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Theater

Ist Euch der Appetit noch nicht vergangen?

Im Nebia hat Roland Schimmelpfennigs «Der goldene Drache» als «Le dragon d’or» gastiert – brechreizbegünstigend und brutal zeigt die Version von Robert Sandoz, warum einem die Thai-Suppe vom Schnellimbiss im Halse stecken bleiben kann.

Die Crew des Asia-Restaurants «Der goldene Drache» ist zugleich die Besetzung für allerlei Bewohner, welche im selben Haus zur Miete wohnen und sich an den Opfern der Globalisierung «bereichern». Bild: Stan Of Persia

Clara Gauthey

Das Blut läuft schwallweise aus dem Mund des jungen, chinesischen Hilfsarbeiters und färbt das Aquarium im Asia-Schnellrestaurant namens «Der goldene Drache» rot. Die Kollegen haben der schreienden Küchenhilfe soeben einen gammligen Zahn mit der Rohrzange gezogen, auf dass endlich Ruhe herrschen möge in der 4-Quadratmeter-Küche. Ein Arztbesuch lag nicht drin, so ganz ohne Aufenthaltsbewilligung. Und da blutet er dann eben vor sich hin, zwischen Bambussprossen, Fritteuse und Kokosmilch.

Zum Finale ein hohler Zahn, dem Zuschauer ins Gesicht gespuckt
Nicht mehr lange, dann wird der «Junge» das letzte bisschen Lebenssaft vergossen haben und im Fluss entsorgt werden, kann ja schlecht da liegen bleiben, nicht wahr? Aber das allein reicht an Brutalität offenbar nicht, um uns unseren Part im Drama der Globalisierung vor Augen zu führen, denn der deutsche Theaterautor Roland Schimmelpfennig will, dass auch dem letzten Mitglied der Konsumgesellschaft der Appetit vergeht. Und so muss die Stewardess zum Finale dem Zuschauer den hohlen Zahn eines für unsere Fresslust ausgebeuteten Toten wie ein ausgelutschtes Kaugummi ins Angesicht spucken, damit wir doch, bitte sehr, nichts von dem hier Gezeigten vergessen mögen. Und die verschollene Schwester des Toten taucht im Rahmen eines Brutalo-Realo-Märchens in einer Art verdrehten Parabel von der Grille und der Ameise als Zwangsprostituierte wieder auf.

Tunten und Mannsweiber 
im Mikrokosmos Mietshaus
Da können auch die vorgeblich-lustig-tuntigen, von Schimmelpfennig verordneten Besetzungen – Mann spielt Stewardess, Frau spielt brutalen Vergewaltiger, junger Mann spielt alten Mann, der es sexuell noch mal so richtig wissen will – den Theaterabend nicht zu einem erfreulichen Ende bringen. Aber hey, wir sind ja nicht zum Spass hier, sondern um etwas zu lernen, oder? Die Frage ist nur, was. Moralinsaure Gesellschaftskritik mit dem Vorschlaghammer? Ist die Botschaft des Stücks, dass wir alle dazugehören, zu dieser egoistischen, zwangsgestörten und abgestumpften Masse? Über das Leid der Welt empfindungslos hinwegsehend, suhlen wir uns also in der eigenen, schmerzlichen Apathie und der Verbindungslosigkeit untereinander, die Macht über Schwächere auskostend? Im Mikrokosmos des Mietshauses, in welchem sich der Imbiss befindet, versammelt sich die Schar derer, die auf perfide Art von den Zeichen der Globalisierung profitieren: Da sind die Stewardessen und Flugkapitäne, welche die Augen zukneifen, wenn sie versehentlich mal über ein Boot voller Flüchtlinge fliegen. Die Männer beuten das wehrlose «China Girl» aus. Die Frauen befriedigen ihre Fresslust auf schnelles, billiges Asia-Essen im «Goldenen Drachen». «Böse, miese Konsumgesellschaft! Gewissenlose Jetsetter! Neurotische, sexbesessene, an der eigenen Langeweile erstickende Städter, die um sich schlagen», schreit das alles.

Düster-verrohte, zugleich flache Charaktere
Gerade zu Beginn hat das Ensemble gewisse Mühe, in die Rollen zu kommen. Allzu überdreht finden sie nicht gleich in ihre einfältigen oder düster-verrohten Charaktere hinein. Aber sie steigern sich im Laufe des Abends und das Lichtspektakel von William Fournier sorgt für gehörig schräge Partystimmung im Imbiss-Bühnen-Ensemble von Kristelle Caré. Es leuchtet das Mobilar von der Theke bis zum Aquarium in allen Farben der Diskokugel zum Takt der Beats und ein Hauch Hong Kong weht nach Biel. Nicht ohne die Gefühlskälte im Grossstadtchaos gleich mit hinüberzublasen. In all dem Rambazamba glänzt ein wunderbarer Joan Mompart mit stummem, leidenden Körperspiel und einer ebenso genialen wie ferngesteuerten Tanzeinlage als ausgebeutete Sexarbeiterin alias «die kaputtgemachte Grille». Dagegen können selbst die augenzwinkernden Einlagen der männlichen Stewardessen nicht ankommen.

Es sind harmlose Ausgangssituationen, aus denen die Gewalt mit fieser Fratze hervorbricht. Hier das junge Paar von nebenan, dessen Glück perfekt schien – bis die Frau einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt und sich der Mann abreagieren musste an einer jungen Frau, weil ihm die sexuelle Attraktivität der eigenen Partnerin verloren schien. Der Opa, der gerne noch einmal so jung wie seine süsse Enkelin sein will. Die Stewardess, die ihren Flugkapitän nur «Barbieficker» nennt.

Alles in allem wird hier ein Globalisierungs-Kuchen serviert, nach dessen Genuss der ein oder andere froh gewesen sein dürfte, das Abendessen ausgelassen zu haben. Was aber nach dieser Aufführung wohl niemand mehr möchte: in einem Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant die Nummer 6 bestellen, Thai-Suppe mit Hühnerfleisch, Kokosmilch, Thai-Ingwer, Tomaten, Champignons, Zitronengras und Zitrusblättern, scharf. Darin wartet nämlich der halb verfaulte, noch blutige Zahn eines armen, chinesischen Schwarzarbeiters. Bon Appétit!

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Das Stück
- «Der goldene Drache»
von Roland Schimmelpfennig feierte 2009 im Wiener Burgtheater Uraufführung; Schweizer Erstaufführung 2009 Stadttheater Bern, Mühlheimer Dramatikerpreis
- Die Inszenierung von Robert Sandoz (La Chaux-de-Fonds), Übersetzung Hélène Mauler/ René Zahnd feierte in Yverdon-les-Bains Premiere. gau

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