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Literatur

Mein Roadtrip mit Mama

In seinem Roman «Reise nach Maine» begibt sich Matthias Nawrats Erzähler auf eine Art gewollte Pflichtreise mit der Mutter durch Amerika. Kann das gut enden? Es fängt noch nicht einmal gut an.

Reise durch Rollenbilder: Endlose amerikanische Weite kontrastiert im Roman "Reise nach Maine" mit unlösbarer Enge in Rollen, welche in Scham und Schuldgefühl verstrickt sind. Bild Pixabay

Clara Gauthey

Wieso unternehmen wohl so wenige Kinder im Erwachsenenalter eine längere Reise oder auch nur einen Wochenendtrip alleine mit ihren Eltern? Matthias Nawrat, der 2012 das Schweizerische Literaturinstitut in Biel abgeschlossen hat und heute in Berlin lebt, ahnte die Schwierigkeiten, die solche Unternehmungen begleiten können und hat es trotzdem gemacht: real, mit der eigenen Mutter von New York nach Maine im Auto. Und nun auch literarisch, in seinem fünften Roman.

Lakonisch und beschämend

Nawrat schafft es mit diesem Buch, dass wir Mechanismen eigener Mutter-Kind-Konstrukte wiedererkennen: als lakonische, beschämende, beunruhigende kleine Situationen, wie sie nur in solcher Konstellation und in der Enge entstehen können, aus der wir nicht voreinander flüchten können. In den kleinen dramatischen Einheiten zwischen Big Apple und der felsigen Küste von Maine leiden wir mit beiden Seiten mit. Und den Rollen, in denen sie feststecken.

Dabei passiert nach aussen hin wenig wirklich Theatrales, denn meistens regiert die konfliktscheue Beherrschtheit zwischen Mutter und Sohn. Umso mehr brodelt es in unangenehmer Unaussprechlichkeit unter den Oberflächen.

Anspruch und Sorge

Es geht um Ansprüche, Zurechtweisungen, gegenseitige Sorge und immer wieder um Schuldgefühle, die uns unangenehm sind. Ist die alte Mutter zu langsam, eine Last für den Sohn? Ist das Kind glücklich in seinem Leben, finanziell abgesichert? Hat sich die Mutter einst für die Familie krumm gemacht und ist dadurch unglücklich geworden? Wo endet die Dankbarkeit, welche wir dafür empfinden? Welche Art Übergriffigkeit einem erwachsenen Kind gegenüber ist nicht angebracht und wie zeigt man als Kind Liebe, ohne dabei hinter belastendem Pflichtgefühl zu verschwinden? Wie kann man überhaupt miteinander reden und weshalb ist es derart schwierig, sich von alten Mustern und Konflikten zu lösen?

Es sind oft schon einzelne Sätze, welche alte Wunden und Diskurse aufbrechen lassen. Das wohlmeinende Angebot, das Taxi zum Hotel zu bezahlen. Die Bemerkung, man wirke unruhig oder müde. Die Bevormundung, wo man Pause mache oder wann man was esse, die gar nicht als solche gemeint ist und das Verschanzen hinter vermeintlicher Höflichkeit, welche zu Missverständnissen führt, weil niemand offen sagt, was er will. Das Hinterherräumen im Mietappartement, während der Sohn kurz duschen geht, wirkt natürlich als erhobener Zeigefinger und Reminiszenz an Jahre der mütterlichen Pflichterfüllung. Erinnerungen aus der Kindheit mischen sich mit dem Jetzt und so schwelt eine Form stillen Streits und Vorwurfs.

Getragen von der Angst, einen Konflikt eskalieren zu lassen, kommt es nicht zur Aussprache. Und dann ist da auch gleich zu Beginn dieser blutige Unfall der Mutter, welcher das Gefühl, mit ihr vorsichtig umgehen zu müssen, noch verstärkt, zugleich aber als übertriebene und unbeholfene Sorge des Sohnes auf der Mutter lastet.

Land und Leute

Dazwischen zieht viel Landschaft vorbei. Die amerikanische Metropole in aller Grossartigkeit und Armut und Hitze. Das Versprechen endloser Freiheit und Weite eines Roadtrips kann nicht eingelöst werden. Die Begegnungen mit unterschiedlichen Amerikanerinnen und Amerikanern erzählen die Geschichte eines Landes, wirken aber fast wie hilfloser Ersatz für Gespräche zwischen Mutter und Sohn, die zäh in Gang kommen.

Geschickt arrangiert Nawrat diese Tage zu einem nicht enden wollenden Moment fast ohne Verschnaufpause. Als seltsame Qual der Liebenden, die nur von Tag und Nacht und Wetterlagen strukturiert wird.

Und fordert uns damit implizit auf, eigene Verstrickungen zu durchleuchten und sie liebevoll-mutig zu lösen, statt zu schweigen.

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