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Alt und Jung

Leonardo DiCaprio 
und die Absurdität des Lebens

Vor ungefähr einem Monat ereignete sich etwas, das in unserer fragmentierten Mediengesellschaft immer seltener stattfindet: ein popkultureller Moment.

Luca Brawand
 alias Landro

In einer Welt, in der jede und jeder seine ganz persönliche Playlist hat, Bücher höchstens noch im Literaturclub besprochen werden und viele Leute schon lange kein Kino mehr von innen gesehen haben, werden die Momente, in denen wir uns alle auf ein kulturelles Ereignis einigen können – und noch wichtiger, in denen wir alle über das gleiche Ereignis diskutieren – immer wie rarer.

«Don’t Look Up» ist definitiv so ein Moment. Klar, eine prominent platzierte Netflix-Veröffentlichung an Weihnachten mit einer Starbesetzung, die den Grossen Wagen vor Neid erblassen lässt, schafft bereits einmal gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Film. Aber ein erfolgreicher Film sorgt nicht gezwungenermassen auch für einen popkulturellen Moment. Meiner Meinung nach hat der riesige Erfolg des Films ebenso so sehr mit Sisyphus wie mit Netflix und genauso mit Donald Trump wie mit Leonardo DiCaprio zu tun. Aber eins nach dem anderen.

Worum geht es in diesem Film denn eigentlich? Die Idee ist schnell erklärt: Ein Komet rast auf die Erde zu und droht, die Menschheit innert sechs Monaten auszulöschen. Die US-Präsidentin, die Internetgemeinschaft und mächtige CEOs versuchen jedoch alle, die Gefahr kleinzureden (oder anerkennen sie erst gar nicht) und ebnen so den Weg ins Verderben. Es braucht nicht viel Abstrahierungsvermögen, um zu realisieren, dass dies die scheinbar perfekte Allegorie für den Klimawandel und die Pandemie ist. Zwar mit dem entscheidenden Unterschied, dass ein Komet eine sichtbare Gefahr darstellt, während ein Virus sowie unsere Atmosphäre dies nicht sind – diese kleine Unfeinheit tut der von Autor und Regisseur Adam McKay inszenierten Metapher jedoch keinen Abbruch.

Ursprünglich war der Film übrigens lediglich als Sinnbild für den Klimawandel gedacht, die Pandemie, wenn man das in diesem Fall so aufdrücken darf, kam den Produzenten des Filmes schlicht «gut gelegen» und passte inhaltlich wie die Faust auf das Auge. Ist es denn nun auch ein wirklich guter Film? Eine cineastische Glanzleistung mit packendem Plot und Bestleistungen der vielen Stars? Nicht wirklich. Spielt das eine Rolle? Auch nicht wirklich. «Don’t Look Up» wurde zu etwas Grösserem als der Film selbst. Der Komet wurde zum Symbol für alle Bedrohungen, mit der sich unsere Welt aktuell herumschlagen muss, und die Figuren im Film zur erschreckend realistischen Parodie auf unsere Politik und Gesellschaft, in der die absurden Charaktere so nah an der Realität dran sind, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Seit Donald Trump ist es schlicht nicht mehr möglich, Satire zu machen, die komischer ist als die Realität.

Diese real erscheinende Absurdität ist es, die in diesem Film in Form von guter Unterhaltung den Finger auf die Wunde legt und so den Zeitgeist perfekt einfängt. Ein Komet fliegt auf uns zu, und wir schauen als Lösung dafür einfach nicht hoch. Dabei ist dieser Gedanke des Absurden an sich nichts Neues, eigentlich nicht einmal etwas Modernes. Schon Sisyphus musste in der griechischen Mythologie als Strafe immer wieder von Neuem einen Stein den Berg hinaufschleppen, der jeweils kurz vor dem Gipfel wieder runterrollte. Dieses absurde Sujet wurde später von Existentialisten wie Jean-Paul Sartre und Albert Camus übernommen, während der letztgenannte 1947 in seinem Roman «La Peste» beschrieb, wie frei von Sinn und Gerechtigkeit die Existenz sowie die Folgen eines Virus sind und somit die Absurdität der vergangenen zwei Jahre bereits damals eindrücklich zu Papier brachte.

Unser heutiges Problem liegt jedoch meist nicht an der Absurdität der Situation, sondern an der Absurdität unseres Handelns. Wie gesagt, ein Komet fliegt auf uns zu, und wir schauen einfach nicht hoch. Natürlich ist schon nur der Gedanke absurd, dass ein Komet auf uns zufliegt und die gesamte Menschheit auslöschen könnte wie damals die Dinosaurier. Aber es ist noch absurder, sich dessen bewusst zu sein und nichts dagegen zu tun. Wenn man dann bei einem Film wie «Don’t Look Up» über alles ein wenig lachen kann (oder es zumindest versucht), man dabei die eigene absurde Lebensrealität darin wiedererkennt und das Ganze noch von Leonardo DiCaprio und Meryl Streep versüsst wird, kann man dagegen eigentlich nichts einwenden – es mag höchstens ein Symptom unserer Zeit sein.

Es verwundert nicht, wenn Menschen in den aktuellen Zeiten ein wenig existenzialistisch werden und im Leben keinen Sinn sehen (oder Fanatiker vielleicht überall zu viel Sinn sehen). Aber das Schöne ist doch, dass wenn das Leben keinen vorgegebenen Sinn hat, man dem Leben selbst seinen Sinn geben kann. Und um zu leben, müssen wir wohl weiterhin nach Kometen Ausschau halten.

Info: Der 25-jährige Bieler Luca Brawand ist 
Musiker und und macht aktuell einen Master in Persuasive Communication an der Universität Amsterdam. 2018 hat er sein Debütalbum herausgegeben. Ende Juni hat er seine neuste EP mit dem Titel «Neverland» veröffentlicht. 


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