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Musik

«Ich wollte frei sein»

Adrian Stern hat sich selbstständig gemacht und meldet sich mit einem persönlichen Album zurück. Und in «Sing meinen Song – das Schweizer Tauschkonzert» erlebt er einen ganz emotionalen Moment.

Adrian Stern in «Bastelhausen», seinem Heimstudio im Elternhaus, das früher sein Kinderzimmer war.  copyright: reinhold hönle

Interview: Reinhold Hönle

Adrian Stern, was hat Sie inspiriert, ausgerechnet in dieser Zeit ein heiteres Lied zum Thema Sorgen zu schreiben?
Adrian Stern: (schmunzelt) Am Anfang stand dieses Ukulele-Element, das mir sehr gefiel und mich an Supertramp erinnerte. Dazu suchte ich eine geeignete Geschichte mit einem Hauch Ironie. Corona trug dann seinen Teil bei, dass es «Sorge» aufs Album schaffte. Natürlich ist die Frage, wie wir die Pandemie hinter uns bringen, unsere Hauptsorge, dennoch bleiben die Luxussorgen bestehen.

Sind all die kleinen Sorgen im Lied von Ihnen selbst?
Die Zeilen «Ich cha nöd i’d Hängematte, will scho e Schildchrott drin liit» entstanden am Küchentisch zusammen mit unseren Töchtern. Mina fand, das klinge lustig, weil wir zwar eine Hängematte, aber keine Schildkröte haben. Dann drängte sich noch das Thema Netflix auf und die Angst, es könnten einem die Filme zum Anschauen ausgehen. Meine Frau Mylen rief mir aus der unteren Etage zu, sie fände was über fehlende Zahnpastadeckel witzig. So entstand der Song mit der Botschaft «Hören wir auf, uns wegen solcher Lappalien zu beklagen!» als lustvolles familiäres Gemeinschaftswerk.

Ein grösseres Problem dürfte sein, dass Ihre Tournee wohl erneut verschoben werden muss.
Im Moment sind die Konzertdaten noch aufgeschaltet. Bevor sie durch eine staatliche Verordnung verboten werden, können wir nichts absagen. Sonst bekommen meine Musiker keinen Erwerbsausfall. Ich nehme es, wie es kommt. Der Zeitpunkt für das neue Album erscheint mir günstig. Vielleicht haben die Leute ja jetzt mehr Zeit, es sich in voller Länge anzuhören?

Ihr Album beginnt mit «Meer schaffet das». Ihr erstes politisches Lied überhaupt?
Nein, auf der dritten Platte gibt es «König vo de Wält», der Typen wie Trump und Bolsonaro beschreibt. Aber nun habe ich endlich einen Weg gefunden, meine nachdenkliche Seite, die sich um unsere Welt sorgt, in einer befriedigenden Form zum Ausdruck zu bringen. Man soll spüren, was ich sagen will, aber der Song für andere Interpretationen offenbleiben.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Angela-Merkel-Zitat zum Titel zu machen?
Der Text nahm schon Gestalt an, bevor ich daran dachte, dass das ihr berühmter Ausspruch in der Flüchtlingskrise war. Zu dieser Art, gedanklich in einen Satz einzutauchen und daraus einen Text mäandern zu lassen, hat mich die junge Musikergeneration von Wortakrobaten wie Lo & Leduc und Hecht inspiriert. Das ganze Album ist in einer Aufbruchsstimmung entstanden, nachdem ich mich von meiner Plattenfirma und meinem Management getrennt hatte. Ich wollte frei sein und machen, was mich beschäftigt.

Ihre Wege haben sich trotz der erfolgreichen Zusammenarbeit getrennt?
Ich schrieb ein paar neue Songs und schickte sie der Plattenfirma. Dort wurden sie mit wenig Begeisterung aufgenommen. Das enttäuschte und verunsicherte mich sehr. Ich bat um ein Treffen und sie schlugen mir vor, ich sollte an meinen Followern arbeiten, mit ihnen über einen Youtube-Channel oder einen Blog kommunizieren. Es ging ihnen offenbar nicht mehr um die Musik, sondern um meine Social-Media-Präsenz. Dieser Ansatz entspricht mir gar nicht. Da das Management inzwischen in anderen Sphären absorbiert war, haben wir uns in Freundschaft getrennt.

Welcher Song aus Ihrer Karriere hätte Ihrer Meinung nach ein Hit werden müssen?
 «Chum mir singed die Songs wo mir liebed und tanzed mit ihne dur d’Nacht», die erste Single des letzten Albums, fand ich richtig toll. Ich erwartete, dass sie die Leute zutiefst berührt. Doch bei den ersten Gigs stand ich vor dem Publikum und musste mir eingestehen, dass der Funke nicht übersprang. Als ich im Anschluss eine ausgedehnte Solo-Tournee machte, hatte ich mehrheitlich ein mittelalterliches Publikum, teilweise mit ihren Kindern, und viel Spass beim Geschichten erzählen, Wunschlieder singen und darauf eingehen, was um mich herum passierte. Da reifte in mir der Wunsch, eine Platte mit Liedern aus meiner Schweiz machen.

