Soloprogramm. Die Einladung dazu verdankt er dem Gewinn des Sonderpreises Guy Fallot anlässlich des Concours de Genève. Der Wettbewerb in Genf gehört wie derjenige in Brüssel zu den weltweit berühmtesten, aber auch anspruchsvollsten. Der junge Bieler Cellist hat das Halbfinale erreicht. Das ist eine herausragende Leistung, auch in Anbetracht der Herkunftsländer der übrigen sieben Halbfinalistinnen und -finalisten. Russland, Südkorea, Taiwan, Kanada. «Sie alle haben sicher frühe musikalische Förderung durchlaufen und von staatlichen Ausbildungsstrukturen für Hochbegabte profitiert», sagt er nicht ohne Stolz. Davon kann der musikalische Nachwuchs in der Schweiz nur träumen. 
 
Dennoch hat der junge Schweizer Musiker bereits viel erreicht. Allein letztes Jahr gewann er drei verschiedene Preise, darunter einen Studienpreis des Migros Kulturprozent. Der 23-Jährige hat zudem seinen Bachelor bei Thomas Grossenbacher an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen – und vor wenigen Monaten den Studiengang zum Master of Specialised Musical Performance Solist an der Musikhochschule Basel bei Thomas Demenga in Angriff genommen. Was er sich vom Studium bei diesem renommierten Cellisten erhofft? «Ich wünsche mir künstlerische Impulse.» Er ist auch gefordert: Jede zweite Woche steht eine Klassenstunde an, wo die Studierenden sich gegenseitig vorspielen. «Es ist eine gute Einrichtung. Vorspielen kann man ja nicht üben. So lernt man in diesem kleinen, geschützten Rahmen aufzutreten und gut zu performen, auch wenn man einmal nicht besonders gut vorbereitet ist.»
 
Eine gute Vorbereitung heisst für den jungen Cellisten im Idealfall, sechs Stunden pro Tag üben. Nur selten aber hat er einen ganzen Tag frei, um sich nur dem Cello zu widmen. Und manchmal weigert sich auch der Körper, diese Höchstleistung zu erbringen. Vor drei Jahren hatte er Schmerzen in seinen Fingern. Heute ist es sein Handgelenk, dass ihm zu schaffen macht. Er liess es durch eine MRI untersuchen. Es stellte sich heraus, dass eine Sportverletzung nicht richtig verheilt war. «Ich hatte sie mir vor vielen Jahren beim Fussball eingehandelt.» Dank regelmässiger Physiotherapie geht es schon besser. Zum Glück: Denn das Programm, dass er heute Abend spielt, hat es in sich.
 
«Die Solo-Sonate von Zoltán Kodály ist sehr virtuos», sagt er. Daneben spielt er eine Suite von Johann Sebastian Bach sowie ein Werk für Cello solo seines derzeitigen Lehrers Thomas Demenga, der selber auch Komponist ist. «Eigentlich wollte ich ein Werk des Veranstalters Daniel Andres einstudieren. Aber dann kam der Wettbewerb in Genf dazwischen, und ich hatte keine Zeit mehr, es zu lernen.»
 
Konzert in Dubai
Auch die nächsten Monate sind wieder dicht gestrickt mit Auftritten an Wettbewerben, Vorspielen und Konzerten, auch zusammen mit seinem Klaviertrio. «Wir spielen im März an der Expo in Dubai.» Gibt es neben alledem auch ein Freizeitleben? «Ich jogge gerne. Letztes Jahr habe ich beim Grand Prix in Bern mitgemacht.» Auch spielt er Pingpong und Badminton. Und er fährt gerne mit seinem Rennvelo. Doch nun hat ihn eine Entzündung im rechten Fuss erwischt und er muss seine sportlichen Aktivitäten einschränken. Dann bleibt also Zeit, um sich eine Website einzurichten, wie es sich für einen ambitionierten Musiker gehört? «Ich werde bereits von allen Seiten dazu gedrängt», sagt der junge, sympathische Musiker etwas verlegen. Eigentlich hätte er dies im Oktober vorgehabt. Doch das Weiterkommen beim Genfer Wettbewerb habe auch diese Pläne durchkreuzt. «Ich werde mir an Weihnachten Zeit dafür nehmen.» Und Social Media? «Ich habe keinen Bock darauf», sagt er im Wissen, dass viele Musiker über diese Kanäle ein grosses Publikum erreichen. Eigenwerbung liegt dem sympathischen jungen Musiker nicht besonders. Sie kostet ihm auch zu viel Zeit. Viel lieber schaut er sich stattdessen einen YB-Match an. Annelise Alder
 
Info: Heute 19.30 Uhr im Farel-Saal, Oberer Quai 12, Biel. Samuel Niederhauser spielt Werke für Cello solo von Bach, Kodaly und Demenga. Tickets für 30.-/15.- an der Abendkasse. Es gilt die 2G-Regel.

Nachrichten zu Kultur »