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Online Kultur

Nah dran und trotzdem weit weg

Zuerst ins Museum, dann später ins Theater. Dazwischen etwas Gutes essen. Das alles ist im Moment Wunschdenken. Wie kann der Kulturhunger jetzt doch noch gestillt werden? Ein Selbstversuch.

Bild: zvg

Simone K. Rohner

«Was machst du da?», fragt mich mein Freund und temporärer Homeoffice-Partner irritiert. Zugegeben, es muss komisch anmuten. Ich stehe in der Mitte unseres Wohnzimmers. Den Arm halb ausgestreckt mit meinem Smartphone in der Hand. Ich bewege mich langsam zur Hand, knie runter, dann richte ich mich wieder auf, nehme wieder etwas Abstand. Mein Blick ist in die scheinbare Leere einer Zimmerecke gerichtet und gleichzeitig muss mein Gesichtsausdruck wahnsinnig fokussiert, ja geradezu konzentriert scheinen. Als ob ich etwas sehen könnte, das ihm verborgen bleibt. Und so ist es auch. Ich betrachte nämlich gerade «Le Déjeuner sur l’herbe» von Édouard Manet genauer. Es ist eines der berühmtesten Gemälde des Impressionismus. Nicht zu verwechseln mit Monets gleichnamigem Bild, das in Anlehnung zu Manets Gemälde entstand und weniger anzüglich gemalt ist, da keine nackten Frauen zu sehen sind wie bei Manet. Das Bild ist gross. Zwei Meter auf fast zwei Meter 70. Und jetzt befindet es sich in Originalgrösse in unserem Wohnzimmer.

Doch man ahnt es schon. Natürlich nur digital. Die analoge Version, und somit das Original, ist immer noch sicher im Musée d’Orsay untergebracht. Und da gehe ich jetzt hin, um das Bild in seiner natürlichen Wildbahn, umgeben von Artgenossen zu bestaunen.

 

Erster Halt: Der Bahnhof

Der ehemalige Pariser Bahnhof ist eines der imposantesten Museen weltweit. Eröffnet wurden der Bahnhof und das dazugehörige Hotel am 14. Juli 1900. Nach nur zwei Jahren Bauzeit. Es war der erste Bahnhof für Züge mit Elektroantrieb. Doch schneller als vorgesehen wurde er Opfer seiner Innovation. Die Bahnsteige wurden zu kurz für den Betrieb mit den modernen, längeren Zügen. Ab 1939 wurde der Bahnhof nur noch für den Verkehr zu den Vororten von Paris benutzt. Dann änderte der Zweite Weltkrieg die Nutzung noch einmal: Er diente als Aufnahmezentrum für Kriegsgefangene und Überlebende des Holocausts.

In den 60er-Jahren wurden die Hallen von Orson Welles und Bernardo Bertolucci als Filmkulisse benutzt. Schliesslich sollte das Gebäude abgerissen werden und einem modernen Bau weichen. Glücklicherweise geschah dies nie und der Ort wurde in den 70er-Jahren unter Denkmalschutz gestellt und schliesslich in ein Museum umgewandelt, nachdem mehrere Jahre lang umgebaut wurde. Am 1. Dezember 1986 öffnete die erste Ausstellung. Den Bahnhof spürt man immer noch.

Aber ich schweife ab. Zurück zum Bild. Denn das spiegelt sehr gut die Sehnsüchte wider, die viele Menschen zurzeit wahrscheinlich gerade verspüren. Die Tage werden länger und wärmer. Es würde uns natürlicherweise in die Sonne, an den See ziehen. Zum Picknick mit Freunden, schon etwas leichter bekleidet, ein Bier oder ein Glas Wein in der Hand haltend, plaudernd, vielleicht grillierend. Ich bewege mich noch ein wenig umher im Musée d’Orsay. Entdecke dabei noch einige Gemälde.

Mithilfe der App Google Arts & Culture kann man virtuell durch die Räume schlendern und sich dabei wirklich bewegen, drehen und nah ran an die Kunst. Es wirkt fast so, als wäre man wirklich da. Aber komplett alleine. Ohne Gedränge vor den Bildern und Objekten. Ohne die Aufsichten, die einen mahnen, sobald man zu nahe herangeht. Ohne Gepiepse des Alarms. Ohne, dass sich einem jemand direkt vor das Blickfeld stellt, um ein Selfie aufzunehmen. Auch mal schön. Und eine interessante Erfahrung. Doch nach einer Weile kommt es mir fast unheimlich vor. So ganz alleine umgeben von all diesen Impressionisten. Und natürlich schafft es auch die beste Virtual- Reality-Simulation nicht, an einen realen Museumsbesuch heranzukommen.

 

Ab ins Atelier

Nach meinem Rundgang schaue ich noch bei Pipilotti Rist im Atelier vorbei. Sie zeigt mir ihr beeindruckendes Lager voll mit verschiedensten Dingen. Von einer riesigen Schachtel Unterhosen über ein ausgestopftes Emu bis hin zu ihrer Sammlung roter Dinge. Sehr spannend. Alles sehr voll. Die Künstlerin ist gut aufgelegt, in hellrosarotem Ganzkörperanzug. Ihre Energie muntert mich wieder etwas auf.

