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Büne Huber

«Ich möchte nie ein Verwalter 
meines Werkes werden»

Auf ihrem zehnten Album «Cut up» gesellen sich bei Patent Ochsner zur Verspieltheit vermehrt Gedanken zur Vergänglichkeit: Büne Huber wird älter, findet aber auch immer wieder den inneren Buben.

Sänger Büne Huber (Mitte): «Es gibt diese Diskrepanz zwischen meinem Alter und meiner persönlichen Lebenssituation.» Bild: zvg/Jürg Ramseier

Interview: Rudolf Amstutz

Büne Huber, in der Rahmenhandlung von «Cut up» wird die Geschichte von Razzo Rocchino erzählt, einem Entfesselungskünstler und einem Alter ego von Ihnen.
Büne Huber: Ja. Weil: Es gab diese dunkle Zeit – vor einigen Jahren –, in der ich mit Müh und Not aus einer Depression herausgefunden habe. Damals wusste ich: Um einen Neuanfang machen zu können, brauche ich Zeit nur für mich allein. Ich stieg dann einfach ins Auto und fuhr «z Loch ab» Richtung Mittelmeerküste. Ich tat dies bewusst ohne Bezugspunkte oder Ziel. Ich habe unterwegs viel geschrieben, habe Dinge notiert, collagiert, gezeichnet und fotografiert. Ich fühlte auf dieser Reise den Geist von Jack Kerouacs «On the road». Und wie er habe dann auch ich mein geschriebenes Material verschnippelt und neu zusammengesetzt.

Daher der Titel «Cut Up».
Genau. Das Resultat mündete in ein 40 Seiten langes Gedicht, das mir ganz eigenartige Inspirationsräume für neue Songs eröffnete. Es geht eigentlich darum, immer neue Formen und Wege zu finden, sich selber zu überraschen. Ich habe zunehmend das Gefühl, dass der Werkzeugkasten, den ich mit mir rumtrage, ziemlich beschränkt ist. Ich werde bei jedem Album mit meinen Grenzen konfrontiert. Natürlich wünschte ich mir einen grösseren Werkzeugkasten, aber den habe ich nicht. Also versuche ich mich zu überlisten, indem ich wie ein kleiner Bub mit all den verfügbaren Sachen im Sandkasten spiele. Wichtig ist, dass das Ganze nie zu einem abgekarteten Spiel mit mir selber wird.

Als 57-Jähriger versucht man die Neugier des Zehnjährigen zu reaktivieren. Aber eben: Man wird nun mal einfach älter.
(lacht laut) So ist es.

Wenn man allerdings bedenkt, dass Bob Dylan mittlerweile 78 ist und immer noch munter auf Tournee …
Genau das wünsche ich mir
auch ...

... und dabei immer neue Wege findet, um seine alten Songs neu zu interpretieren.
Das ist ein interessanter Punkt. Ich möchte nie einer werden, der sein eigenes Werk verwaltet. Klar gibt es ein paar Songs, die man auf Festivalbühnen einfach spielen muss, weil die Erwartungen derart gross sind. Aber das ist okay für mich. Es gibt daneben immer noch eine Menge Spielraum für die ungewohnten Dinge. Aber ich denke schon, dass man bei älteren Songs eine Art Dylan-Haltung einnehmen muss, damit sie weiterhin lebendig bleiben.

Auf dem letzten Livealbum «Strange Fruits» ist dies ziemlich gut gelungen.
Finde ich auch. Ich habe wahnsinnig Freude an diesem Album. Als Disu Gmünder in «Bälpmoos» dieses Gitarrensolo macht – Mann, ich war so überwältigt, was «dä Siech dört abdrückt hett». Das war dermassen energetisch, dass ich völlig euphorisiert den nächsten Song «Trybguet» viel zu schnell angezählt habe. (lacht laut). Normalerweise nimmt mich in solchen Fällen unser Drummer Ändu Hug relativ rasch an die Kandare. Aber in diesem Fall hat er das nicht gemacht und die Band setzte ein und ich dachte nur noch «Bloody Hell, das geit gar nid!» (lacht). Mittlerweile sind alle in der Band überzeugt davon, dass dies das richtige Tempo für diesen Song ist.

Das sind dann jene Momente, in denen man im Kollektiv etwas völlig Neues erlebt. Solche Momente bringen eine Band auch weiter, oder?
Ja klar. Wir teilen eine lange Geschichte und unser Zusammensein ist schon sehr familiär. Letzten Sommer hatten wir, um die Songs zu proben und aufzunehmen, das alte Waisenhaus der Burgergemeinde gemietet. Dort hat es eine wunderschöne geräumige Küche, in der ich jeden Abend für uns gekocht habe. Da sassen wir alle gemeinsam an einem langen Tisch mit Kind und Kegel und mit Freunden, bevor es dann in die Nachtsession ging. Und da hat die Frau von Keyboarder Chrigu Brantschen wohl unser Geheimnis auf den Punkt gebracht, als sie meinte, wir würden die Musik nie vom Essen trennen.

Das Album beginnt mit einer Kinderstimme, die «Alooo» sagt und endet mit «Kreis», einem Abschiedslied. Es ist, als hätten Patent Ochsner ein ganzes Leben mit all den Höhen und Tiefen in das Album gepackt.
Das freut mich wahnsinnig, wenn man das erkennt. Aber das sehen wohl nur jene, die ein Album als Ganzes statt als eine Sammlung von neuen Songs betrachten.

