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«Ich kenne kein Mittelmass an Gefühlen»

Basil Anliker alias Baze wird längst in einem Atemzug mit Kuno Lauener und Endo Anaconda genannt – und das als Rapper. Heute stellt er sein neustes Projekt Kraake in Biel vor.

Baze zieht sich gerne an wie ein 18-Jähriger, doch in seinen Texten steckt viel Reife. Bild: Beat Mathys

Martin Burkhalter

Der Tiger auf seinem T-Shirt soll auf den Bildern für die Zeitung gut sichtbar sein. Deshalb zupft er es nun immer wieder zurecht, während der Fotograf unablässig auf den Auslöser drückt.

An der BEA etwa vor drei Jahren habe er sich gleich ein halbes Dutzend solcher Batik-T-Shirts mit Tiermotiv geschnappt. «Das ist jetzt mein neuer Style», sagt er und lacht, während er so in kurzen Hosen dasitzt und seine Schultern hüpfen. «Ich ziehe mich oft noch immer an wie ein 18-Jähriger.»

Die Fotosession findet auf dem Areal der ehemaligen Gurtenbrauerei in Wabern statt. Hier hat der Berner Pianist Fabian M. Mueller seinen Proberaum, und hier haben Baze und Mueller in den letzten paar Jahren viel Zeit miteinander verbracht. Zum Beispiel spielten sie hier die berüchtigte «Abstand Session» – ein 45-minütiges Konzert. «Aufgenommen in einer komischen Zeit an einem Abend im März 2020», heisst es unter dem viel beachteten Youtube-Video. Es war Lockdown.

Unverschämt frei

Mit Fabian M. Mueller hat er auch sein jüngstes Album eingespielt, das er heute in Biel vorstellt. Es heisst «Kraake», klingt ganz anders als alles, was er bisher geschaffen hat, und ist doch unverkennbar ein Baze-Werk.

«Kraake» ist reine Improvisation, jeder Song und jeder Text ist aus dem Moment heraus entstanden, es gibt keine Notizen, keine niedergeschriebenen Lyrics, es gibt nur das Zwiegespräch zwischen Instrument und Text. Es ist kein Monument wie frühere Alben, eher der Torso einer filigranen Skulptur.

Nach dem virtuosen und revolutionären Album «Bruchstück» von 2017 oder dem eindringlichen und sprachmächtigen «Gott» von 2018 zeigt sich auch auf diesem neuen Album, weshalb der 41-Jährige zu den wichtigsten Musikern in diesem Land gehört und sich auch zu den bedeutendsten Berner Mundarttextern zählen kann. «Kraake» ist ein weiterer Beleg dafür, dass Baze längst dort angekommen ist, wo er alles wagen, wo er völlig frei sein kann. «Es stimmt, ich fühle mich sehr frei», sagt er. «Wenn man eine eigene Sprache gefunden hat, ist man kaum mehr angreifbar.»

Was die zehn Songs des neuen Albums im Innern zusammenhält, ist die Lust am Experiment. «Kraake» kommt aus der Werkstatt. Es franst aus, es ist alles andere als perfekt, es knarrt und ächzt. Die Texte sind manchmal nur Fragment geblieben. Eigentlich besteht es nur aus Pianoballaden mit elektronischen Beats und Sprechgesang. Mal hört sich Baze wie ein nuschelnder Tom Waits an, wenn er auf «Wäge däm» seine Bewunderung für einen Menschen bekundet, der sich nicht verbiegen lässt. Mal frech wie Falco, wenn er auf «Du u Dini» irgendjemandem aus dem Weg gehen will.

Es ist schon fast unverschämt, was er sich textlich erlaubt, wie viel er weglässt und doch eine Geschichte erzählen kann. Es funktioniert nicht immer, manchmal wirkt es unfertig. Aber dann brilliert er wieder, etwa wenn er in «Näbe dir» eine fatale Liebesgeschichte nur andeutet. «Wo du uftouchsch, touch i ab» singt er. «Näbe dir löse mi uf.»

Endo Anacondas Laudatio

Zu Recht wird er immer wieder in einem Atemzug mit Kuno Lauener oder Endo Anaconda genannt. Gerade weil er ganz eigen und eigentlich nicht vergleichbar ist. Weil er für seine Lebensabschnitte stets die richtigen Worte findet. Mit Lakonie, kruder Poesie und einer Prise Unverschämtheit schafft es Baze, dem bisweilen allzu gefälligen, allzu niedlichen Berner Dialekt einen eigenen Stempel aufzudrücken, und das seit mindestens fünfzehn Jahren.

