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Vernissage

Neben dem Witz lauert das Unbehagen

Mit den Galeristen verscherzte er sichs umgehend, lieber ging er mit seinen farbenfrohen Bildern hausieren. Nun gibt es eine Publikation über den unglaublich produktiven Aussenseiter Joe Merenda.

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Tobias Graden

Es wird heute Abend keine steife Vernissage geben. Vielmehr werden sich seine Freunde und Bekannten einfinden, und viele davon werden eine Anekdote aus seinem Leben zum Besten bringen, von Begegnungen berichten, und es wird Musik abgespielt werden von der Punkband, in der er einst Sänger gewesen war. Joe Merenda war ein Aussenseiter, er war kein einfacher Mensch, die Verweigerung als Haltung war ihm eigen, doch er streifte viele Leben, er war in Biel vielen bekannt. Er bewegte sich in den Szenen, aber nicht im System.

Und er hinterliess ein Werk, ein immenses Werk, sein Umfang wird erst jetzt langsam fassbar, da seine Freunde dazu aufrufen, Bilder von seinen Bildern einzusenden, auf dass sie in einem Werksverzeichnis im Internet versammelt sein sollen. Es zeichnet sich ab, dass es hunderte Bilder sein werden, vielleicht tausende. Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren verstarb Joe Merenda, er wurde 54 Jahre alt, posthum erscheint nun die erste Publikation überhaupt über den Künstler, der ohne das Zusammenwirken einer Gruppe Bielerinnen und Bieler wohl mehr und mehr aus dem kollektiven Bewusstsein entschwunden wäre.

 

Die Bilder verscherbelte er

Den Anstoss dazu gab das Künstlerpaar M. S. Bastian und Isabelle L. Dieses wurde letztes Jahr im Wettbewerb von «Biel Bienne» zu den «Bielern des Jahres» erkoren und gönnte sich mit dem Preisgeld von 5000 Franken nicht etwa Ferien, sondern entschied, damit dem drohenden Vergessen Merendas entgegenzuwirken. M. S. Bastian und Isabelle L. sind auch Sammler, sie besitzen gut 30 Werke von Merenda. «Wir sind Fans von ihm», bekennen die beiden unumwunden – wobei auch einzelne Bezüge im Werk unschwer auszumachen sind: Einmal baten M. S. Bastian und Isabelle L. Merenda, ihre Figur Pulp in einem Bild zu verewigen – dieser malte die Mutter Gottes mit dem Pulp-Kind auf dem Arm. Ein anderes Mal übersetzte er ein Motiv des Künstlerpaars in seine Bildsprache. «Wir waren Seelenverwandte», sagten M. S. Bastian und Isabelle L.

Merenda klingelte oft an ihrer Tür, wie er dies bei zahlreichen Bekannten tat. Unter dem Arm führte er seine neuesten Bilder mit und bot sie zum Verkauf an, spottbillig: 20, 30, höchstens 50 Franken kosteten sie. «Wir hielten stets eine 50er-Note parat, wenn wir wussten, dass er vorbeischauen würde», sagt Isabelle L. So funktionierte Joe Merenda: Am Abend sah er den Film «Clockwork Orange», in der Nacht fertigte er das davon inspirierte Bild an, anderntags hausierte er, um es zu verkaufen. Er hielt kein Lager, er machte kaum je Ausstellungen, er trennte sich leicht von seinen Werken. Mit den Einnahmen finanzierte er auch seine Drogensucht, erst die letzten beiden Jahre seines Lebens lebte er clean. Er war ein cleverer Geschäftsmann auf Low-Budget-Level, manchmal kam er zweimal die Woche vorbei, dann wieder zwei Monate lang nicht.

 

Seiner Sprache blieb er treu

«Er war emanzipiert, ein Solitär», sagt M. S. Bastian. 1963 in Biel geboren, besuchte er Anfang der 80er-Jahre den Vorkurs der Schule für Gestaltung, von dem er sich aber enttäuscht zeigte (lieber habe er nackte Mädchen malen wollen, verriet er 2015 seinem Freund Mohamed Hamdaoui). Das wars dann auch schon mit der Teilnahme am herkömmlichen Kunstsystem. Die ganz wenigen Male, in denen er sich zu einer Ausstellung überreden liess, verscherzte er es sich umgehend mit den Galeristen, weil ihm irgend etwas nicht passte und er sämtliche Bilder gleich wieder abhängen wollte.

Sein selbstgewähltes Abseitsstehen verhinderte zwar einen möglichen Durchbruch und kommerziellen Erfolg, erleichterte aber auch das Festhalten an seinem künstlerischen Standpunkt: Merenda hatte seine eigene Sprache gefunden, und von dieser wich er kaum mehr ab. Er zeichnete mit Neocolor, in seinen Bildern leuchten die Farben und sie wirken enorm plastisch. Hinter das genaue Geheimnis seiner Technik ist M. S. Bastian trotz mehrerer Versuche nicht gekommen.

 

Teletubbies, ab 18 Jahren

Merendas Motivwelt zeugt von überbordender Fantasie. In seinem an die Comics-Ästhetik und die Pop-Art erinnernden Stil zeichnete er unzählige Figuren und Begebenheiten. Wo eben noch der Witz wuchert, lauert um die Ecke schon psychedelisches Unbehagen. Den Schrecken von «La Famille Dutroux» verarbeitet er so bunt wie beklemmend, die Kontroverse um die angebliche Homosexualität eines Teletubbies wird ihm zur Vorlage für ein subversiv-lüsternes Bild. Aus seiner Affinität zu Drogen macht er in seinem Werk keinen Hehl, manche Motive hätten bestens als Plattencover der verruchtesten LSD-Bands der Hippie-Ära gepasst. Dann wieder feiert er farbenfroh das Leben und die Erotik so saftig, dass man sich hüten würde, das Bild zu berühren, aus Furcht, es könnte feucht sein.

Die in der Edition Clandestin verlegte Publikation ist nun kein Buch, sondern eine Art Schatzkästchen, das 40 Bilder in Postkartengrösse, einen kurzen Text von Mohamed Hamdaoui und ein Exemplar aus Joe Merendas riesiger Sammlung von Spielzeugfiguren enthält. Anouck Brandt, seine Lebenspartnerin, hat diese eigenhändig eingepackt und so auch davon Abschied genommen. Auf der Website www.joemerenda.com werden virtuell seine Bilder versammelt, im Lokal-Int dann real.

Es habe Zeiten gegebenen, da er Merenda überhaupt nicht gemocht habe, schreibt Hamdaoui im Begleittext, nun aber vermisse er ihn mehr und mehr. Etwas aber dürfte nun nicht mehr passieren: Dass Joe Merenda vergessen geht.

Info: Vernissage heute Abend 19 Uhr in der Buchhandlung Bostryche, Biel. Präsentation am 14. und 15. Dezember an der Buchmesse Edicion (vgl. BT von gestern). Ausstellung am 19. Dezember im Lokal-Int. Link: www.joemerenda.com

Stichwörter: Joe Merenda, Kunst, Bilder

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