Sie sind hier

Porträt

«Ich wollte immer in Biel etwas bewirken»

Der Bieler Musiker, Kritiker, Lehrer, Journalist, Verleger und Buchautor Daniel Andres feiert heute seinen 80. Geburtstag. Ein Gespräch mit dem «Bieler Urgestein» über sein Leben, die Musikstadt Biel und eine bevorstehende Uraufführung.

Daniel Andres blickt auf ein bewegtes Leben zurück

Interview:Annelise Alder


Daniel Andres: Wir treffen uns auf Ihren Wunsch hier im Farelhaus. Hat der Ort für Sie besondere Bedeutung?
Daniel Andres: Ja, ich organisiere seit ein paar Jahren Konzerte im Farelsaal. Mir gefällt der Saal, der Bau an sich mit dem Bistro und dem Innenhof, vor allem auch nach seiner Renovation. Es ist ein Ort mit einer kulturellen Tradition.
«Révélation – Jeunes Interprètes», heisst die Reihe. Es ist ein Podium für junge Künstler. Liegen ihnen junge Interpreten besonders am Herzen?
Einerseits ja, andererseits bestand in Biel in diesem Bereich auch eine Lücke im Angebot. Zwar stellen auch die Logen-Konzerte junge Künstler vor. Aber ich habe in den letzten Jahren so viele hervorragende Künstler aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich, aber auch aus Osteuropa kennengelernt. Ich fände es schade, wenn sie am Bieler Publikum vorbeigehen. Deshalb möchte ich sie hier vorstellen.
Haben Sie die auftretenden Solisten alle schon zuvor gehört?
Mit wenigen Ausnahmen habe ich sie alle selbst gehört, und zwar an Festivals wie das in Verbier oder in Gstaad. In Luzern gibt es zum Beispiel eine Debüt-Reihe, wo junge Künstler auftreten.
Wie schätzen sie das Musikangebot in Biel generell ein?
Für eine Stadt mit 50’000 Einwohnern – mit der Agglomeration sind es 80’000 - hat die Stadt ein gutes kulturelles Angebot, dies vor allem im Vergleich mit einer ähnlich grossen Stadt in Deutschland oder in Frankreich. Meine Gäste staunen jeweils, dass wir eine Oper und ein Sinfonieorchester haben. Wir müssen das auch unbedingt beibehalten. Es wäre ein Jammer, wenn es diese Institutionen nicht gäbe.
Sie üben verschiedene musikalische Tätigkeiten aus. Welche am liebsten?
In den letzten 20 Jahren stand das Komponieren im Mittelpunkt. Es ist mein zentrales Anliegen. Daneben habe ich eine Organistenstelle. Ich spiele praktisch jeden Sonntag irgendwo. Ich gebe aber keine grossen Orgelkonzerte mehr, weil die Konzentration im Alter leider nachlässt. Ich leite auch die Weihnachtskonzerte in der Zwinglikirche. Die sind mir wichtig.
Ihr Leben als Komponist war auch von Krisen geprägt. Nach Abschluss der Musikhochschule wollten Sie nicht mehr komponieren.
Ich hatte einerseits keine Zeit mehr, um Musik weiter zu betreiben. Am Ende des Kompositionsstudiums habe ich mich zudem auf die serielle Komposition konzentriert und mich auch mit dem entsprechenden Buch von Pierre Boulez, dem Vordenker dieser Kompositionstechnik, auseinandergesetzt. Mit der Zeit kam mir dieser Kompositionsstil aber sehr steril vor. Ich war damals ohnehin mehr vom Jazz und Pop fasziniert und habe als Journalist auch darüber geschrieben. So besuchte ich während mehreren Jahren das Jazzfestival in Montreux. Ich habe zum Beispiel Deep Purple oder Led Zeppelin gehört. Frank Zappa habe ich leider verpasst, ich kannte ihn aber von Aufnahmen her. Miles Davis war für mich sehr wichtig. Dann begann ich auch wieder zu komponieren. Zusammen mit Steff Sulke, der in Biel ein Aufnahmestudio hatte, arrangierte ich Popsongs. Über diesen Weg fand ich wieder ins Komponieren zurück, wobei ich nun gerne Jazz- oder Pop-Elemente benutzte und so collageartige Werke komponiert habe.
Sie haben auch andere Berufe ausgeübt, nicht nur komponiert oder als Journalist gearbeitet.
Neue Tätigkeiten übte ich meistens nach einem beruflichen Bruch aus, wie etwa nach dem Studium. Eine gute bezahlte Stelle als Organist oder Theorielehrer war damals nicht vorhanden. Es waren also immer materielle Gründe ausschlaggebend. Nach dem Journalismus erhielt ich ein Angebot vom Theater. Ich habe dort fünf Jahre als Kapellmeister, Chorleiter, Korrepetitor, eigentlich als Mädchen für Alles gearbeitet. Nach fünf Jahren hatte ich genug. Dann ging ich nach Spanien, wollte nur noch komponieren. Ich hatte Beziehungen und glaubte, es könnte reichen. Es wurden auch ein paar Werke von mir aufgeführt. Aber nach einem knappen Jahr bin ich wieder zurückgekommen. Ich musste als Kellner arbeiten, um Geld zu verdienen. Daneben erhielt ich das Angebot, auf dem Flohmarkt Bücher zu verkaufen. Weil dies nur samstags möglich war, eröffnete ich zusätzlich einen Buchladen in der Altstadt. Nebenbei komponierte ich an meiner Oper, die 1983 uraufgeführt wurde. Mit der Zeit wuchs der Laden zu einem vollständigen Buchladen mit Antiquariat und Verlagswesen aus.
