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Biel

«Man hat fast das Gefühl,
 es sei wie in einer grossen Stadt»

Reibung, Überraschung, Herausforderung: Das ist das Credo von Chri Frautschi für das Lokal-int. Heute Abend macht der Künstler San Keller den Ort selber zum Thema – unter Mithilfe des Publikums.

San Keller bespielt das Lokal-int – das Bild zeigt ihn bei der Aktion «Nach der Kunst». Bild: zvg/Sandino Scheidegger

Tobias Graden

Heute Abend wird sich Chri Frautschi ein bisschen feiern lassen können. Bald 16 Jahre existiert sein Lokal-int bereits, und der Künstler San Keller nimmt sein Gastspiel zum Anlass zurückzuschauen. Er tut dies aber nicht alleine, sondern er hat die Besucherinnen und Besucher des Offspaces aufgerufen, Erinnerungen einzusenden. «Nicht eigentlich der alternativen Kunstszene zugehörend, waren mir der Kiosk an der Aarbergstrasse und die Leute, die sich da jede Woche mit einer Bierflasche in der Hand trafen, schon eher etwas fremd», hat ihm beispielsweise die Kunstkritikerin Annelise Zwez geschrieben, «auch wage ich die Behauptung, dass da nicht sehr oft und nicht sehr ernsthaft über Kunst diskutiert wurde.»

Das ist nicht die Schlussfolgerung in den Erinnerungen von Annelise Zwez, das sei der Fairness halber erwähnt, aber an dieser Stelle wird Chri Frautschi sicher ein bisschen schmunzeln. Ein, zwei Punkte in diesen beiden Sätzen könnte er als diskussionswürdig erachten. Das mit dem Bier zum Beispiel: Dass das Lokal-int an den Donnerstagabenden jeweils auch ein Treffpunkt ist, das ist Frautschi wichtig. Ebenso, dass es dabei immer wieder neue Konstellationen gibt. Gewiss, es gibt das Stammpublikum, das immer wieder oder jedenfalls oft vorbeischaut. Doch weil jede Woche eine neue Künstlerin, ein neuer Künstler eine Arbeit präsentiert, kommt auch immer wieder neues Publikum. «Es gibt immer wieder neue Durchmischungen», sagt Frautschi, «man hat fast ein bisschen das Gefühl, es sei wie in einer grossen Stadt.» Anders auch als etwa in Zürich, wo die einzelnen Szenen lieber unter sich blieben, sei zudem in Biel die Neugier auf Neues ohnehin grösser.

 

Die etablierte Alternative

Der zweite Punkt in Zwez‘ Betrachtung ist jener der «alternativen Kunstszene». Nun wird ein Offspace wie das Lokal-int zwar gemeinhin als Treffpunkt einer solchen charakterisiert, so steht es auch in Wikipedia. Demzufolge wäre es ein Ausstellungsraum für «junge, unetablierte zeitgenössische Kunst». Aber das ist, findet Frautschi, eine Charakterisierung, die als überholt zu betrachten ist. «Offspaces sind ein Teil der Realität geworden», sagt er. Den Gegensatz zwischen Galerien und etablierten Institutionen einerseits und den Offspaces anderseits gebe es heute nicht mehr: «Manche Offspaces zeigen etabliertere Inhalte als die Galerien», sagt Frautschi. Hinzu kommt, dass das Lokal-int durchaus eingebunden ist in das offizielle Kunstgeschehen, wenn man es so nennen will: Im März wird beispielsweise Leolie Greet ausstellen, die Gewinnerin des Prix Kunstverein, die auch an der Cantonale vertreten war. Und das Lokal-int ist auch einer der Veranstaltungsorte der Bieler Fototage.

Ein weiterer Aspekt: Chri Frautschi, mittlerweile selber 52 Jahre alt, zeigt zwar durchaus gerne junge Kunst. So wie kürzlich jene von Robin Mettler, der gerade die Ausbildung an der Hochschule der Künste abgeschlossen hat. «Die Bude war voll mit 25-jährigen Kunstinteressierten und Studierenden.» Aber das ist eben nur ein Teil der Sache. Ebenso haben ältere – gewissermassen «etablierte» – Kunstschaffende Platz, im Dezember etwa René Zäch (das BT berichtete), im März wird es Hannah Külling sein, und San Keller von heute Abend ist auch nicht gerade ein Neuling.

Kurz: Einen inhaltlichen Gegensatz zwischen «etabliert» und «alternativ» gibt es laut Frautschi nicht mehr. Das wird nicht zuletzt auch deutlich am Umstand, dass mehrere Trägerinnen und Träger von Kunstpreisen auch schon im Lokal-int vertreten waren.

 

«Let’s do the clash»

Zweifellos aber führt Frautschi das Lokal-int mit einer bestimmten Haltung. «Ich möchte Überraschung und Herausforderung veranstalten», benennt Frautschi sein Credo, «Positionen, bei denen ich eine noch nicht realisierte Show vor meinem inneren Auge schon zu sehen glaube, stossen mich ab.» Er spricht von Reibung, oder neudeutsch: «Let’s do the clash. Auf eine cleane Show folgt ein soziales Experiment.» Was ihm dagegen widerstrebt, ist «das rein Dekorative» – dafür gibt es ohnehin genügend andere Orte.

