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Oper

Ist das Leben und Sterben 
vielleicht nur Zufall?

Leben und sterben wir nach einem Masterplan oder ist das alles Willkür, purer Zufall? Und was soll das Leben eigentlich? Diesen gewichtigen Fragen geht das Opernstudio in seiner diesjährigen Diplominszenierung nach.

"Die Brücke von San Luis Rey": Am Freitag ist Premiere der diesjährigen Diplominszenierung des Opernstudios. Bild: Peter Samuel Jaggi

Simone K. Rohner

Es ist Freitag, noch eine Woche dauert es bis zur Premiere von «Die Brücke von San Luis Rey». Auf der Bühne des Bieler Stadttheaters bereiten die angehenden Opernsängerinnen und -sänger alles vor. Das Bühnenbild, die Requisiten – alles hat seinen Platz. Das Wuseln wird begleitet vom Einspielen und Stimmen des Symphonieorchesters, das sich ebenfalls mischt mit dem Einsingen der Studierenden des Opernstudios – auf der Bühne, daneben oder dahinter. Es klingen Töne von überall her. Dabei lassen sich keine erkennbaren Melodien ausmachen und man fragt sich unweigerlich, wie sich so alle konzentriert vorbereiten können.

Dann gibt Mathias Behrends, Leiter des Studiengangs Oper, der das Stück mit den Studierenden inszeniert, letzte Anweisungen für den folgenden Durchlauf. Auch der musikalische Leiter und Dirigent Christoph Campestrini richtet noch seine Worte ans Orchester und die Studierenden. Mal in Deutsch, Englisch oder auch in Spanisch – so international ist die Truppe. Plötzlich ist die Bühne leer, die Musik verstummt.

 

Eine Brücke, fünf Leben

Die Diplominszenierung der Oper «Die Brücke von San Luis Rey» von Hermann Reutter (1900-1985) beginnt nicht mit Gesang, sondern mit gesprochenem Text einer Schauspielerin – und einem gewaltigen Donnern. Zwölf schwere Ölfässer, die eben noch zu einer Wand gestapelt waren, liegen nun auf dem Boden der Bühne verteilt. Dann befinden wir uns im Peru des 18. Jahrhunderts. Genauer, zwischen Cuzco und Lima, wo eine Brücke reisst und fünf Menschen in den Tod stürzen. Dieses Unglück ist die Rahmenhandlung der Oper, die nach und nach die Hintergründe für die Tragödie seziert und hinterfragt: War es ein Zufall, ein Unglück oder doch Schicksal, gar göttliche Fügung? Wie leben wir und was ist überhaupt der Sinn? Dieser Untersuchung widmet sich der Franziskanermönch Junipero. «Auch der Tod kann gut sein», so lautet einer seiner Sätze, der einem noch nach dem Stück im Kopf nachhallt. Anhand seiner Suche nach dem Grund des Einsturzes werden die Leben der fünf Opfer – Marquesa de Montemayor und Pepita, Esteban, Onkel Pio und Jaime – nacheinander untersucht und es werden Berührungspunkte ihrer Leben offengelegt.

 

Eine Novelle wird zur Oper

Die Oper sei perfekt für diese Gruppe angehender Opernsängerinnen und –sänger, so 
Mathias Behrends. «Als wäre sie für sie geschrieben worden.» Denn die Suche nach einer passenden Oper für die Diplomaufführung sei jeweils nicht einfach. Für die Studierenden ist die Inszenierung die Abschlussprüfung ihres Masterstudiums. Sie müssen also alle die gleichen Chancen bekommen zu zeigen, was sie können. Es liegt auf der Hand, dass sich dafür nicht jede Oper eignet.

