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Kontrolle abgeben, Entdeckungen machen

Vera Trachsel und Beth Dillon haben ihr zweites Jahr als Kuratorinnen des Espace Libre gestartet. Vom Kunst-Road-Trip mit Kochbuch, über Festivals und Ausstellungen oder Performances – sie haben viel vor dieses Jahr.

Spiel mit Materialien: Viola Poli macht den Auftakt im Espace Libre für dieses Jahr.  zvg/Simone Haug
Interview: Simone K. Rohner
Beth Dillon, Sie und Vera Trachsel sind seit einem Jahr die Kuratorinnen und verantwortlich für den Kunstraum der Visarte Biel, Espace Libre. Was haben Sie aus diesem ersten Jahr gelernt?
Beth Dillon: Wir sind sehr berührt davon, dass wir so viel Unterstützung der Bieler Kunst-Community erfahren haben. Aus künstlerischer Sicht ist es sicher der Aspekt, wie wir unsere Rolle als Kuratorinnen definieren wollen. Diese Frage stellte sich uns in diesem ersten Jahr und beschäftigt uns immer noch.  
 
Das Ausloten der kuratorischen Praxis, der Kontrollverlust über den Raum und was hier passiert, ist auch ein Thema Ihres zweiten Programms. Sie laden Kunstschaffende ein, die wiederum weitere einladen, mit ihnen den Raum zu bespielen. Warum ist es erstrebenswert für Sie, die kuratorische Kontrolle zu verlieren? 
Die Kontrolle abzugeben, erlaubt es den Kunstschaffenden und uns Unerwartetes zu kreieren. In unserer Gesellschaft ist Kontrolle allgegenwärtig. Wir kontrollieren wie wir uns und unsere Kunst präsentieren, wir befinden uns dadurch beinahe immer unter Eigenbeobachtung. Den Kunstschaffenden eine Carte Blanche zu erteilen, kann daher befreiend für sie sein, oder auch einschüchternd. 
 
Es kann eine Herausforderung sein für junge Kunstschaffende mit wenig Ausstellungserfahrung.
Es ist auch für uns eine Herausforderung, nicht in den Prozess einzugreifen.
 
Man könnte aber auch sagen, Sie machen es sich so sehr einfach.
Es ist im Gegenteil gar nicht einfach für uns. Wir haben diesen Drang zu intervenieren, was wir natürlich schon teilweise tun. Experimentiert wird innerhalb des von uns festgelegten Rahmens. Der Espace Libre soll gerade für junge Kunstschaffende ein Raum für Entdeckungen sein, in dem man auch mal scheitern darf. 
 
Wann ist es schlecht als Kuratorin, die Kontrolle zu verlieren?
Was schlecht wäre, wenn die eingeladenen Kunstschaffenden sich alleingelassen fühlten. Dann wäre etwas am Konzept schiefgelaufen. Für uns ist unsere Gastgeberrolle sehr wichtig. Dass sich die Kunstschaffenden sowie das Publikum willkommen fühlen. 
 
Einladen, besuchen, neue Kontakte knüpfen – auch das liest man aus dem Programm heraus. Sie planen eine Tour de Suisse der ihnen noch unbekannten Off Spaces und auch ein Kochbuch. Eine Reaktion auf das Covid-Jahr voller Social Distancing in den eigenen vier Wänden?
Diese Momente letztes Jahr, als wir uns hier mit anderen Menschen treffen durften, waren so bereichernd, dass sicher für uns jetzt Priorität hat, mit Menschen und Kunst physisch in Kontakt zu treten. 
 
Viola Poli hat das Jahr zusammen mit Elias Njimas und Léna Sophia Bagutti eröffnet. Was fanden Sie spannend an der künstlerischen Arbeit von Viola Poli?
Dieses Jahr fokussieren wir uns mit dem Programm des Espace Libre auch auf den Aspekt des Experimentierens mit dem Material. Viola Polis künstlerischer Umgang mit Material fasziniert uns, weil sie einen sehr feinfühligen Umgang damit hat in ihrer Arbeit. Vera und ich sind beide interessiert an Kunst, die ihre Wurzeln im Experimentieren und Erforschen von Materialien hat. Die meisten Kunstschaffenden, die wir dieses Jahr für die Ausstellungen eingeladen haben, arbeiten plastisch. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir alle wegen Covid so viel Zeit vor Bildschirmen verbracht haben und wir uns jetzt wieder nach Taktilem sehnen. 
 
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Ausstellung von Viola Poli zum ersten Mal betreten haben?
Ich fühlte mich, als ob ich bei Ebbe am Meer entlang gehe. Nachdem das Meer bei Flut immer wieder Strandgut angespült hat, dass dann sichtbar wird, wenn das Wasser sich zurückzieht. Diese Ansammlung von Gegenständen, die zum Vorschein kommt, von Wellen herangetragen. Mich berührt die Reichhaltigkeit der Installation, die zusammen mit den Keramikköpfen von Elias Njimas und dem Tanzperformance-Video von Léna Sophia Bagutti entstanden ist. Es ist ein Raum, der zum betreten einlädt, aber gleichzeitig fragil wirkt.
 
Espace Libre - Programm 2022
Das Jahresprogramm des Kunstraumes der Visarte Biel verspricht äusserst abwechslungsreich zu werden. Die Kuratorinnen Vera Trachsel und Beth Dillon zeigen in verschiedenen Formaten Kunstschaffende aus fast allen Ecken der Schweiz, die in unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen tätig sind. Viola Poli hat das Ausstellungsjahr eröffnet. Ihre Ausstellung ist noch bis am 6. März zu sehen. Mitte März folgt dann die «Frühjahrsschmelze», das erste von drei Festivals. Gezeigt werden eine Filmprojektion, ein Talk und eine partizipative Performance. Ein weiteres Festival im Sommer feiert das Beisammensein an einem Tisch. «Festisch» erforscht vier Wochen lang den «Tisch» als Objekt und Ort der Zusammenkunft, der Diplomatie, des Konflikts und des Ausschlusses. Dabei gibt es Sitzgelegenheiten zu entdecken von Leolie Greet, Gil Pellaton, Janosch Perler, Nora Renaud. Im November lädt dann Dichterin, Schriftstellerin und Aktivistin Fork Burke zum Workshop.
Die Ausstellungen zeichnen sich durch die Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen aus. Da wäre einmal Olivia Abächerli, die mit Zeichnung, Film, Animation und Text komplexe Erzählungswelten entwickelt. Tanja Schwarz, die sich mit Schreib- und Zeichenpraktiken an der Schnittstelle zwischen Philosophie, Literatur und Kunst befasst. Oder die Ausstellung «Roadshow», die gleichzeitig die kuratorische Forschungsarbeit von Dillon und Trachsel darstellt. Sie besuchen ihnen (noch) unbekannte Off Spaces und Kunstschaffende, die ihnen jeweils ihre Kunst als Leihgabe mitgeben, die dann im Oktober in Biel zu sehen sein wird. Und zu guter Letzt zeigt Jan van Oordt im Dezember immersive Installationen.  sro
Link: espacelibre.art
 
 
 
 
 
 
Stichwörter: Espace libre, Visarte Biel

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