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Literatur

Liebevolle Nationalsozialisten

Ilse Krüger hat Eltern, die überzeugte Nazis waren. In ihrem Roman zeichnet die österreichische Autorin deren Liebesgeschichte nach. Die politische Realität wird in sachliche Chronologien verbannt.

Ilse Krüger, 1939 geboren, unten links, mit Mutter Marie-Louise und Vater Heinz sowie Bruder Christoph im österreichischen Zwettl: 
Beide waren Parteimitglieder, der Vater fiel, nachdem er den Russlandfeldzug überlebt hatte, 1945 in Ostpreussen. Bild: pa

Clara Gauthey

Heiligabend, 1911, Paris: Ein Paar schreit sich an. Die kleine Marie-Louise verfolgt aus ihrem Versteck hinter dem Vorhang den Disput ihrer Eltern, welche sich kurz darauf trennen werden: der katholische Mediziner, Paul-Louis Couchoud und ihre Mutter, die an der Sorbonne studiert hat. «Vater unbekannt», wird später auf ihrer Geburtsurkunde stehen – das erschwert den Ahnenpass, welchen die Nazis fordern. Allerdings wird sie das nicht abhalten, früh Mitglied der NSDAP zu werden.

Marie-Louise, so heisst das Kind von damals, wird zeitlebens unter der emotionalen Kälte der Mutter leiden, welche nach der Trennung ihre Verbitterung an der unehelichen Tochter auslässt. Luisl, wie sie später ihre Freunde von den Wandervögeln nennen, will nicht enden wie sie. Sie will Geld haben. Will es ohne einen Mann schaffen. Erbärmlich scheint ihr das Leben als Hausfrau in Abhängigkeit.

 

Prügelnazis an der Uni

1931 studiert sie Jura, als nationalsozialistische Burschenschaftler auf dem Campus der Universität Wien jüdische, ausländische und linke Studenten mit Stöcken niederprügeln. Sie sieht mit Genugtuung zu. Weshalb wehren die sich nicht? Degenerierter Haufen. Hässlich, aber notwendig die Prügelei. Besser wären Gesetze, dazu muss sich Österreich dem Deutschen Reich anschliessen.

In der Familie und in der Beziehung mit ihrem Mann Heinz zeigt sich die Mutter liebevoll, als toughe Akademikerin. Sie geht ins Burgtheater, in Museen, ist belesen. Die politische Gesinnung steht am Familientisch nicht im Vordergrund. Dass Mutter beim Jugendamt auch aktiv Listen mit behinderten Kindern erstellt, welche ins Konzentrationslager kommen, erfahren wir erst im Nachwort der Autorin in aller Deutlichkeit.

Den Rest der politischen Abläufe handelt sie zwischen den Kapiteln als Chronologien Österreichs und des Deutschen Reichs ab. Mit der Biografie steht das in zeitlichem Kontext, verzichtet aber meist auf direkte Bezüge.

 

Liebevoll und unbarmherzig

Ilse Krüger, 82 Jahre alt, hat die Geschichte ihrer Eltern in psychologisch einfühlsamen Dialogen nachgezeichnet. Dadurch, dass die Gespräche fast nur im Privaten stattfinden, wird das Idyll einer ganz normalen Familie entworfen. «Meine Mutter war eine hervorragende Lügnerin», sagt die Autorin. Doch die Fassade bröckelt, nachdem die zwölfjährige Tochter das Ausmass der Gräueltaten im Dritten Reich erstmals erkennt. Sie schaut eine amerikanische Dokumentation der Befreiung der KZs. Seither versucht sie, zu verstehen. Und versteht es letztlich doch nicht.

Klar ist, die Mutter wächst bei einer alleinerziehenden, frustrierten und verbitterten Frau auf, die am Rand steht. Diese verabscheut als Sozialistin zwar Hitler, ist aber gleichzeitig Antisemitin.

Bei der studentischen Vereinigung «Die Wandervögel» findet Marie-Louise Freunde und Ablenkung in der Natur, welche überzogen mit Heimatkitsch am Lagerfeuer besungen wird. Dort lernt sie auch ihren späteren Mann Heinz, einen Ostpreussen, kennen. Der romantisch veranlagte Literaturstudent schreibt ihr Gedichte und wirbt liebevoll um sie. Marie-Louise tut es gut, erstmals ohne Einschränkung geliebt zu werden, aber es nimmt ihr auch die Luft. Als sie ungewollt schwanger wird, heiraten die beiden. Wenige Jahre später zieht Heinz mit grosser nationalsozialistischer Überzeugung in den Krieg. Rekonstruiert hat die Autorin aus Gesprächen, Feldpostbriefen und Gedichtbänden des Vaters. Entstanden ist daraus eine berührende, dramatisch endende Liebesgeschichte, die jedoch kaum funktioniert hätte, wenn eine Aufarbeitung der Naziverbrechen beider Elternteile explizit erfolgt und nicht in schamhaften Andeutungen stecken geblieben wäre. Die grossen Fragen der Autorin (siehe Interview) bleiben letztlich unbeantwortet.

Info: Ilse Krüger, «Bitter kalt, Chronik einer Familie», 368 Seiten, Éditions Parallèles, Biel, 34 Franken. Bestellungen mit einer Mail an info@editions-paralleles.ch

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