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Literatur

Robert Walser hat Walliser Akzent

Der Robert-Walser-Spaziergang erfährt eine digitale Auffrischung: Mittels QR-Code gibt es einen direkten Link zu vorgelesenen Textstellen. Das ist nur der Anfang: Das Prinzip lässt sich auf viele weitere Inhalte in der Stadt übertragen.

Der Autor Antoine Joly liest beim Elfenaupark «Das Veilchen» aus Walsers «Kleine Dichtungen» – am 19. August live, an jedem andern Tag per Smartphone abhörbar.  copyright: tobias graden/bieler tagblatt

Tobias Graden

Robert Walser? Das ist doch dieser Schriftsteller, vorletztes Jahr hat Thomas Hirschhorn seine Sculpture auf dem Bahnhofplatz ihm gewidmet, und hinter dem Bahnhof gibt es einen Platz, der so heisst: Dies dürfte das Minimalwissen sein, das wohl viele Menschen mit dem Namen Robert Walser verbinden. Walser, 1878 bis 1956, ist weltweit wohl der berühmteste Sohn der Stadt, doch dürfte dies vielen Bielerinnen und Bielern gar nicht so bewusst sein.
«Dem wollen wir entgegenwirken», sagt Glenda Gonzalez Bassi (PSR), Kulturdirektorin der Stadt Biel, «wir haben nun die Gelegenheit, Walser wieder ins Licht zu rücken.»

Mit Smartphone zur Lesung
Die Stadt tut dies mit dem neuen Robert-Walser-Spaziergang – Walser ist schliesslich bekannt als leidenschaftlicher Spaziergänger. Wobei: neu? Ein literarischer Rundgang, der Robert Walser gewidmet ist und der die Stadt an mehreren Stationen anhand der Texte des Autors präsentiert, existiert bereits seit 2006. An neun Posten lässt sich in kurzen Texten etwas über Walser erfahren: seine Kindheit, die Schulzeit, seine Versuche als Schauspieler, sein Leben als Schriftsteller, die Rückkehr nach Biel, sein unerfülltes Liebesleben, seine Spaziergänge, die erlittenen Qualen und sein Abschied von der Schriftstellerei. Doch auch hier: Wer kennt diesen Spaziergang noch, wer nutzt ihn schon? Selbst im Neuen Museum Biel (NMB) ist der Rundgang vergessen gegangen, dabei hütet dieses den Nachlass von Karl Walser, dem Bruder des Schriftstellers, der viele seiner Werke illustrierte.
Zeit also für ein Update. Die heutigen Informationstechnologien ermöglichen dies auf ziemlich einfache Weise. Seit kurzem ist auf den Plaketten an jeder Station – das NMB ist auch wieder dabei – ein QR-Code angebracht. Wer diesen per Smartphone einliest – es reicht, dazu das Handy mit Fotofunktion draufzuhalten – wird direkt auf den entsprechenden Bereich im Internet weitergeleitet.

Am 19. August live
Hier gibt es nun Robert Walser nicht nur zu lesen, sondern auch zu hören. Vier Bieler Künstlerinnen und Künstler haben die erwähnten Textpassagen eingelesen, diese sind nun auf deutsch und französisch abhörbar. Mitgemacht haben die Schauspielerinnen Pascale Güdel und Isabelle Freymond sowie die Schriftsteller Antoine Joly und Rolf Hermann – obwohl er hochdeutsch vorträgt, verleiht letzterer Robert Walser einen hörbaren Walliser Akzent.
Am 19. August gibt es die Lesungen live: Die Stadt lädt die Bevölkerung ein, den erneuerten Robert-Walser-Spaziergang zu entdecken. An den Stationen werden Güdel und Co. die Texte persönlich lesen.

Digitalisierung im Stadtraum
Der Robert-Walser-Spaziergang ist aber nur der Anfang, eine Art Pilotversuch. Die Inhalte dazu befinden sich auf einer Plattform, mit der noch viel mehr möglich ist. Für den Walser-Rundgang zeichnet nämlich nicht allein die Kulturdirektion zusammen mit der Robert-Walser-Stiftung und dem NMB verantwortlich, sondern auch die städtische Abteilung für Informatik und Logistik, die der Finanzdirektion von Gemeinderätin Silvia Steidle (PRR) angegliedert ist.
Steidle sieht den Robert-Walser-Spaziergang als eigentlichen Startschuss zur Digitalisierung im Stadtraum. Die Stadt hat die dazugehörige Plattform mit «Ici c’est...» («Hier ist...») betitelt, in Anlehnung an das weitbekannte «Ici c’est Bienne». Im Prinzip handelt es sich dabei um die Nutzung der Datenbank, welche die Stadt ohnehin hat, mit einer für die Interessierten sehr einfach zu handhabenden Technologie: Für den Walser-Spaziergang muss keine App heruntergeladen oder irgendein Programm installiert werden, um zu den Inhalten zu gelangen. Und so sind plötzlich viele andere Rundgänge auch denkbar: Zu den zahlreichen Kunstwerken im öffentlichen Raum, zu architektonisch relevanten Gebäuden, zu den ältesten Bäumen der Stadt, zu relevanten Orten der Industrie oder der Frauengeschichte und vieles mehr. Dabei braucht es nicht einmal zwingend QR-Codes an den verschiedenen Orten, denkbar ist auch eine Verbindung über die Ortungsfunktion bei der Kartennutzung auf dem Smartphone, quasi ähnlich wie beim Spiel «Pokémon Go». Bereits seien zahlreiche Anfragen eingegangen für weitere Rundgänge, sagt Steidle, an Ideen mangle es auch der Stadt selber nicht. Die Plattform ist zudem so programmiert, dass sie auch in zehn Jahren und mehr noch nutzbar und kompatibel sein dürfte.
Da war Walsers Glück der Begegnung mit dem «Veilchen» (es handelte sich dabei um eine elegante, violett gekleidete Frau) deutlich flüchtiger: « Wie eine Phantasieerscheinung glitt die reizende Gestalt mehr und mehr in die Ferne. (...) Ich schaute ihr nach, bis sie im zunehmenden Abenddunkel verschwand und wie ein süsser, übersüsser Duft verduftete. Da träumte ich vor mich hin, es sei mir ein grosses frauenförmiges Veilchen begegnet mit braunen Augen, und das Veilchen sei nun verschwunden.»

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