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Büren an der Aare

Mit offenem Blick und schweren Füssen

Der Künstler Jan Hostettler zeigt zurzeit in der Artis Galerie Bilder, Objekte und ein Video – Arbeiten der letzten fünf Jahre. Büren spielt eine spezielle Rolle in seinem Leben und seiner Kunst.

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Simone K. Rohner
2013 wanderte Jan Hostettler (*1988) durch Italien. 2016 dann, von Basel nach Istanbul. Ohne davor gross trainiert zu haben, aber dafür mit genug Zeit. Fundstücke und Orte, die ihm auf den beiden Reisen begegneten,  haben sich in seinen aktuellen und älteren Arbeiten niedergeschlagen – sie sind zurzeit in der Artis Galerie in Büren zu sehen.
Aber wie landet der gebürtige Solothurner, der unterdessen in Basel lebt und arbeitet, an diesem Ort? Die Geschichte geht zurück in die Kinder- und Teenagerjahre des noch jungen Künstlers. Trudi Lädrach, eine Freundin seiner Mutter, unternahm Ausflüge und Reisen mit dem Jungen. Und eines Tages brachte sie ihn auf einen Estrich. Er schaute sich um – und wurde fündig. Seither begleiten ihn diese Fundstücke: Alte Fotos von Orten, die Ausgrabungsstätten zu sein scheinen. Historische Aufnahmen vom sogenannten Polenlager in Büren. Oder Fotos von Brunnen sind dabei. Er kombiniert diese gefundenen Fotos aus den 40er-Jahren mit eigenen Zeichnungen und Frottagen der Fundstücke, die er auf seiner letzten Wanderung nach Istanbul gesammelt hat.
Geschichte fasziniert ihn schon damals als Jugendlicher. Ist an ihm ein Geschichtslehrer oder Archäologe verloren gegangen? «Eben nicht», antwortet er bestimmt. Heute interessieren ihn die Objekte nicht aus pädagogischer oder Forschersicht. Und doch scheinen ihn solche Fundstücke zu verfolgen. Als er in einem Fluss badet, wird er fast von einem Armierungseisen aufgespiesst – mit Glück nicht verletzt. Damit es nicht andere Schwimmer verletzt, zieht er es aus dem Wasser – und siehe da – das Stück Eisen sieht aus wie ein Spazierstock. Spiegel, die er findet, tauchen in seinen Arbeiten auch immer wieder auf.

Mit C, nicht mit K
Auch auf seinem Weg von Basel an den Bosporus fand er einige Objekte, fotografierte und schriebTagebuch. «Um Dinge in Erinnerung zu behalten», wie er sagt. Ein Tag blieb ihm besonders.
Bei der Reise durch Österreich kam er am Konzentrationslager Mauthausen vorbei. Weil die Gedenkstätte, die es heute ist, noch nicht auf hatte, spazierte er etwas in der Gegend herum und stiess in einem kleinen Waldstück auf den «Aschefriedhof». Dieser diente den Nazis als Müllhalde. Ab 1944 wurde hier aber auch die Asche der in den Krematoriumsöfen verbrannten Häftlingsleichen verstreut. Dort fand Hostettler einen vermutlich von einem Häftling selbst gemachten Spiegel – diese waren den Häftlingen im KZ verboten – und ein leeres Tintenfass. Er steckte beides ein.  Sie finden sich in der Ausstellung in Büren wieder: Hostettler montierte Zeichnungen dieser Objekte zusammen mit zwei historischen Aufnahmen des Polenlagers in Büren, das man auch Concentrationslager nannte – mit C, nicht mit K. Sie löst ein Schaudern aus, diese Montage. Sehen die Baracken doch so universell aus – sie könnten genausogut in Polen oder Deutschland gestanden haben. Hostettler will die beiden Orte nicht vergleichen. Er will vielmehr die Anonymität dieser Bauten hervorheben. Und natürlich drängt sich die Was-wäre-wenn-Frage auf. Diese Anonymität, die scheinbare Bedeutungslosigkeit, sei es in Allerwelts-Landschaften, die irgendwo sein könnten, oder in Objekten, ziehen sich durch Hostettlers gezeigten Werke. Sie verlangen ein längeres Hinsehen.

Brunnen mit Überfluss
Doch nicht alle Objekte und Bilder in der Ausstellung sind derart ernst. Ein Video, das er als Projektion zeigt, deckt seine absurde und komische Seite auf. Es zeigt einen Brunnen. Eine Weile lang passiert scheinbar nichts. Dann plötzlich erkennt man, wie die beiden Wasserfontänen immer stärker werden. Bis sie beide über den Brunnen hinausschiessen. Passaten gehen vorbei – ohne sich zu achten, oder ohne sichtbare Reaktion darauf. Solche Interventionen an Infrastruktur gehören auch zu seinem sehr breit gefächerten Schaffen. Er zeichnet, fotografiert und arbeitet installativ – und manchmal taggt er auch Fassaden mit Kreidewasser, sodass sie aussehen, als bluteten sie aus einer Öffnung. Kurios sind auch seine bleiernen Füsse, die in der Galerie stehen. Diese hat er im Anschluss an seine Wanderung nach Istanbul gegossen. «Ca. 4000 Kilometer, Winter, Frühling, Sommer und Blei» steht als Materialangabe.
Jan Hostettlers Arbeiten muten konzeptuell an. Jedoch ist es sein Vorgehen eigentlich nicht. Es ist viel zufälliger, intuitiver. Er kombiniert Historisches mit Aktuellem, nimmt Vergangenes auf und bringt es dadurch in einen bedeutungsgebenden Kontext. Wie das kleine Vogelnest, das sich nur dem Besucher offenbart, der mit genauso offenen Augen durch die Ausstellung geht, wie Hostettler auf seinen Wanderungen.

Info: Ausstellung bis 30. November, Artis Galerie Büren a. A.Bilder der Ausstellung unter: www.bielertagblatt.ch/funde

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