Die grössere, zusammenhängende Geschichte, die eigentlich fast alle Platten von Patent Ochsner auszeichnet, kann schon verloren gehen, wenn sich die Menschen dank der digitalen Möglichkeiten nur noch jene Songs herauspicken, die auf Anhieb gefallen.
Das stimmt, aber man kann es auch von einer positiven Seite betrachten. Ich kann heute einen «Director‘s Cut» eines Albums machen und ihn morgen digital ins Netz stellen. Hier eine kleine Petitesse und dort noch eine Klangcollage. Das müssen die Leute ja nicht zwingend kaufen, aber wir als Musiker haben Spass daran. So gesehen, eröffnet der jetzige Zustand auch wieder neue Räume, die wir kreativ füllen können. Aber live sehen wir uns schon länger mit dem Umstand konfrontiert, dass die Leute anfangen zu reden, wenn wir nicht gerade einen Hit spielen. Ich hab das selber bei einem Konzert von Kunz im Bierhübeli erlebt. Da stand ich ganz hinten und um mich herum «es Riesegschnurr». Da zahlt man 50 Franken oder noch mehr für einen Anlass und dann bist du von Leuten umgeben, die nichts Besseres zu tun haben, als sich konstant Dinge zu erzählen.

«Cut Up» – ein englischer Titel für ein Mundartalbum und
auf «La Rose» singen Sie französisch …
Seit in Europa an der Spitze gewisser Staaten diese hochneurotischen Menschen stehen, giessen plötzlich alle Nationen ihre Wurzeln, sprechen bewusst Dialekt und sperren ihre Gärtchen ab. Das gab es früher auch schon, nur wird dies im Moment viel schamloser betrieben. Ich habe nicht bewusst einen englischen Titel gewählt, aber plötzlich tun sich in mir Widerstände gegen diese nationalen Zustände auf. Es ist eine Art Trotzreaktion, auf das, was um einen herum vor sich geht. Es gibt auch Leute, die sagen, der Büne dürfe nicht französisch singen. Das sei peinlich. Und gerade deswegen mach ich es. Berndeutsch ist doch nicht sakrosankt!

…und auch die Rahmenhandlung wird am Anfang, in der Mitte und am Ende der Platte in Englisch vorgetragen.
Da ist dann auch ein Augenzwinkern dabei, vor allem wenn der Erzähler am Ende das Publikum in feinstem britischen Akzent beschimpft (lacht). Das ist dann wieder der Bub im Sandkasten.

«Kreis», der letzte Song, nimmt noch einmal die Vergänglichkeit auf, die sich – trotz der Verspieltheit und Lebenslust – durch die ganze Platte zieht.
Es gibt diese Diskrepanz zwischen meinem Alter und meiner persönlichen Lebenssituation. Ich habe mit meiner Frau zwei kleine Kinder und Hannah, meine Tochter aus erster Ehe, hat mich zum Grossvater gemacht. Wir sind eine richtige Sippschaft und dank diesen Knirpsen ist vieles lustig, leicht und verspielt. Aber in meinem Freundeskreis geht es plötzlich um Chemotherapie oder um frühe Phasen der Demenz. Diese Gegensätze machen das Album durchzogener, brüchiger. Polo Hofer ist mit 70 gestorben, das wäre in 13 Jahren für mich. Es rückt alles näher. Wenn ich heute mit den Kindern spiele, möchte ich am liebsten am nächsten Tag zum Osteopathen, um mich wieder zurechtbiegen zu lassen (lacht). Tinu Heiniger hat es für mich am treffendsten gesagt: «Wir bewegen uns langsam in jenen Teil des Waldes, wo geholzt wird.» Das finde ich ein starkes Bild. Man kommt einfach nicht umhin, sich mit dem Abschied auseinanderzusetzen.

Info: Patent Ochsner, «Cut up» (Universal). Live: 29.6. Summer-stage, Basel, 19.7. Gurten Festival, 21.7. Moon & Stars, Locarno,
10.8. Heitere Open Air, Zofingen.

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Büne Huber erzählt «Stories von ...»
1991, im Jahr, als Patent Ochsners «Schlachtplatte» erschien, hörte die Sowjetunion auf zu existieren und Bill Clinton wurde zum US-Präsidenten gewählt. Vom Kameramann mit solchen historischen Ereignissen konfrontiert, erzählt Büne Huber zurzeit unter dem Titel «Stories von …» auf Youtube Geschichten über jene Jahre, in denen ein Album seiner Band erschien. «Es war die Idee der Plattenfirma», sagt Huber, «weil ich weder nostalgisch veranlagt bin, noch den Modus des Zurückschauens kenne.» Aber es gebe neben den Fans, die mit ihnen älter geworden seien, eben auch viele Junge und Quereinsteiger. «Aber ich bin schon sehr verbunden mit meinem Werk», gibt er zu, «und wenn ich erzähle, dann rede ich die Dinge auch nicht schön oder verkläre sie.» Das Reinschauen lohnt sich, weil Huber mal ernst, mal mit viel Humor Anekdoten aus 28 Jahren Ochsner-Geschichte preisgibt. ra

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