Dann reise ich noch kurz nach Japan und besuche Hiroshi Sugimoto. Wir sprechen über seine Fotografie, wie er dazu kam, seine fotografische Sprache fand – also eigentlich ist es mehr ein Monolog seinerseits. Diese Möglichkeit bietet die Website des dänischen Museums Louisiana. Ein unglaublich schönes Museum für Moderne Kunst in der Nähe von Kopenhagen. Die Institution bietet auf der Website eine riesige Vielfalt an Videos über Künstler, Designerinnen und Architekten.

Es sind jeweils kurze Videos, die sich gut zwischendurch mal anschauen lassen. Doch auch bei diesem Museum tut es richtig weh, nicht dort sein zu können. Denn es liegt wunderschön am Ufer des Öresund. Ein Museum am Meer – der perfekte Ort. Denn was einem bewusst wird bei all diesen virtuellen Museumsbesuchen, ist eben, dass auch der Ort, die Architektur und die Atmosphäre, die dadurch entsteht, nicht unwichtig ist für den Kunstgenuss. Denn so richtig inspirierend wirkt der virtuelle Besuch eben leider nicht nach.

 

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Kultur im Internet – eine unvollendete Liste

Nationale wie internationale Institutionen bieten zurzeit einiges im Internet. Hier sind einige Tipps aufgeführt mit dem Schwerpunkt bildende Kunst. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Unter www.pasquart.ch/aktuell zeigt das Kunsthaus Pasquart kurze Videoführungen durch die Ausstellungen sowie die vergangenen Live-Lesungen von Anina Schärer, Sébastien Armure und Paul Castellano, Studierende des Schweizerischen Literaturinstituts. Dazu bietet die Website auch noch Vermittlungsmaterialien für Kinder zum Download.

Das NMB bietet auf der Seite www.nmbiel.ch/togo Anleitungen für Spiele zum Selbermachen. Ebenfalls geben kurze Filme Einblick in die Ausstellung «Le bilinguisme n’existe pas». Und wer immer schon Kuratorin oder Kurator werden wollte, bekommt jetzt die Chance dazu. Die beste virtuelle Ausstellung wird im kommenden Jahr realisiert.

«Opération decameron» heisst die Kooperation der Bieler Kunsträume Espace libre und Lokal-int. Sie veranstalten ein gemeinsames Webradio. Jeweils donnerstags von 20 bis 24 Uhr unter http://lumpenstation.art bietet das Radio eine Plattform für Kunstschaffende. Mit Afterparty für zuhause.

Das Bernische Historische
Museum lädt regelmässig zur Gaffeepouse unter www.bhm.ch/de/jetzt-aktuell/podcast-gaffeepouse. Kurze Podcastfolgen über Geschichte für Zwischendurch.

Was man schon immer über den Sparschäler wissen wollte, erfährt man im e-Guide des Museum für Gestaltung Zürich. Unter www.eguide.ch gibt es virtuelle Führungen durch die reichen Sammlungen des Hauses, übrigens auch für Kinder.

Die App des Zürcher Kunsthauses «Kunst im Ohr» bietet ebenfalls einen Audioguide, der sich gut von zuhause aus nutzen lässt.

Das Kunstmuseum Basel macht ebenfalls Führungen über Livestreaming auf Instagram. Ausserdem wird der Blog täglich mit Beiträgen ergänzt. Auch hier gibt es Vermittlungsmaterial für Kinder: www.kunstmuseumbasel.ch/de/programm/blog.

Dienstags bis freitags bietet das Berner Museum für Kommunikation eine kurze Liveführung auf Facebook an. Jeweils um 13.30 Uhr unter www.facebook.com/mfkbern.

Unter http://blog.kunstmuseumbern.ch kann man einen Blick hinter die Kulissen des Berner Kunstmuseums werfen. Zum Beispiel ist zu sehen, wie man eine Ausstellung von zuhause aus vorbereitet.

Nach China ins Museum für Insekten? Unter https://artsandculture.google.com und der App dazu gibt es internationale Museen und Sammlungen zu entdecken. Neben Kunst findet man auch Kulinarisches oder interessanten Inhalt für Kinder, zum Beispiel über Dinosaurier. Leider sind Schweizer Institutionen untervertreten. Am einfachsten ist die Benutzung über die App.

Für alle, die sich einen Überblick über die englischen Königshäuser verschaffen wollen, (die Stuarts, Tudors, Lancasters und wie sie alle heissen) ist die Sammlung der National Portrait Gallery in London Pflicht. Diese ist unter www.npg.org.uk zugänglich und reicht bis ins Mittelalter zurück.

Das Museum für Moderne Kunst Louisiana in Dänemark besitzt eine Vielzahl Kunsttalks im Videoformat: www.louisiana.dk/udstilling/louisiana-channel.

Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt hat unter www.schirn.de/magazin/podcasts einen interessanten Podcast zu aktuellen und vergangenen Ausstellungen.

Natürlich ist auch der Louvre in Paris online präsent. Mit #louvrechezvous ist das Museum auf seinem Instagram-Kanal aktiv. sro

Stichwörter: Kunst, Kultur, Online, Region

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