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Murten Classics

Meisterin des klassischen Akkordeons

Das Farbenspiel und die Feinheiten des Akkordeons haben es Viviane Chassot angetan. Bei den Murten Classics ist sie Artist in Residence und zeigt, welche Wunderwelt sich dem Ohr beim klassischen Akkordeon auftut.

Viviane Chassot hat mit ihrer Aufnahme von Haydns Klaviersonaten den Klavier-Altmeister Alfred Brendel begeistert. Irène Zandel/zvg

Peter König

Ihr Instrument kostet so viel wie ein Mittelklassewagen. Bloss weniger schwer ist es, aber immer noch an die 15 Kilo. Die Rede ist also nicht von einem Konzertflügel und auch nicht von einer teuren Geige, die Rede ist vom Akkordeon. Vom klassischen Akkordeon genauer gesagt, einem Instrument, das noch immer ein gewisses Nischendasein fristet. Dem abzuhelfen, hat sich die in Basel lebende Zürcherin Viviane Chassot auf die Fahne geschrieben.

Ausgebildet in Biel und in Bern, ist sie unermüdlich und an vielen Fronten daran, Bekannt- und Beliebtheit ihres Instruments zu mehren. Was ihr auch gut gelingt, denn das Muster ist oft dasselbe: Wer «klassisches Akkordeon» hört, wird zunächst irritiert sein, sich dann darauf einlassen - und überrascht feststellen, welche Wunderwelt sich da dem Ohr öffnet.

 

Geadelt vom Altmeister

Das geht normalen Menschen so, aber auch grossen Künstlern: Kein Geringerer als Klavier-Altmeister Alfred Brendel hat Chassots Haydn-Aufnahme in höchsten Tönen gelobt und sie so gewissermassen geadelt. Er muss es wissen, denn kaum einer kennt Joseph Haydns Klaviersonaten besser als er. Aber Moment: Klaviersonaten? Genau: Zu Haydns Zeit (1732 - 1809) gab es das Akkordeon noch gar nicht. Viviane Chassot spielt deshalb Bearbeitungen. Und das funktioniert wunderbar, denn ihr Instrument kann zwar einiges nicht, was ein Klavier, ein Cembalo, ein Clavichord vermag - aber es kann anderes: zum Beispiel Töne fast endlos lang aushalten, die bei herkömmlichen Tasteninstrumenten vorher verklingen.

 

Subtil und geschmeidig

Den Einwand, «klassisches Akkordeon» sei ein Widerspruch in sich, lässt Viviane Chassot nicht gelten. Mit entwaffnender Logik legt sie dar, dass gerade Haydn für alle Tasteninstrumente seiner Zeit komponiert habe, also hätte er dies auch für das Akkordeon getan.

Ungern hört sie auch den Vergleich mit der Orgel, den der Laie, gedanklich beim Schwyzerörgeli, anstellt: Denn wo die Fuge mächtig durch das Kirchenschiff dröhnt, kommt das Akkordeon wesentlich subtiler und geschmeidiger daher. Viviane Chassot schätzt jene unglaubliche Leichtigkeit, das Farbenspiel und die Feinheiten, die klanglich mit der Orgel wenig zu tun haben. Es gibt nicht viel Originalliteratur für Akkordeon, ihr Repertoire ergänzt Chassot daher mit Bearbeitungen (wie bei Haydn oder Rameau) oder aber mit neuen Stücken, die sie in Auftrag gibt. Solche sind auch auf ihrer soeben erschienenen dritten CD «New Horizons» zu hören.

 

Das Beste zweier Welten

Gerade lässt sich Viviane Chassot ein neues Instrument bauen. Ein Akkordeon der Sonderklasse wird das, nämlich eine italienisch-russische Koproduktion: Während Korpus und Balg im Akkordeon-Mekka schlechthin, der Kleinstadt Castelfidardo nahe Ancona gefertigt wurden, stammt der Finish aus Moskau. Denn die russische Meisterschaft gerade bei den Stimmzungen sei unerreicht. Von der Kombination verspricht sich Chassot einiges, verbindet sie doch sozusagen das Beste beider Akkordeonwelten. Gerne hätte sie das neue Instrument schon abgeholt, doch vorerst fehlt ihr die Zeit: Bald wird sie als Artist in Residence bei den Murten Classics erwartet und dort nicht weniger als sechs Konzerte geben. Das braucht viel Vorbereitung, fünf bis sechs Stunden übt Viviane Chassot täglich - wenn sie denn dazu kommt. Überhaupt, die Zeit: Zwar ist sie jetzt als freischaffende Künstlerin unterwegs, was ihr tatsächlich neue Freiheiten gibt. Sie bekennt aber, dass dafür andere Unfreiheiten in Kauf zu nehmen sind. Nicht, dass es ihr an Aufträgen fehlen würde, im Moment muss sie da fast eher ein wenig bremsen. Aber von der Website bis zu neuen Bearbeitungen alles auf die Reihe zu kriegen, ist nicht ohne.

Bei den Murten Classics wird Viviane Chassot auf Gleichgesinnte treffen: Mit dem künstlerischen Leiter Kaspar Zehnder, den man in Biel vor allem als künstlerischen Leiter des Sinfonieorchesters Biel Solothurn kennt, hat sie sicher die Neugierde gemeinsam, die Lust, ausgetretene Pfade zu verlassen und Neues zu entdecken.

 

«Es war einmal» in Murten

Für Zehnder muss vor allem die Chemie stimmen, wenn er Programme gestaltet und Künstlerinnen und Künstler einlädt. Das diesjährige Motto lautet «Es war einmal», und so ist er auch wegen eines Märchenstücks für Akkordeon von Vaclav Trojan auf Viviane Chassot gekommen, die er vom Orchester Paul Klee her kannte. Sie wird bei einem Viertel der zwei Dutzend Konzerte zu erleben sein; solo, mit Zither oder Saxophon und mit Orchester. Die Liste der weiteren Auftretenden ist lang und illuster, das Publikum wird in den Genuss mancher schönen Überraschung kommen. Kaspar Zehnder hat ganze Arbeit geleistet und ein erlesenes Programm zusammengestellt. Zehnder selber kommt sein eigenes Leben manchmal märchenhaft vor - etwas Märchenhaftes hat sicher auch die Karriere von Viviane Chassot.


Link: www.murtenclassics.ch

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