Welche Bücher haben Sie verlegt?
Ich habe 15 Bücher verlegt: eigene und solche über die Baugeschichte von Biel. Das ist übrigens auch so eine Geschichte: Als Kapellmeister beim Theater habe ich zu wenig verdient. Deshalb habe ich jeweils am Nachmittag in der Baudirektion als Journalist Berichte geschrieben. Dort habe ich die ganze Altstadtsanierungskommission geleitet, ich habe das Inventar von schützenswerten Objekten in Biel in einem ersten Entwurf erstellt und aus dem heraus ist dann mein erstes Buch entstanden. «Biel Veränderungen. Die Baugeschichte von Biel.» Dann schrieb ich einen Altstadtführer und einen Bildband über Biel. Mit der Zeit kamen auch Anfragen von aussen. Am Schluss habe ich mich finanziell jedoch übernommen, so dass ich Konkurs anmelden musste.
Es hat sie aber nie gereizt, Biel für längere Zeit zu verlassen?
Eigentlich wollte ich immer in Biel etwas bewirken. Musikalisch, aber auch politisch. Ich war bereits in den 60er-jahren politisch engagiert, auch als Journalist. Wenn ich als Kapellmeister hätte Karriere machen wollen, hätte ich mich irgendwo in einer deutschen Kleinstadt bewerben müssen. Ich war zu diesem Zeitpunkt aber schon zu alt. Ich habe den Zeitpunkt eigentlich verpasst, von Biel wegzugehen und an einem anderen Ort etwas aufzubauen. Später ergab sich per Zufall die Möglichkeit, tschechische Orchester zu dirigieren. Dank dieser Beziehungen konnte ich auch in den USA und in Südamerika auftreten.
Sie haben nationale Bekanntheit als Präsident des Landesrings der Unabhängigen erlangt. Diese politische Partei gibt es heute ja nicht mehr.
Ich habe immer gesagt, dass eine solche Partei immer noch nötig wäre. Zuerst dachte ich, dass die Grünliberalen die Funktion des Ausgleichs zwischen den extremen politischen Positionen übernehmen. Daran glaube ich auch nicht mehr. Den Sozialaspekt haben sie völlig ausgeklammert. Beim Landesring spielte das Ökologische seit Franz Jaeger eine grosse Rolle. Ich wollte die soziale Marktwirtschaft im Sinne des Gründers Gottlieb Duttweiler stärker betonen. Das ist mir nicht gelungen.
Sie seien ein «Bieler Urgestein», wurde mir gesagt.
Wenn man mir das so nachsagt, bin ich nicht dagegen. Ich bin in Biel aufgewachsen, in Madretsch, im Mösli, dem damaligen Armenquartier, das inzwischen das schönste Wohnquartier ist, eigentlich schon damals war. Der Vater war ein Arbeiter, die Mutter hat dreizehn Kinder grossgezogen. Ich fühlte mich mit Biel immer stark verbunden, auch sehr früh mit dem Musikleben in Biel. Mit 10 Jahren hatte ich ersten Unterricht an der Musikschule, später besuchte ich regelmässig die Abonnementskonzerte im damaligen «Capitol». Ich bin zusammen mit der ganzen Musikentwicklung von Biel aufgewachsen.
Kommen wir nochmals auf die Musik zurück. Ende März führt das Sinfonieorchester Biel Solothurn ein neues Werk von ihnen mit dem Titel «Sinfonia concertante (...und ein Haschen nach Wind)». Was steckt dahinter?
Das ist ein Zitat aus dem Buch Salomo, aus dem Buch der Weisheit. «Haschen nach Wind» taucht da an mehreren Stellen auf. Gemeint ist, dass alles seine Zeit hat. Mit anderen Worten: Es bleibt nichts Greifbares übrig. Ich begann aber nicht mit dieser Idee zu komponieren. Der Titel ergab sich erst, nachdem ich die Komposition beendet hatte. Am Schluss des Werks gibt es einen Wirbelwind, der durch alle Instrumente des Orchesters hindurch geht. Dieser endet zuletzt auf einem einzigen Ton und verschwindet dann. Das brachte mich auf die Thematik der Vergänglichkeit.

 

Zur Person
Daniel Andres ist 1937 in Biel geboren und aufgewachsen. Nach dem Lehrerseminar in Hofwil-Bern studierte er in Bern Komposition. Er war als Lehrer, Journalist, Theaterkapellmeister, Buchhändler, Verleger und auch in der Gastronomie tätig. Heute lebt er als freischaffender Komponist in Biel. Seine Erinnerungen mit dem Titel «Musik, ein Leben lang» sind beim Verlag die brotsuppe erschienen.
 

Nachrichten zu Kultur »