Für Behrends war Reutters Oper, die auf einer Novelle des US-amerikanischen Autors Thornton Wilder (1897-1975) basiert, aber auch attraktiv wegen der Aktualität der darin behandelten Themen. Denn Behrends hält nichts von Opern mit musealem Charakter. Die Frage nach dem Lebenssinn ist immer aktuell. Behrends sieht die Brücke im Stück aber im heutigen Kontext auch als Metapher zur Erde, die von uns Menschen gebraucht wird, die wir aber gleichzeitig auch ständig zerstören. Thornton Wilder, der Romane, Theaterstücke und Drehbücher verfasste, gewann mit «Die Brücke von San Luis Rey» seinen ersten Pulitzerpreis – einer von dreien. Das 1927 erschienene Buch wurde schnell zum Bestseller und ganze dreimal verfilmt. Das erste Mal bereits zwei Jahre nach der Erscheinung. 1954 machte der deutsche Komponist Hermann Reutter dann eine Oper daraus.

 

Bildende Kunst trifft Oper

Die Sängerinnen und Sänger hätten sich auf Anhieb wohlgefühlt mit dem Stück, so der künstlerische Leiter. Eine Woche vor der Premiere sitzen die Töne. Am Spiel kann noch gefeilt werden. Nicht alle scheinen bereits eins mit ihrer Figur zu sein. Der Fokus liegt zu diesem Zeitpunkt ganz klar mehr auf dem Gesang als auf dem Schauspiel – vor allem bei den Sängern.

Die Brücke zum Heute, zur Umweltzerstörung durch uns Menschen schlägt auch das Bühnenbild mit den Ölfässern, das vom Künstler Manaf Halbouni geschaffen wurde. Halbouni arbeitet üblicherweise mit Readymades. Es ist bereits die zweite Produktion, die der deutsch-syrische Künstler mit dem Opernstudio realisiert.

Zur Erinnerung: Halbouni polarisierte mit seiner Installation «Monument», die er 2017 im Rahmen des Kulturfestes «Am Fluss» und des Dresdner Gedenkens für die Opfer von Krieg und Gewalt im Zentrum der Stadt installierte. Er stellte drei Busse auf den Kopf und bezog sich damit auf die Situation in Syrien. «Monument» zitierte ein Bild aus Aleppo, das 2015 durch die Medien ging. Darin waren Buswracks zu sehen, die als Strassensperren errichtet worden waren. Mathias Behrends hat Manaf Halbouni aber wegen einer seiner neueren Arbeiten erneut engagiert. In dieser stapelte der Künstler Werke der letzten Jahre aufeinander und liess den Turm danach einstürzen.

Das Bühnenbild der aktuellen Diplominszenierung verweist auch auf die Arbeit «Zone», die er derzeit im Museum Wilhelm Morgner in Soest zeigt. Manaf Halbounis Kunst ist nicht subtil, sondern haut mitten rein. Genauso wie der Anfang der Inszenierung mit dem Einstürzen der Fässer. So nimmt das Bühnenbild ebenfalls Bezug auf die Kernfrage der Oper. Ist es komplett geplant oder völliger Zufall, wie die Fässer fallen werden und das Bühnenbild aussehen wird?

Zur Beruhigung: Um sicherzustellen, dass das alles glimpflich abläuft, ohne dass so ein Fass im Orchestergraben landet, machte der Künstler mehrere Testläufe auf der Bühne des Bieler Stadttheaters.

 

Diplomaufführungen

  • Vorstellungen am Freitag, 19.30 Uhr, und Samstag, 19 Uhr, Stadttheater Biel, Burggasse 19. Eintritt frei, Kollekte für den Stipendienfonds, Anmeldung erforderlich unter www.tobs.ch/de/extra/gastspiele/ (max. 50 Personen).
  • Es spielen die Diplomandinnen Giovanni Baraglia, Pepe Díaz, Nikolina Dominković, Leonora Gaitanou, Tereza Kotlanova, Polina Kulykova, Marek Pavlícek, Nuno Santos, die Studierende Paula Meyer und die Schauspielerin Seraphina Schweiger (Absolventin Theater HKB).
  • Musikalische Leitung: Christoph Campestrini, Künstlerisches Konzept/Realisierung: Manaf Halbouni, Mathias Behrends, Musikalische Begleitung: Synphonieorchester Biel Solothurn. sro
Stichwörter: Oper, Kultur, Musik

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