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Ukraine

Putin-Freund darf nicht dirigieren

Das Lucerne Festival hat gehandelt: Die Konzerte mit Dirigent Valery Gergiev sind abgesagt. In die Kritik gerät auch das Opernhaus Zürich wegen der Konzerte mit Anna Netrebko.

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Gerd Roth und Stephan Maurer, dpa/sda/tg

Der Angriff Russlands auf die Ukraine wühlt auch die Kulturwelt auf. Auf Instagram äusserte sich am Wochenende die weltberühmte russische Opernsängerin Anna Netrebko. Sie sei gegen diesen Krieg, schrieb sie. «Ich bin eine Russin und liebe mein Land, aber ich habe viele Freunde in der Ukraine, und der Schmerz und das Leid brechen mir das Herz. Ich möchte, dass dieser Krieg aufhört und die Menschen in Frieden leben können.»

 

Glückwünsche von Putin

Netrebko (50) und ihr Ehemann, der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov (44), wandten sich zugleich dagegen, «Künstler oder irgendeine öffentliche Person zu zwingen, ihre politischen Ansichten öffentlich zu machen und ihr Vaterland zu beschimpfen». Dies sollte eine freie Entscheidung sein. «Ich bin keine politische Person», erklärte Netrebko. «Ich bin Künstlerin und mein Ziel ist es, über politische Unterschiede hinweg zu vereinen.» Im vergangenen Jahr hatte die Sopranistin, die auch in Wien lebt, mit einer grossen Gala im Kremlpalast in Moskau ihren 50. Geburtstag gefeiert. Dabei wurden auch Glückwünsche des russischen Präsidenten Wladimir Putin verlesen.

Netrebkos Rechtfertigung, nicht politisch zu sein, ist angesichts früherer Aktionen kritisch zu sehen. So hatte sie sich im Dezember 2014 mit einem Separatistenführer vor der Flagge des international nicht anerkannten Staates «Neurussland», einer Union der beiden sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine, ablichten lassen, was für einen Skandal sorgte.

In die Kritik ist in den letzten Tagen auch das Opernhaus Zürich geraten. Dort soll die Sängerin Ende März als Verdis Lady Macbeth auftreten.

 

Befürworter der Annexion

Unter Druck geraten ist auch der Dirigent Valery Gergiev. Er ist als Freund, Unterstützer und Protégé von Wladimir Putin bekannt, begrüsste 2014 die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und leitet neben diversen anderen internationalen Verpflichtungen als Chefdirigent die Münchner Philharmoniker. Das Lucerne Festival hat nun die Konsequenzen gezogen. Die für Sommer geplanten Konzerte mit Gergiev würden abgesagt, teilte das Festival gestern mit. Angesichts der völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen Russlands setze Lucerne Festival ein «klares Zeichen der Solidarität» für die Menschen in der Ukraine, erklärte Festivalintendant Michael Haefliger in der Mitteilung. Gergiev und das von ihm geleitete St. Petersburger Mariinsky Orchestra hätte im August im KKL Luzern zwei Programme mit russischen Komponisten spielen sollen. Mit von der Partie wäre auch der Pianist Daniil Trifonov gewesen. Das Lucerne Festival war auch politisch unter Druck geraten: Die SP reichte im Kantonsrat ein dringliches Postulat ein, in dem der Regierungsrat aufgefordert wird, daraufhin einzuwirken, dass Engagements von putintreuen Künstlerinnen und Künstler umgehend aufgelöst werden.

In München hat die Stadt Gergiev ein Ultimatum gestellt. Bis gestern sollte er sich zu Russlands Krieg gegen die Ukraine äussern. Andernfalls werde man seinen Vertrag beenden, so Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter am Freitag. Erwartet werde von ihm eine klare Positionierung gegen den «brutalen Angriffskrieg». München ist Partnerstadt von Kiew.

