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Coronakrise

Kulturschaffende melden ihre Ansprüche auf den letzten Drücker

Die finanzielle Situation von Kulturschaffenden spitzt sich mit der zweiten Coronawelle und den neuerlichen Einschränkungen zu. Dennoch werden die Mittel, die 2020 für Nothilfe parat stehen, bei Weitem nicht ausgeschöpft.

Alles zu: Ein Plakat des Zürcher Schauspielhauses im November. Bild: Keystone

Eigentlich stünden für das letzte Quartal 2020 für die Nothilfe für Kulturschaffende 15 Millionen Franken bereit. Abgerufen würden aber bis Ende des Jahres etwas mehr als eine Million Franken, sagt Nicole Pfister Fetz, Präsidentin von Suisseculture
Sociale (SCS), gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Der Trägerverein des Sozialfonds für professionelle Kulturschaffende vergibt die Nothilfe im Auftrag des Bundes gestützt auf die Covid-19-Kulturverordnung. Vorletzte Woche hat SCS begonnen, die ersten Beiträge für die Monate Oktober bis Dezember 2020 auszuzahlen.

 

Viele brauchen
erst die Reserven auf

Ein Grund für das Missverhältnis zwischen bewilligten und tatsächlich abgerufenen Mitteln ist, dass Anspruchsberechtigte «oft erst kommen, wenn sie alle Reserven aufgebraucht haben»,
so Pfister Fetz. Als Beispiel dafür, wie problematisch das ist, führt sie einen Fall an, in dem Krankenkassenprämien über Monate nicht bezahlt wurden und sich bereits Schuldenberge auftürmten. «Das können wir nicht auffangen.» Sinn und Zweck der Nothilfe sei vielmehr, dass gerade keine Schulden angehäuft würden, so die SCS-Präsidentin.

Für die Monate Oktober bis Dezember liegen bei SCS noch mehrere hundert Gesuche auf dem Tisch und «es kommen laufend neue hinzu», so Pfister Fetz. Sie verspricht, dass alle Gesuche bearbeitet würden – wenn nicht mehr 2020, so im kommenden Jahr.

 

Hemmungen,
Hilfe anzunehmen

Aber die rund 14 Millionen Franken für das vierte Quartal 2020, die nicht abgerufen werden, kann SCS nicht ins kommende Jahr übertragen. Sie verfallen.

Die gebeutelte Kulturbranche bekommt aber auch im Jahr 2021 Hilfe vom Bund und den Kantonen. Für die Nothilfe hat der Bund 20 Millionen Franken für das erste Halbjahr zur Verfügung gestellt, dies im Rahmen der Covid-19-Kulturverordnung, die am 14. Oktober 2020 in Kraft getreten ist.

«Viele haben ganz einfach Hemmungen, Hilfe anzunehmen», benennt Pfister Fetz den wesentlichen Grund, warum notleidende Kulturschaffende so lange zuwarten, bis sie sich zu einem Gesuch um Nothilfe durchringen. Dabei sei die Logik hinter der Nothilfe vergleichsweise einfach: «Kulturschaffende haben Ausgaben wie jeder andere auch, aber in der zweiten Coronawelle mit neuerlichen verschärften Massnahmen keine oder sehr reduzierte Einnahmen. Nothilfe deckt den akuten Bedarf, aber nicht die ausgefallenen Engagements.»

Der Bedarf an Nothilfe wird dabei mit anderen Coronamassnahmen verrechnet, so mit dem Corona-Erwerbsersatz für Selbstständigerwerbende oder bei Angestellten mit allfällig bezogenen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Und: Die bezogene Nothilfe müssen die Empfänger grundsätzlich nicht zurückbezahlen, betont Pfister Fetz.

 

Ein Minimum
an Ersparnissen erlaubt

Zudem wird bei der Nothilfe, im Unterschied etwa zur Sozialhilfe, «ein gewisses Minimum an Ersparnissen akzeptiert.» Pfister Fetz macht ein Beispiel: Wenn eine Violinistin, um ihren akuten Bedarf zu decken, Nothilfe bezieht, muss sie ihre Violine, die unter Umständen einen hohen Wert hat, nicht verkaufen. «Denn schliesslich geht es darum, dass diese Violinistin wieder arbeiten kann, wenn die Krise einmal vorüber sein wird. Ihre Violine ist dafür Voraussetzung.»

Ist ein Gesuch einmal bewilligt, zahlt SCS im Durchschnitt pro Monat 1500 bis 1700 Franken Nothilfe pro Person aus. Im ersten Halbjahr 2020 hat der Verein 5,6 Millionen Franken an rund 2000 Kulturschaffende ausbezahlt. Im ganzen laufenden Jahr werden insgesamt rund sieben Millionen Franken an notleidende Kulturschaffende ausbezahlt werden.

 

«Perspektivlosigkeit
macht sich breit»

Ob die 20 Millionen Franken für 2021 ausreichen werden, lässt sich nicht prognostizieren. «Das hängt davon ab, wie im nächsten Jahr der Corona-Erwerbsersatz ausgestaltet wird und vor allem davon, ab wann Kultur mit Auftritten vor Publikum wieder möglich sein wird.» Und Pfister Fetz fügt an: «Während des Lockdowns wurden alle Veranstaltungen abgesagt, jetzt wird nicht einmal mehr geplant.» Will heissen: «Im Frühling standen Kulturschaffende unter Schock, jetzt macht sich zusehends Perspektivlosigkeit breit.»

Die Nothilfe soll dazu beitragen, diese Zeit zu überstehen, damit, Pfister Fetz, «irgendwann ein Wiedereinstieg überhaupt möglich ist – und die kulturelle Vielfalt nicht allzu sehr Schaden nimmt.» sda

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