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Junge Kunst im alten Schlachthof

«HKB geht an Land» heisst ein gemeinsames Projekt zwischen Hochschule der Künste Bern und Gemeinden im Kanton. Die Studierenden befassen sich dieses Jahr mit dem historischen Erbe im Berner Jura.

Musik, Fotos und Videoinstallationen wecken tote Gebäude, wie die Fleischhalle in Saint-Imier, wieder zum Leben.  zvg

Annelise Alder


Kühe und Kälber mussten hier einst ihr Leben lassen. Heute steht der Schlachthof von Saint-Imier leer. Das hinfällige Gebäude dient nur noch als stummer Zeuge einer Zeit, in der die Region Chasseral dank der dort angesiedelten Industriezweige wirtschaftlich florierte.
Am kommenden Wochenende erwacht der alte Schlachthof von Saint-Imier jedoch zu neuem Leben. Dies mithilfe von Studierenden der Hochschule der Künste Bern HKB. Sie stellen dem bröckelnden Verputz im Inneren der Halle vollendete Klaviermusik entgegen und schicken harmonische Klänge durch die zerbrochenen Fensterscheiben hindurch in den Berner Jura hinaus.
Der ehemalige Käsekeller und die Tiefkühlkammer des Schlachthofs werden zusätzlich von Videoarbeiten belebt. Diese haben die Absolventen des Fachbereichs Gestaltung und Kunst der HKB im Laufe des Frühlings in und um Saint-Imier herum realisiert. Die meist ortsfremden Studierenden dokumentieren damit ihre Sicht vom Leben im Berner Jura und interpretieren die Geschichte der Region und der Räumlichkeiten, die davon Zeugnis ablegen, auf ihre Weise. Mit ihren Arbeiten zeigen sie, wie leer stehende Fabrikgebäude kulturell umgenutzt werden können.


Gemeinsam Projekte entwickeln
«HKB geht an Land» heisst das auf fünf Jahre angelegte Kooperationsprojekt zwischen der Hochschule der Künste Bern und Gemeinden auf Kantonsgebiet. Am kommenden Wochenende feiert es seine Premiere. Die Idee dahinter: Die Hochschule der Künste, die in den Städten Bern und Biel angesiedelt ist, möchte dem Kanton und seinen Gemeinden, welche die Hochschule mitfinanzieren, etwas zurückgeben. Dies geschieht nicht in Form von einer fixfertigen Kulturveranstaltung. Vielmehr sind die Gemeinden dazu aufgefordert, zusammen mit der HKB ein gemeinsames Kulturprojekt zu entwickeln.
«Es ist ein Geben und ein Nehmen», umschreibt die projektverantwortliche Annina Tschanz diese neue Form der kulturellen Kooperation. Eine Partnerschaft findet auch auf finanzieller Ebene statt. Die Gemeinden, in denen die Projekte durchgeführt werden, stellen Infrastruktur, Knowhow und Personal zur Verfügung. Die HKB übernimmt den Rest. Damit ist der eigentliche Hochschulbetrieb gemeint. Mit dem Unterschied aber, dass dieser für die beteiligten Studierenden nicht nur in den Berner und Bieler Räumlichkeiten stattfindet. Vielmehr realisieren die angehenden Künstlerinnen und Künstler ihre Semester- oder Masterarbeiten dort, wo «das Schiff an Land geht», so Annina Tschanz.


Vielfältiges geschichtliches Erbe
Wo genau geankert wird, bestimmt nicht die HKB. Vielmehr steht am Anfang einer solchen Kooperation eine Ausschreibung. «350 Gemeinden haben wir angeschrieben», sagt Annina Tschanz. Die Projektverantwortliche von «HKB geht an Land» zeigt sich erfreut, dass sich «erstaunlich viele Gemeinden mit Projektvorschlägen beworben haben».
Der inhaltliche Rahmen ist jeweils vorgegeben: Das Projekt muss sich mit der kulturellen, sprachlichen oder geschichtlichen Eigenart der Gemeinde oder Region befassen. Und es soll möglichst mehrere Fachbereiche der Hochschule miteinbeziehen: Musik, Gestaltung, Konservierung, Oper, Literatur oder Forschung.
Dass die HKB in diesem Jahr mit dem Regionalpark Chasseral im Berner Jura kooperiert, ist gemäss Tschanz besonders erfreulich. Viele Studierende kennen die Region kaum. Zudem bietet sie vielfältige Ansatzpunkte für eine künstlerische Annäherung an ihre Eigenheiten. Die leer stehenden architektonischen Zeitzeugen stehen nicht nur für die einstige Uhren-, Holz- oder Werkzeugproduktion im Chasseral. 1872 wurde in Saint-Imier auch Weltgeschichte geschrieben. Denn hier nahm die anarchistische Bewegung ihren Anfang.


Einbezug der Bevölkerung
Das Resultat dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Erbe des Vallon de Saint-Imier wird am kommenden Wochenende präsentiert. Die Schauplätze der Video- und Fotoarbeiten, der Musik-, Text- und Bühneninszenierungen bilden der alte Schlachthof sowie der Espace Noir in Saint-Imier. Auch die Bevölkerung ist angehalten, aktiv mitzuwirken (s. Infobox). Im September sind die Studierenden in Orvin zu Gast.
Wo die Reise im nächsten Jahr hingeht, ist abhängig von den Eingaben der Gemeinden, so Projektleiterin Annina Tschanz, aber auch von der Fachjury seitens der HKB, welche die Projekte auswählt. Sicher ist, dass der Fokus auf einer anderen Berner Region liegt. Gleich bleibt jedoch, dass die Studierenden wiederum eine einzigartige Gelegenheit erhalten, sich mit einer spezifischen lokalen (Kultur-)Geschichte jenseits eines städtischen Kontexts zu befassen.

HKB geht an Land in Saint-Imier vom 9. - 11. Juni

Veranstaltungen im alten Schlachthof
Sa/So: Video-Transformationen im ehemaligen Käsekeller und in der Tiefkühlkammer
Sa/So: Mémoires d’abattoirs - Fotoausstellung, die das geschäftige Treiben im Schlachthof bis zu seiner Schliessung 1992 dokumentieren
Sa, 11 Uhr 45: Führung durch den Schlachthof
Sa, 14 Uhr: Klassik in der Fleischhalle
Sa, 18 Uhr 30: When Microtonality meets Jazz
Sa, 20 Uhr:Drumming - die legendäre Komposition von Steve Reich
So, 12 - 18 Uhr:Musikexperiment mit der Bevölkerung.     

Veranstaltungen im Espace Noir
Sa/So: Kino fürs Ohr - Studierende präsentieren die Resultate ihrer Tonreisen durch die Region
Sa 15 Uhr, So 15 Uhr 30: Spaziergang mit den Uhrmachern des Anarchismus
Sa 16 Uhr 15 Uhr, So 14 Uhr 30: Regier dich selbst - Szenen zum Thema libertäres Denken und Handeln
Sa 17 Uhr 30:Wo ist Herr Langel? - Leseperformance zur alten Werkzeugfabrik
So, 16 Uhr 45: Un microcosme - Ein szenisches Konzert


Feier Eintritt zu allen Veranstaltungen. Kollekte zugunsten Stipendienfonds der HKB. Anmeldung für Musikexperiment unter annina.tschanz@hkb.bfh.ch

Stichwörter: Kunst, Kultur, Hochschule, HKB, Musik, Video, Foto

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