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Erlach

Lustvoller Zwang des Formats

In Erlach zeigt die Galerie Mayhaus zum zehnten Mal das Ergebnis ihres Langzeit-Projekts «Fil Rouge». Das Kleinformat, an das sich die 55 Künstler halten müssen, liegt nicht jedem.

Die Aufnahme von Anthal Thoma nimmt Bezug auf Gentileschis «Judith enthauptet Holofernes». Bilder: zvg

Clara Brachvogel

Gar nicht so einfach, 55 Künstler auf ein Aktenordner-Format zu bringen. Seit Jahresbeginn bekam Galerist Ilja Steiner täglich Post. Und mit vorfreudig-zittrigen Fingern öffnete er jedes Überraschungsei, das ihm der Künstler seines Vertrauens zukommen liess. In die überwiegende Freude mischte sich manch kleine Enttäuschung: Mal schickte einer eine allzu dicke dritte Dimension mit. Oder ein Werk kam bereits gerahmt an. Oder die Frage tauchte auf: «Wieso schickt er dies, nicht das?»

Das Ergebnis kann jetzt in der Galerie Mayhaus in Erlach begutachtet werden. Es ist das Abbild einer lebendigen regionalen und internationalen Kunstszene - und natürlich auch des ganz persönlichen Geschmacks von Ilja Steiner, der viele junge Künstler eingeladen hat.

Der meist grossformatig arbeitende Künstler, der Bieler Marcel Freymond, schnitt am Ende das DIN A4 aus einem grossen Werk heraus, mit dem er nicht zufrieden war. Und Installationskünstler Monsignore Dies schickte unbescheiden ein Reliquienkreuz, gedruckt auf eine Glasplatte. Im Zentrum: ein Grab für seine Haare, «gesammelt von Weihnachten 2011 bis Ostern 2012». Als Zugabe hat er seinen heiligen Haaren Kräuter beigemengt, Rosmarin, Thymian. Damit's schön duftet.

Auf Sébastien Mettraux, Jahrgang 1984, stiess Steiner an den Swiss Art Awards. Er schickte ein weisses Zeichen auf rotem Grund, gemalt mit Kugelschreiber. Es ist das Zeichen, das auf jeder Identitätskarte zum Schutz vor Fälschungen angebracht ist. Mettraux hat auch schon die Autobahnvignette in Kunst verwandelt. Der in Genf lebende Romand malt ansonsten auch nüchtern-geometrische Architekturlandschaften.

Zehntes Jahr: Übergabe

Der rote Faden, der «Fil Rouge», ist das Format DIN A4, seit dem Jahr 2002. Galerist René Steiner hat das Projekt gestartet und nun, nach rund 300 gesammelten Bildern, den Faden gänzlich an seinen Sohn Ilja übergeben, der ihn nach seinem Gusto weiterspinnt. Die Handschrift der neuen Generation zeigt sich entsprechend.

Auf Olaf Breuning stiess Ilja Steiner beispielsweise während seines Praktikums im Zentrum Paul Klee. Da sollte er recherchieren, wo und wie Werke von Paul Klee kopiert und rezipiert werden. Und der in New York lebende Schweizer hatte just am Strand von Miami Beach eine riesige Sand-Skulptur mit Paul-Klee-Gesicht geschaffen. Der Neuseeländer Phil Dadson ist ein Fund, der mit dem internationalen Künstlersymposium «Nine Dragon Heads» verknüpft ist, das 2011 erstmals in Biel stattfand. Und auf Strassenkünstler Mike Parsons stiess Steiner während eines dreiwöchigen Aufenthalts in Kanada.

Nina Weber wiederum, Jahrgang 1980, gelangte auf Vorschlag der ehemaligen Pasquart-Direktorin Dolores Denaro in die Ausstellung. Weber verhilft der Tusche-Zeichnung zu neuer Präsenz und greift dabei die Formsprache der Surrealisten auf, aber auch das Ornament des Jugendstils. Beides verknüpft sie mit Bezügen zu Literatur in rätselhaften Traumwelten. Daneben gibt es viele regionale Künstler, von Matthias Wyss über Aurélie Jossen und Jerry Haenggli bis hin zu Sèyo, dem Bieler Graffiti-Künstler.

Oder einem Antal Thoma, Jahrgang 1981. Er knipst seit 2009 mit dem Bieler Hausbesetzerkollektiv LaBiu jährlich den Kalender «Hot Squat». Nach dem Start mit seinem «etwas anderen» Pin-up-Kalender 2009 erschien 2010 seine Interpretation berühmter Gemälde - von der «Erschaffung Adams» von Michelangelo bis zur «Geburt der Venus» von Botticelli. Das in Erlach gezeigte Foto ist Teil dieser Serie. Es sticht auch in DIN A4 ins Auge, übersetzt «Judith enthauptet Holofernes» von Artemisia Gentileschi augenzwinkernd und ähnlich blutig ins Heute.

Bis 1. Juli, Galerie Mayhaus, Erlach, offen: Sa und So von 14 bis 19 Uhr oder nach telefonischer Vereinbarung www.galerie-steiner.ch

Entdeckt

- Dominique Ruppen aus Grenchen überzeugt mit seinem Hund, der aus den Wolken über Erlach springt, auch auf DIN A4 und mit Buntstift

- Melsak, ein frecher Anonymus, verwandelte eine Saugglocke für verstopfte Abflussrohre kurzerhand in eine DIN- A4-Installation

- Valentina Pini (*1982), lebt in Genf; Zeichnungen, auf denen die Farbe um Millimeter kämpft

- Eddie Hara (*1957), der indonesische Künstler ist nach Basel ausgewandert; Comic-Katzen mit Totenköpfen

- Olaf Breuning, der Schaffhausener lebt in New York, ist mit einem gezeichneten Vogel-Zirkus dabei, international mit irren, bunten Ideen erfolgreich www.olafbreuning.com

Stichwörter: Erlach, Galerie, Mayhaus

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