In New York hat Gergiev bereits ein Engagement verloren, in Mailand, wo er dieser Tage die Tschaikowsky-Oper «Pique Dame» leitet, hat Bürgermeister Giuseppe Sala von ihm ultimativ ein ähnliches Bekenntnis wie in München gefordert. Gestern kündigte die New Yorker Metropolitan Opera an, vorerst nicht mehr mit Künstlern oder Institutionen zusammenarbeiten zu wollen, die Russlands Präsidenten Wladimir Putin unterstützen. Nach dieser Vorgabe werde man sich solange richten, bis «die Invasion und das Töten zu Ende sind.»

 

«Innerlich zerrissen»

Persönlich betroffen reagierte die zu Sowjetzeiten in Kiew geborene US-Schauspielerin Milla Jovovich. «Mein Blut und meine Wurzeln kommen sowohl aus Russland als auch aus der Ukraine», schrieb die 46-Jährige in einem emotionalen Beitrag auf Instagram. «Ich bin innerlich zerrissen, wenn ich sehe, wie sich das Grauen entfaltet, wie das Land zerstört wird, Familien vertrieben werden und ihr ganzes Leben in verkohlten Bruchstücken um sie herum liegt.»

Oscar-Preisträger Sean Penn (61, «Mystic River») erklärte in einem Statement, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk seien «zu historischen Symbolen für Mut und Prinzipien» geworden. Den Angriff auf die Ukraine bezeichnete Penn als einen «brutalen Fehler», der Menschenleben gekostet und Herzen gebrochen habe. Penn arbeitet in Kiew an einer Dokumentation über den Ukraine-Krieg.

 

Autoren solidarisieren sich

Über 1000 Schriftsteller, darunter mehrere Nobelpreisträger, haben ebenfalls ihre Solidarität mit dem ukrainischen Volk in «seinen dunkelsten Stunden» bekundet. «Wir appellieren an die Schweiz, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu intervenieren», schrieb die Vereinigung der Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS) gestern, zur gleichen Zeit, als der Bundesrat bekannt gab, dass sich die Schweiz die den EU-Sanktionen gegen Russland anschliesst. Der Schriftstellerverband PEN International hat einen offenen Brief auch auf Ukrainisch und Russisch veröffentlicht. Darin ruft er «dringend zu einem Ende des Blutvergiessens auf.» Zu den tausend Unterzeichnern gehören neben den Literaturnobelpreisträgern Olga Tokarczuk (Polen), Swetlana Alexijewitsch (Belarus) und Orhan Pamuk (Türkei) zahlreiche weitere namhafte Autoren wie Salman Rushdie, Margaret Atwood, Paul Auster, Jonathan Franzen, Joyce Carol Oates oder Elif Shafak sowie die russische Schriftstellerin Ljudmilla Ulitzkaja.

Viele prominente russische Künstler haben sich mit eindeutigen Statements und demonstrativen Programmänderungen gegen den Angriff ihres Landes auf die Ukraine positioniert. Der Dirigent Semyon Bychkov liess in Prag die ukrainische Nationalhymne spielen. In Berlin hat der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, der Russe Kirill Petrenko, die Invasion Russlands in die Ukraine mit scharfen Worten verurteilt. «Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt», sagte der aus Omsk stammende Petrenko in einer Mitteilung. «Es ist auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet.»

Der russische Angriff auf die Ukraine hat auch direkte Auswirkungen auf die kulturellen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland. Die von Bund und Ländern getragene Stiftung Preussischer Kulturbesitz, mit zahlreichen Museen, Sammlungen und Instituten auch international eine der wichtigsten Kultureinrichtungen, zog erste Konsequenzen. «So gut unsere Zusammenarbeit auch war, wir können angesichts der Geschehnisse in der Ukraine nicht einfach zur Tagesordnung übergehen», sagte Stiftungspräsident Hermann Parzinger. «Wir haben im Augenblick unsere Projekte und Zukunftspläne erst einmal auf Eis gelegt. Die Gefahren für Kulturgüter in der Ukraine sind sehr hoch. Wir wissen, dass von den Angreifern darauf keine Rücksicht genommen wird». Die Unesco-Kommissionen von mehr als 25 Staaten brachten ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck und wiesen darauf hin, dass sich in der Ukraine sieben Unesco-Welterbestätten befänden.

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