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Literatur

Ostern ist Drama

Heute ist Karsamstag. Morgen beginnt die «österliche Freudenzeit» mit dem Auferstehungssonntag. Von Tod und Auferstehung, Schmerz und Erlösung leben das Osterdrama – und auch ein Teil der Literatur.

Bild: Paul Hey

Clara Gauthey

Es ist ein kurzes Frage-Antwort-Spiel, aus dem sich im Mittelalter unser heutiges Drama entwickelt haben soll. In der Osterzeit kam der sogenannte «Quem-quaeritis-Tropus» als ein kurzes, szenisches Spiel in Kirchen zur Aufführung und gilt als Keimzelle der wesentlich längeren Dialoge der Osterspiele, die später in weltliches Theater auf öffentlichen Plätzen übergingen.

Die drei Marien wollen Jesus Grab besuchen, da fragen sie die Engel: «Quem quaeritis in sepulchro, o Christicolae?», «Wen sucht ihr im Grab, ihr Anhängerinnen Christi?» Die Marien antworten: «Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten, ihr Himmelsboten.» Die Engel teilen ihnen mit, dass, wie vorausgesagt, das Grab leer sei und sie verkünden sollen, Jesus sei auferstanden. Aus der Dunkelheit des Grabes geht es hinein ins Licht des Ostermorgens.

 

Kein rauschhafter Frühling 
ohne öde Winterruhe

Denn kein Ostern ohne Karfreitag, keine Osterkerze ohne tiefe Dunkelheit und kein rauschhafter Frühling ohne bitterkalte, öde Winterruhe.

Diese Dynamik nimmt der österreichische Dichter Georg Trakl im Gedicht «Winterabend» auf, dem vielleicht christlichsten Gedicht des Expressionisten, das mehrfach in Liedern vertont wurde:

«Wenn der Schnee ans Fenster fällt,/lang die Abendglocke läutet,/vielen ist der Tisch bereitet/ und das Haus ist wohlbestellt./Mancher auf der Wanderschaft/kommt ans Tor auf dunklen Pfaden./Golden blüht der Baum der Gnaden/aus der Erde kühlem Saft. Wanderer tritt still herein;/Schmerz versteinerte die Schwelle./Da erglänzt in reiner Helle/auf dem Tische Brot und Wein.»

An diesem verschneiten Winterabend geschieht auf den ersten Blick nichts Dramatisches. Und doch ist es, genauer besehen, eine Art Ostergeschehen. Denn der stille Mensch, von «dunklen Pfaden» an ein Tor gekommen, lässt die vom Schmerz versteinerte Türschwelle hinter sich und tritt, den Gnadenbaum vor Augen, an den Tisch, um sich mit Brot und Wein zu stärken. Der Gnadenbaum wie auch «Brot und Wein» beschwören den Tod am Kreuz, der vorausgeht. Die Abendglocke der Kirche tut ein übriges, um christlichen Kontext zu evozieren. Und am Ende steht auch hier: Licht, «reine Helle».

 

Erlösung für den Schächer: Evangelisten sind uneins

Dem Kreuzigungsgeschehen widmet sich auch der Dramatiker Samuel Beckett einige Zeilen lang in «Warten auf Godot». Er lässt seine Hauptfiguren nämlich die unklare Quellenlage bei den vier Evangelisten diskutieren, was die beiden Schächer neben Jesus am Kreuz angeht. Es ist nur im Lukasevangelium davon die Rede, dass einer der beiden Verurteilten bei Jesus um Gnade gebeten haben soll, während der andere ihn verhöhnt habe, er solle doch sich selbst und sie erretten, wenn er der Retter sei. Jesus verspricht dem Reuigen: «Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.»

Diese Situation, die in den Apokryphen näher beschrieben wird, hat auch auf kunsthistorische Darstellungstraditionen Einfluss gehabt. Dort wird Jesus oft so gezeigt, dass er zum einen der beiden, Dismas, den Kopf neigt und dieser ihm wiederum seinen zuneigt, während der linksseitig von Jesus hängende, nicht Erlöste, von ihm wegschaut. Beckett führt die Diskussion nicht ohne ironische Verdrehung: Nicht von der Hölle habe Jesus den Verbrecher erlösen sollen, sondern vom Tode. Was im christlichen Sinne dasselbe ist, denn zum «ewigen Leben», das wir durch Jesus Blutopfer am Kreuz erlangen, zu dem gehört wohl eben kein Körper, der auf Erden wandelt.

Ausserdem habe ein anderer Evangelist gesagt, so Wladimir weiter, dass beide Verbrecher Jesu beschimpft hätten. Warum, findet Estragon, solle man einem mehr glauben als den drei übrigen? Schon ist man mitten in tiefster Bibelexegese. Und Beckett bricht die Diskussion ab.

Dann kommt er auf einen Baum und dann auf den Zeitpunkt der Verabredung mit Godot zu sprechen. An einem Samstag, vermutlich. Allerdings sei unklar, ob nicht auch Sonntag, Montag, Freitag sein könne. Oder Donnerstag.

 

Nun hinaus, aber Vorsicht
vor dem schwarzen Pudel

Alle diese Tage sind traditionell dem Ostergeschehen zugeordnet, von Gründonnerstag, dem Tag des letzten Abendmahls, bis Ostermontag, als die Emmaus-Jünger Jesus wiederbegegnen und ihn beim Brechen des Brotes erkennen. Reiner Zufall? Oder ein Hinweis darauf, dass auch Ostern eine Zeit des Wartens ist? Das ergäbe in Hinblick auf die vorangegangene Kreuzigungsdiskussion Sinn, wenn auch sonst nicht vieles Sinn ergeben mag bei Beckett.

Aber hinaus nun auf den Osterspaziergang mit Faust und Wagner, sich vom bunten Ostertreiben anstecken lassen und im Rausch des Frühlings den trüben Gedanken entsagen. «Im Tale grünet Hoffnungsglück.» Nur vorbei am schwarzen Pudel schnell, den lieber nicht nach Hause mitnehmen, kennen wir doch alle «des Pudels Kern», seinen teuflischen.

Stichwörter: Kultur, Ostern, Literatur

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