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Schwein ist eine suizidäre Sau

Noemi Somalvico, geboren in Solothurn, debütiert mit «Ist hier das Jenseits, fragt Schwein». Darin beschwört sie eine surreale Welt recht menschlicher Tiere – und das Jenseits als ein Hotel am Meer.

Etwas irrer Erstling: Noemi Somalvico pendelt zwischen Komik und Ernst, Himmel und Erde. Bild: zvg/Tim Rod

Clara Gauthey

Irgendetwas ist komisch in diesem Buch – vielleicht sogar alles. Protagonist «Schwein» ist eigentlich eine Sau, oder zumindest erfahren wir, dass sich Schwein früher einmal auffällig geschminkt hat. Jetzt bläst es vor allem Trübsal. Gemeinsam mit Schwein treten auf die Bühne dieses Debütromans «Dachs», eine Art Emmett Brown, der Weltenwechsler-Maschinen erfindet, die einen direkt vor Gottes Haustür befördern. Und dann gibt es da noch «Reh», das wöchentlich seine Bahnen im öffentlichen Schwimmbad zieht und nach einem One-Night-Stand mit Hirsch etwas wie Liebeskummer, Schrägstrich Weltschmerz hat. Die Tatsache, dass es sich ständig um seine Mutter kümmern muss, bessert seine Laune auch nicht.

 

Gott wäre gern ein Baum, Schwein gerne tot

Als wäre die Besetzung nicht bizarr genug, komponiert die 27-jährige Autorin, die in Bern wohnt und in Biel bis 2016 am Literaturinstitut studiert hat, auch noch Gott höchstselbst ins kuriose Kleeblatt ihres Welten-Roadmovies hinein. Der Schöpfer präsentiert sich in Trainerhosen und als altersschwacher Melancholiker, der eigentlich lieber ein Baum wäre, als die Welt zu dirigieren. Mag der Depri-Gott auch nicht gerade als Vorbild taugen: Seine menschliche Fehlbarkeit rückt ihn jedenfalls näher an seine Geschöpfe.

Wenn Gott durch seine Fernbrille auf die Erde schaut, kann er neben diesem und jenem auch Schwein sehen. Es sitzt an einem Tisch in seiner Wohnung und – weint. Denn Schwein ist manchmal, wenn die Einsamkeit zu heftig auf ihm lastet, eine suizidäre Sau. Das hält allerdings nur so lange, bis seine Hufe beim Spazieren kalt werden und es Schwein zurück in die beheizte Wohnung zieht. Gestorben wird später.

 

Schwein in der Fotobox: 
Ein Desaster

In Noemi Somalvicos Debüt-Roman sind die Menschen als Tiere maskiert. Aber weshalb eigentlich? Ist es das Fabelhafte, das sie zum Stellvertreter eines austauschbaren Typus werden lässt? Ist es das surreale Element, das ihnen die Schweinemaskerade verleiht? Die grössere Traurigkeit und zugleich grössere Lächerlichkeit, die darin liegt? Die Vergeblichkeit von Schwein und seinen Mittieren ist jedenfalls rührend. Und in ihrer Ulkigkeit nicht weniger traurig.

Als Schwein einmal im Foto-Automaten ein Bild von sich machen will, um einen Reisepartner aufzutreiben, geht das gründlich schief: «Auf dem ersten Bild hat sein Lächeln etwas Boshaftes, auf dem zweiten ist sein Blick verloren, das dritte schneidet Schwein den Hals zu weit oben ab, und auf dem vierten erkennt Schwein sich beim besten Willen nicht wieder.» Solch Unvermögen mag lächerlich erscheinen, führt jedoch langfristig zu tiefer Einsamkeit eines jeden Schweins. Es ist sich selbst zu blöd geworden. «Saukomisch zwar, aber sie meint es tierisch ernst», soll Lukas Bärfuss das Buch kommentiert haben. Aber was genau meint die Autorin eigentlich so tierisch ernst?

 

Plädoyer der kleinen Schritte ins Leben hinein

Ist es die Tatsache, dass es absurd ist, anzunehmen, zwischen heute und morgen ändere sich etwas, nur, weil man sich schlafen legt? «Nur weil Reh die Augen schliesst, legt noch keiner das Leben zurück ins Ei.» Eben! Und darum ist dieses Buch wohl auch ein Plädoyer der kleinen Schritte, die uns hinein ins Leben, in die Gemeinschaft und heraus aus der Einsamkeit bringen. Das Plädoyer, den Anruf zu machen, den Brief zu schreiben oder, wie Schwein, das eigene Bewegungstalent in einem Tanzkurs zu entdecken und dabei einen feschen Wüstenfuchs kennenzulernen. Obwohl das im Jenseits geschieht, kann es doch ein Ego-Push sein, der im Diesseits nachwirkt. Immerhin hat auch Reh unten auf der Erde Schwein zum Abendessen eingeladen.

Dumm nur, dass das Lämpchen an Dachsens Weltenwechsler, das gerade noch grün blinkte, nun auf rot gewechselt hat. Ist wohl zu viel Wüstensand in den Filter gekommen. Und während Schwein beim Besuch des Jenseits zur Höchstform aufläuft, geht es Gott zunehmend schlechter und schlechter, denn er ist hier einfach nicht in seinem Element. Rettet Reh sie?

Info: Noemi Somalvico, «Ist hier das Jenseits, fragt Schwein», Voland & Quist, Berlin und Dresden, 2022, 143 Seiten, 26.90 Franken.

Am 15. Februar, 19 Uhr, tritt die Autorin im Gespräch mit der ehemaligen Pfarrerin Friederike von Kirchbach im Literaturhaus Berlin auf; das wird live und kostenlos im Videostream Li-Be übertragen.

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