Und wie sieht die aus?
Meine Schweiz ist irgendwo zwischen Stadt und Land, ohne «Heimweh nach der Bärge», «Müeh mit de Chüeh» oder «Heldä und Legändä». Eine Geschichte, «Pyjama», handelt vom Knistern in der Skihütte, «Chum Adi dance mit mir» von der grossen Verliebtheit im Jugendraum.

Das ist amüsant: Sie bedienen sich bei DJ Bobo und der hatte seinen ersten Hit von Rockwell abgekupfert …
Deshalb gehe ich auch davon aus, dass ich ungeschoren davonkomme! (lacht) Er wird sich ja wohl kaum beklagen, wo er das Lied doch selber geklaut hatte.

Wie kamen Sie auf Ihre Version von «Somebody Dance With Me»?
Die Urfassung entstand, als im Schweizer Fernsehen jeder Gastkünstler der Show zu Ehren von DJ Bobo ein Lied von ihm coverte. In «Somebody» steckt mit Goodwill ein Adi und der Refrain «I Got This Feeling» klingt am Ende nach Mylen.

Ihre Liebeslieder berühren, da Sie auch authentisch wirken, wenn sie künstlerisch überhöht sind.
Ich fände es wahnsinnig anstrengend, wenn ich mir die Themen alle ausdenken müsste. Ich bin deshalb sehr dankbar, dass Dinge um mich herum passieren, aus denen ein Song werden könnte. Ein gutes Beispiel ist «Iigfrührmomänt»: Wenn wir nach einer anstrengenden Zeit mit den Kindern etwas sehr Schönes erleben, sagt Mylen oft, es wäre ein Iigfrührmoment. Zwei Zeilen des Lieds erinnern auch daran, was mir im Gebärsaal passiert ist. Meine Frau leistete Schwerstarbeit, während ich, der als Mann keine Funktion hatte, immer müder wurde, um einen Stuhl bat und darauf einschlief. Heute können Mylen und ich über diese Episode lachen, obwohl es eine ganz und gar unehrenhafte Sache meinerseits war ...

Welches ist das Canzone, das Sie in «Euses Lied» besingen?
Immer, wenn wir in Italien in den Ferien sind, hören wir Radio Italia und kommen dann mit einem Lieblingslied nach Hause, etwa von jüngeren Künstlern wie Zero Assoluto oder Cesare Cremonini. Mylen, die schon in ihrer Kindheit mit den Eltern oft dort war und perfekt Italienisch spricht, schwärmt für Vasco Rossi. Sein Lied «Vita Spericolata» bedeutet uns beiden sehr viel. Das wahre Herz der Mundartmusik schlägt für mich in Italien!

Wie meinen Sie das?
In der Schweiz will man mich nicht mehr auf SRF 3 spielen, ich sei nun ein SRF-1-Künstler. In Italien macht man diese Trennung nicht.

Nun sind Sie auf TV24 in «Sing meinen Song – das Schweizer Tauschkonzert» zu sehen. Wie kam es dazu?
Als ich Seven in der ersten Staffel sah, schickte ich ihm eine SMS, dass ich da auch gerne mitmachen möchte. Ich habe mich riesig gefreut, als er mich anfragte. Wir sind eine ganz coole Runde!

Haben Sie die anderen Künstler vorher schon persönlich gekannt?
Ta’Shan, die Berner Entdeckung mit indischen Wurzeln, kannte ich am wenigsten. Kunz und ich fanden erst dort heraus, dass wir ganz in der Nähe wohnen. Seine Frau kommt ja aus Baden. Jetzt können wir zusammen mit unseren Kindern in den Wald! (lacht)

Welche Interpretation eines Adi-Stern-Songs hat Sie am meisten berührt?
Seven coverte «Amerika» und baute, wenn auch unbewusst, musikalische Trigger ein, die mich in meine Jugend in den Achtzigerjahren mit Bruce Springsteen, Michael Jackson, Huey Lewis, The Eagles und Don Henley zurückversetzte. Sevens Synthies, der Sound und ein spezieller, von «Boys Of Summer» inspirierter Akkord berührten mich tief. Da liefen mir Tränen übers Gesicht. Wir sangen das Lied dann auch noch gemeinsam und das war so schön, dass es mich fast umgehauen hätte.

Wir machen dieses Interview in Ihrem Heimstudio, das sich im Dachstock Ihres Elternhauses befindet. Welche Erinnerungen verbinden Sie damit?
Das ist mein ehemaliges Kinderzimmer. An die Decke, an der jetzt die Schallabsorber hängen, nagelte ich früher meine zerbrochenen Rollbretter. Anstelle des Löttisches stand früher mein Bett. Auf dem alten Foto dort drüben sitze ich in einem neongrünen Pyjama, mit Riesenbrille und meiner ersten Stratocaster-Gitarre, im Hintergrund der Verstärker, Poster von Jimi Hendrix und Santana. Hier hat alles begonnen.

Sie nennen Ihr musikalisches Reich Bastelhausen. Da denke ich sofort an Entenhausen. Sind Sie Comic-Fan?
Die ersten Carl-Barks-Comics mit Enten wie Donald Duck beflügelten mich sehr. Doch der Aspekt des Bastelns ist mir wichtiger: Einen Song zu schreiben hat etwas Spielerisches, einen unseriösen Kern.

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