Und es gibt nicht zuletzt diesen einen relevanten Unterschied zu den Galerien: Frautschi ist nicht Kunsthändler. Verkäufe sind zwar nicht ausgeschlossen, aber Frautschi ist darin nicht involviert. Er hat selber also kein anderes Interesse als jenes, den Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform zu bieten. Es muss ihm nicht einmal gefallen, was diese damit anfangen. Wichtig ist ihm, dass sie «eine Haltung zeigen, ob mir nun ihr Projekt gefällt oder nicht». Und dass sie sich ihrer Sache mit Kraft widmen, eben wie zuletzt Robin Mettler: «Er ist noch sehr jung, aber bei ihm hat man das Gefühl: Er will etwas erreichen. Er ist womöglich der übernächste Manor-Preisträger oder wird von einer Galerie entdeckt.»

 

«Nicht glücklich genug»

Chri Frautschi und sein Lokal-int sind mittlerweile selber etabliert, in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sozusagen. Der Beweis: Kürzlich hat ihn die Gratiszeitung «Biel Bienne», mit der er bislang in bewusstem gegenseitigen Ignorieren verbunden war, zum «Bieler des Jahres» nominiert. Dass er die Wahl dann nicht gewonnen hat, dürfte ihn erleichtert haben. Er zieht genug Gewinn aus den alldonnerstäglichen Vernissagen: «Sie sind mein Wochenende.» Sein wechselhaftes Programm ist nicht nur für ihn ein Jungbrunnen, sondern auch eine Inspiration für die Ausstellenden. So setzt er in dieser Saison noch stärker als sonst auf Gastkuratorien: «Leuten, die ich spannend finde, sage ich: Bring jemanden! Es ist dann ihre Verantwortung, was inhaltlich passiert. Dabei erlebe ich die besten Überraschungseffekte.»

San Keller jedenfalls ist des Lobes voll: «Biel kann sich nicht glücklich genug schätzen, einen Raum wie das Lokal-int zu haben!» Für heute Abend verspricht er «etwas zwischen Review und Revue»: «Die Schaufenster sind von innen weiss gestrichen und ich werde ab 19.30 Uhr die Erinnerungen von den Blättern auf die Scheiben übertragen. Mit dem Zeichnen und Schreiben entferne ich das Weiss und so entstehen Einblicke ins Lokal-int.» Er schätze die «Zugänglichkeit, das Lebendige, Kontinuierliche» am Lokal-int sehr – «für diese Arbeit setze ich jedoch auch eine kritische Distanz zum Raum und gewähre nur Einblick über ‹die Erinnerungen›».

Frautschi wird von dem Anlass wieder Fotos machen, vielleicht ist auf einem der Beitrag von Annelise Zwez zu sehen. Vor allem aber werden die Fotos Bilder zeigen von Leuten, die mit einem Bier in der Hand herumstehen und miteinander reden. Und bei allem Lob, das Zwez sonst ausspricht – ihre «Kritikerinnen-Seele» kann sich ein «Aber» zum Schluss nicht verkneifen: «Die Fotos (…) zeigen vor allem Menschen, die zusammenstehen und diskutieren, aber was zum Donnerwetter hat er oder sie ausgestellt, inszeniert… ???»

Info: Vernissage San Keller heute Abend, 19.30 Uhr, Lokal-int, Hugistrasse 3, Biel. Infos unter www.lokal-int.ch.

 

Das Programm

  • 27. Januar: San Keller, Zürich
  • 3. Februar: Kopfhoerer, präsentiert von Laurent Güdel & Lionel Gafner
  • 10. Februar: Nathalie Imhof, Biel
  • 17. Februar: Peter Gysi, Burgdorf
  • 24. Februar: Marlijn Karsten, Basel, präsentiert von Selma Meuli
  • 3. März: Hannah Külling, Biel
  • 10. März: Julie Magnenat, Genf
  • 17. März: Prix Kunstverein: Leolie Greet, Biel
  • 24. März: Virginie Sistek, Crans Montana, präsentiert von Paolo Baggi
  • 31. März: Colin Guillemet, Zürich
  • 7. April: Petra Fiebig & Uwe Schloen, Bremen, präsentiert von Monsignore Dies
  • 14.April: AFFDP / Federica Di Pietrantonio, Rom, präsentiert von Alizé Rose-May Monod
  • 21. April: AFFDP / Andrea Frosolini, Rom, präsentiert von Alizé Rose-May Monod
  • 28. April: Sergio Rojas Chaves, Basel/San José, präsentiert von Andreas Wagner
  • 5. Mai: Kopfhoerer, präsentiert von Laurent Güdel & Lionel Gafner: Christian Müller
  • 19. Mai: Camille Alena, Lausanne (Bieler Fototage)
  • 26. Mai: Karin Borer, Basel; präsentiert von Sophie Yerly
  • 2. Juni: Sophie Huguenot; präsentiert von Emilie Guenat
  • 9. Juni: Jon Merz, Berlin
  • 16. Juni: Kopfhoerer, präsentiert von Laurent Güdel & Lionel Gafner
  • 23. Juni: Jan van Oordt, St.Imier (Gastkurator)
  • 30. Juni: Nina Rieben, Bern
  • 7. Juli: Ramon Feller, Zürich mt

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