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Literatur

Pillen, Joints, Prosecco, Prost!

Die Berliner Drogen- und Technoszene prägt Flurin Jeckers zweiten Roman «Ultraviolett». Leider fällt es schwer, zwischen all den Pillen auch noch Literatur, geschweige denn eine sinnige Botschaft zu entdecken.

Die Clubszene als Paradis: Flurin Jecker schürft mit seinem Roman "Ultraviolett" nicht gerade tief. Bild: zvg/Janis Maus Marti

Clara Gauthey

Wenn Hänschen kifft, dann nimmt Hans Pillen in allen Farben des Regenbogens – und, wenn der Frust mal richtig gross ist, obendrauf noch ein bisschen Ketamin. Der Berner Autor Flurin Jecker, der 2016 das Schweizerische Literaturinstitut in Biel abgeschlossen hat, legt mit seinem zweiten Roman «Ultraviolett» einen drogenverherrlichenden Briefroman inklusive Nabelschau vor. Sein «Held», sinnigerweise auch so benannt, in der Koseform «Heldi», nimmt, anders als seine erste Romanfigur «Lanz» (2017, Nagel & Kimche), nicht mehr nur Joints zu sich, sondern auch fast alles andere, was Rausch verheisst. Held schreibt an drei Empfänger, der erste ist sein bester Freund, der «in Lappland den Weihnachtsmann sucht», Schrägstrich: erfolgreich Suizid begangen hat.

Es war heiss, die Frauen auch
Während er also den toten Freund vermisst, der ihn vor seinem Abgang aus der Welt noch flugs in die Welt der Rauschmittel und die Berliner Technoszene eingeführt hat, lernt «Heldi» Mira kennen, die wie er mit Schweizer Pass in Berlin gestrandet ist. Alsbald führt er die Buchhändlerin in die Drogen- und Partyszene ein und hat mal wieder Sex: «Es war heiss, und schön, und die Frauen auch, und die Typen werden irgendwie auch immer geiler (...) .» Es folgt viel dummes Geschwätz über halbe Pille, ganze Pille, Pillen mit diesem und jenem Tierchen drauf, lange, durchtanzte Nächte und, als lustiger Verweis auf mögliche Nebenwirkungen der Drogen, lapidar: «Wenn du Pech hast, musst du neu lesen lernen.» Das alles, locker getextet, ist stellenweise so phrasenhaft, dass man fast glaubt, man müsse in seinem Überdruss bald selbst Drogen nehmen, um zu verstehen, was daran eigentlich so super sein soll, dass man exzessiv darüber schreiben muss. «Im Club hatte ich mein Paradies gefunden», ist etwa die Erkenntnis des Helden, der zudem glaubt, er befriedige im Technodasein eine alte, nie ausgelebte Sehnsucht der Mutter. Oder verarbeite damit wahlweise, dass sein Vater nie für ihn da war. Hatte Flurin Jecker im Debüt «Lanz» noch einen 14-Jährigen als kiffende Heulsuse über dunkle Dorfwege geschickt, nimmt dieser, zumindest altersmässig erwachsene Held, Härteres. Beruflich macht er mal dies, mal das, Hauptsache keine Uni, kein Elfenbeinturm und am liebsten Party auf Drogen. Alles in allem, das gibt er zu, ein «Scheissleben», an dem er aber Gefallen gefunden hat. Es ist nicht ganz klar, was einen mehr ärgern soll: Die Verherrlichung der etwas dümmlichen Spass-ist-geil-Truppe oder der Versuch, das Ganze mit einem oberflächlichen Psychogramm des Helden zu durchbrechen und damit Tiefgang zu simulieren.

Immerhin, hört, hört, ist unser Held Sohn eines Germanistikprofessors, der allerdings in Sachen Vaterrolle als Vollniete beschrieben wird und sich abgemeldet hat – zugunsten eines Dauerwohnsitzes im Elfenbeinturm. Er nimmt seinen Sohn lieber an seine Vorlesungen mit, als mit ihm Fussball spielen zu gehen oder ihn ins Bett zu bringen. Daneben – oder deswegen?– wird das Kind früh von wiederkehrenden Panikanfällen mit Übelkeit begleitet, für die weder die Ärzte noch er eine wirklich gute Erklärung finden, weshalb diese Episoden schlicht «die Geister» genannt werden.

Erkenntnis auf Drogen
Während eines Drogentrips wird «Heldi» dann von einer krassen Erkenntnis, irgendeiner «Wahrheit» über seine Mutter überwältigt und geht sie daraufhin, nach vielen Jahren der Absenz, in denen er nebenbei die Beerdigung seines Vaters verpasst hat, in der Schweiz besuchen. Frohlockend erwartet man eine Art Wendepunkt, denn hier, endlich, könnte es interessant werden. Die Tatsache, dass Held auf seiner Reise erkennt, dass die Eltern, welche so lange in seinem Kopf lebten, wenig mit den realen Eltern zu tun haben, ist durchaus bedenkenswert.

Folgt aber darauf die Beseitigung frühkindlicher Traumata, eine lebensverändernde Erkenntnis gar? Nö. Unser Held wirft zur Feier des Tages einfach weiter bunte Pillen ein und naja, die Party geht weiter. Das Buch zum Glück nicht. Nur im Drogenrausch, lautet offenbar dessen Essenz, ist es möglich, «den schönsten Abend seines Lebens» zu haben. Und das, liebe Kinder, ist ziemlicher Quatsch.

Stichwörter: Literatur, Roman, Berlin, Party

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