«Z Läbe isch so läär wie Freibäder im Winter», sang er schon 2007 auf dem Album «Unplugged». Und auf «Gott» von 2018 sagt er: «Duss zie Männer iri Ränzä i / rubble es läbelang Los uf / gwinne ä Zäner / investiere dä Zäner / choufenes Neus / chöme mit lääre Händ hei / küsse se / sueche iri Nächi / doch niemer uf derä Wäut / wo witer vo ihne entfärnt isch.»

Er zeigt ungekünstelt, dass auch im beschaulichen Bern das Leben wehtun kann, dass auch hier die Menschen lieben und zweifeln und leiden. Er findet die universell gültigen Geschichten im Kleinen. Und auch musikalisch geht er immer neue Wege, hat keine Angst, alles ganz anders zu machen. Jedes neue Album zeigt eine neue Facette des Musikers. Nicht umsonst hat er 2017 den kantonalen, 2018 den Schweizer Musikpreis und unlängst – an den Swiss Music Awards 2020 – auch den Artist Award gewonnen. Endo Anaconda hielt die Laudatio.

Rap im Obstberg

Der Weg dorthin war lang – und noch immer ist Baze gewisse Etiketten nicht losgeworden. Immer noch wird er vor allem als Rapper gesehen. Dabei ist er längst zum Lyriker geworden, in der Tradition des amerikanischen Dichters und Musikers Gil Scott-Heron zum Beispiel.

Aber ja, mit Rap hat alles angefangen. Baze ist im Berner Obstberg-Quartier aufgewachsen, dort wo auch Wurzel 5 herkommen. So ist er in die Szene reingerutscht. «Ich hatte mal fünf Jahre Gitarrenunterricht. Aber ich bin einfach zu ungeduldig und wahnsinnig faul. Aber ich habe ein gutes Rhythmusgefühl und hatte schon immer eine eigene Art, mich auszudrücken. Das kam irgendwie an.»

In der Deutschschweizer Hip-Hop-Szene zählt Baze seither zu den angesehensten Urgesteinen, auch wenn er nur noch selten klare Rap-Alben macht. Er ist auch heute noch Teil des Rap-Kollektivs Chlyklass, das ein Zusammenschluss von PVP, DJ Skoob und eben Wurzel 5 ist. «Rap war halt auch ein Lifestyle», sagt er. «Die Szene war damals klein, und wir dachten, wir seien sowieso die Grössten. Und ja, wenn jemand sagt, Rap sei lächerlich, fühle ich mich immer noch ein wenig angegriffen. Ich verstehe mich immer noch als Bestandteil der Szene.»

Onkel Pädu Anliker

Doch nicht nur der Hip-Hop prägte seinen Weg, sondern auch sein links-alternatives Elternhaus, wo immer etwas los war, wie er sagt, wo regelmässig Türen zugeknallt wurden. «Unsere Familie war und ist laut und temperamentvoll. Noch heute kenne ich kein Mittelmass an Gefühlen. Die innere Ruhe fehlt mir einfach.» Die Eltern seien das pure Gegenteil voneinander. Der Vater laut, die Mutter eher introvertiert. Beide seien sehr offen und dann doch wieder konservativ.

Der verstorbene Mokka-Gründer Pädu Anliker war Bazes Onkel. Dieser habe ihm zu Weihnachten einmal die Miniaturnachbildung eines Autounfalls geschenkt. «So war alles in unsere Familie. Wild und schräg und musikbegeistert.» Seine musikalische Bildung habe er zu einem grossen Teil dem Umstand zu verdanken, dass zu Hause immer Musik gelaufen sei. «Von Free Jazz über Paolo Conte, Frank Zappa, Tom Waits bis Dire Straits. Es lief immer Musik. Und eigentlich immer gute.»

Heute ist Baze selber Vater von zwei Kindern. Er meint, er sei jetzt reifer geworden, habe sich besser im Griff. Auch wenn man ihm das zumindest an der Kleidung nicht ansieht, so hört man es doch immer wieder in seiner Musik.

«Ich war nie der Typ für grosse Themen. Ich war immer der Meinung, dass man besser im Kleinen Grosses sagt. Was uns umgibt, ist ja meist einfach Alltag. Daraus schöpfe ich», sagt er. Die Texte von Kuno Lauener oder auch von Endo Anaconda bewundere er sehr. «Ich finde, das ist Weltliteratur. Wir sollten deshalb auch mit Stolz in die Welt hinausgehen und zeigen: Das sind wir, das ist unsere Realität.»

Info: Kraake (Baze/Fabian Müller): «Kraake» (Eret). Live heute Abend um 21 Uhr im Le Singe, Biel.

Stichwörter: Baze, Rap, Musik, Kultur, Schweiz

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