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Biel

Komisch Ernsthaftes, ernsthaft Komisches

Heute eröffnen im Kunsthaus Centre Pasquart gleich drei Ausstellungen. Die Künstler Jessica Jackson Hutchins, Edi Aschwanden und Karin Lehmann führen einen spielerischen, nicht immer ganz ernst gemeinten Dialog.

Komisch? Oder unfreiwillig komisch? Edi Aschwandens Selbstporträt mit 77 Kopftüchern. Bild:zvg

Recycling in der Kunst, das ist in den drei neuen Pasquart-Ausstellungen durchaus verbindendes Element, mit etwas Phantasie...
Wo die eine ihre alten Wohnzimmermöbel mit (neuen) Keramiken beschwert (Jessica Jackson Hutchins), kauft der andere Secondhand-Kleider, auf die er Mini-Modellfiguren knüpft (Edi Aschwanden) und die Dritte im Bunde taucht ein Paar alte Socken in Gips (Karin Lehmann) und lässt sie, wie im Hausflur hingeworfen, liegen, was uns ein spontanes Lächeln entlockt. «Ist das doch noch alles zu was gut!», könnten wir belustigt ausrufen und uns abwenden, wäre da nicht noch etwas mehr dahinter
Edi Aschwanden
Edi Aschwanden füllt nicht den Salle Poma, dafür aber einige andere Zimmer im Kunsthaus. Mit Installationen, architektonischen Landschaften und Räumen, aus denen wir herauskippen – oder die uns verschlossen bleiben, weil sein silberner Haarschopf grossformatig die Sicht versperrt.
In einem Raum entwickelt Aschwanden «Überlebensstrategien»: Ein Ricardo-Kanu, eine Palette aus PET-Flaschen, ein Globus, der unter einem Stuhl hängt, ein Paddel, an dessen Rudern Kaffeekannen mit Goldrand kleben.
Das rote Kanu, das auf dem Wasser in den PET-Flaschen liegt, beherbergt einen Strauss von Baguette-Broten, wo der Paddler sitzen sollte. Disfunktionalitäten sind die Folge: Das Boot kann nicht schwimmen, der Paddler nicht im Kanu Platz nehmen, und würde das Boot schwimmen, dann würde er wohl ersaufen, der Kanufahrer. «Das Boot ist voll», diese Parole fiel auch schon bei der Schliessung der Schweizer Grenzen für jüdische Flüchtlinge 1942. Absicht oder Zufall?
Aschwanden nimmt sich selbst ins Bild. Nicht nur in der Serie von Fotos seiner linken Hand (mit der rechten geknipst), sondern auch im «Selbstporträt mit 77 Kopftüchern». Eine Weiterführung seiner Arbeit «Ist hier noch frei?» in der Bieler Stadtkirche. Damals legte er Kopftücher auf Stühle in der Kirche und «besetzte» sie auf diese Art. Diese Variante hier hat etwas Komisches.
Aschwanden ist ein Spielkind in der Kunst, immer bereit für Neues und bald gelangweilt von einer Ausdrucksform. Und fehlt im Puzzlebild vom syrischen Kriegsschauplatz plötzlich ein Teil, dann bleibt das Bild eben unvollständig, da mögen sich die Kritiker denken, was sie mögen. Sorglos, fast naiv kommt das daher. Ein Spieltrieb, der durchaus auch den anderen beiden Künstlern innewohnt.


Karin Lehmann
Eine ziemliche Überraschung ist die Ausstellung der frischgebackenen Absolventin der Hochschule der Künste, Karin Lehmann. 2012 hatte sie im Rahmen der Diplomausstellung ihre Gipsfiguren und Lehmversprengungen im Pasquart gezeigt. Erst wurde sie zu einer Gruppenausstellung ins Kunsthaus eingeladen, dann bekam sie eine Einzelausstellung. Wer auf ihre Etage schreitet, kann imaginär Schuhe und Socken abstreifen und sie neben Lehmanns Gipssocken legen, um die Bodenhaftung zu verstärken. Die gelernte Keramikerin experimentiert seit Jahren mit Gips und entdeckt immer neue Möglichkeiten, das Material, das sie liebt, zu bearbeiten und ihm neue Formen zu entlocken.


Jessica Jackson Hutchins
Und die Dritte im Bunde? Verhilft sie der teils belächelten Keramikkunst zu neuer Ehre? Jessica Jackson Hutchins hat einen sehr eigenwilligen, sogar eigentümlichen Stil, dem in ihrer Heimat einige Aufmerksamkeit in grossen Kunsthäusern zuteil wird. Ausgegangen ist sie von der Malerei, seit 2005 macht sie auch Keramik. Die Amerikanerin gewinnt ihre Kunst aus der sehr speziellen Art, bemalte Leinwände oder Keramiken zu drapieren und zu kombinieren.
Alte Polstermöbel, um die es wahrlich nicht schade ist, dienen ihr als Sockel, der mal angesägt, mal mit Farbe bestrichen wird. Oder auch mit Schnipseln beklebt. Die Möbel werden im Pasquart in Parketträume gestellt, der Salle Poma bleibt den kühleren Leiterobjekten vorbehalten. Über diesen Leitern liegen bemalte Leinwände wie alte Lappen, welche man gegen den Staub auf ein Möbel legt oder als Tischdecke. Und sind doch untrennbar zu etwas Neuem, fast Ausserirdischen, verwoben. Die unförmigen, glasierten Keramikteile, die auf den Sofas Platz genommen haben, wirken, als seien sie vom Himmel gefallen. Dann wieder scheinen sie lediglich die Funktion eines Briefbeschwerers zu erfüllen. Die Künstlerin verhüllt die Dinge – und zeigt zugleich die Hülle als das Eigentliche.
Pasquart-Direktorin Felicity Lunn sieht den experimentellen Ansatz der drei als Bindeglied. Ja, der Spieltrieb dieser Künstler ist gross. Eine Botschaft hingegen bleibt mitunter im ästhetischen Dickicht hängen. Oder wird von einem Lachen erstickt, bevor sie angekommen ist.     Clara Gauthey


Info: Ebenfalls eröffnet wird heute die Ausstellung im Photoforum, «Arno Gisinger – Topoï»; das BT widmet ihr kommende Woche eine separate Besprechung       

 

Drei Künstler
• Jessica Jackson Hutchins (*Chicago 1971) ist morgen, Sonntag, im Künstlergespräch mit Felicity Lunn zu erleben (14.30 Uhr, englisch); sie lebt in Portland, Oregon, und in Berlin und ist derzeit auch an der 55. Biennale in Venedig vertreten; in Amerika stellte sie im ICA Boston oder dem Atlanta Center for Contemporary Art aus.
• Edi Aschwanden (*1957 Luzern) lebt in Sonceboz und unterrichtet seit über 30 Jahren an der Schule für Gestaltung in Biel; seit rund 17 Jahren ist er Leiter des Vorkurses.
• Karin Lehmann (*1981 Bern) absolvierte den Master of Arts in Contemporary Arts Practice an der HKB, warf bei der Diplomausstellung u.a. Lehmklumpen an die Decke, die sich beim Trocknen langsam ablösten; BA Fine Arts Universität Bern 2009, davor Ausbildung Keramikdesign an der Hochschule der Künste Bern (2002).     gau
 
  
  

 

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