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Biel

Schweizerin tanzt

Frauen sind in der Geschichtsschreibung bis heute noch immer viel weniger sichtbar als Männer. Dies bewegte drei Berner Kunstschaffende zum Projekt #HelvetiaTanzt. Auch in Biel gab es einen Flashmob.

Im Uhrzeigersinn - Leandra Ernst, Anna Roth, Zoe Eichenberger, Ana Grünig Benito und Margaux Wolf). Bild: Vera Urweider

Vera Urweider

Sechs junge Frauen kommen durchs Bieler Bäsedööri auf den Burgplatz. Sie legen ihre Taschen auf die Treppe vor dem Stadttheater, wuseln noch etwas unkoordiniert über den Platz. Fünf stellen sich schliesslich vor den Brunnen, wie versteinert, statuenmässig in kräftiger Pose, während die sechste mit dem Handy filmt. Und Justitia auf der Brunnensäule die Gerechtigkeitswaagschale hält.

Sonntag, 1. August. Zuvor regnete es leicht, das Wetter grau, kaum Passanten. Doch die Frauen ziehen durch, wofür sie angereist sind. Musik ertönt. Die Statuenfrauen fangen sich an zu bewegen, während Justitia regungslos bleibt. Viereinhalb Minuten dauern Song und Tanz, bevor sie ihre Taschen vom Boden aufheben und von dannen ziehen.

Die Bielerinnen rund um die tanzenden Zoe Eichenberger, Leandra Ernst, Ana Grünig Benito, Anna Roth, Margaux Wolf und der filmenden Lou Meyer ist eine von 33 Gruppen, die am vergangenen Sonntag irgendwann zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang irgendwo in irgendeiner Ecke der Schweiz zu dem ein und demselben Song die ein und dieselbe Choreografie getanzt haben. Sie alle wollten ein Zeichen setzen. Ein Zeichen für die Frau. Sie alle sind Teil des Politkunstprojektes #HelvetiaTanzt.

 

Datenlücke und Ungleichgewicht

Hinter «#HelvetiaTanzt – ein Frauen*Flashmob» stehen die drei Berner Kunstschaffenden Pascale Altenburger, Lucía Baumgartner und Daniela Ruocco. Sie wollen mit dieser Aktion die Frau ins Zentrum rücken. Die Frau feiern. Die Frau sichtbar machen. Eine schweizweite Musik- und Tanzperformance also mit politischer und sozialer Botschaft. Denn auch nach 50 Jahren Schweizer Frauenstimmrecht ist Justitias Waagschale noch im Ungleichgewicht.

«Die Ikone Helvetia wird hier heute zum Leben erweckt, um zu zeigen, was schon lange in ihr steckt!» So beginnt der Trap-Song «Gender...Data...Gap», ein Song, der eigens für #HelvetiaTanzt von den «fisting*sisters» – das Theater- und Performancelabel der Performerinnen Ruocco und Johanna Dähler – komponiert und aufgenommen wurde. Gender Data Gap – zu deutsch geschlechtliche Datenlücke – ist ein Aufschrei gegen das Missverhältnis von Mann und Frau in Wissenschaft, Medizin oder Geschichte. «Es gibt den Standartmensch ‹Mann›», so Baumgartner. Der Autogurt sei auf den männlichen Körper angepasst. Man kenne die Symptome eines männlichen Herzinfarktes und was da zu tun sei, der einer Frau sei jedoch wenig bekannt. Auch mit der Wahl der Musikstile Trap und Rap wollten die Frauen ein Zeichen setzen. Denn in der HipHop- und Rapszene sind Frauen nicht noch immer total untervertreten, sondern oft auch immer noch (Lust-)Objekt, anstatt handelndes Subjekt.

 

Power und Sinnlichkeit

Für die Choreografie zeichnen sich die beiden Tänzerinnen und Choreografinnen Altenburger und Baumgartner verantwortlich. «Die Choreografie sollte einfach lernbar sein», sagt Baumgartner. Sie stellten ein Video deren online, damit die beim Projekt teilnehmenden Gruppen sie eigenständig lernen konnten. Alles Weitere war ohne Vorgabe.

Wann genau und wo die Tänzerinnen ihren Flashmob starteten, blieb ihnen überlassen. Doch filmen sollten sie es. Denn eine weitere Bernerin ist mit von der Partie: die Filmemacherin Verena Endtner. Sie begleitete sowohl die beiden Performerinnen beim Einspielen des Songs, am Sonntag einige Tanzgruppen in Bern und Thun und schnitt weitere ihr zugeschickte Tanzsequenzen aus der ganzen Schweiz mit rein.

Heute Mittag wird nun in den Sozialen Medien unter dem Hashtag #HelvetiaTanzt Endtners Film online gehen, um diesen viereinhalbminütigen Flash der aktivistisch-künstlerischen Aktion langfristig sichtbar zu machen.

«Uns war es wichtig, dass die Choreografie sowohl Powerposen beinhaltete, wie auch Sinnlichkeit. Eben ganz Frau», so Altenburger. «Sie beinhaltet Elemente aus dem Zeitgenössischen Tanz, wie auch aus dem HipHop», ergänzt Baumgartner. Besonders hervorzuheben seien die die ikonenhaften Hebefiguren im Schlussteil. «Jede Frau kann von allen anderen Frauen gestützt werden», sagt Altenburger weiter. «Wie im echten Leben. Sei es in der Karriere oder freundschaftlich.» Das in den verschiedenen Flashmobs zu sehen, habe sie fast zu Tränen gerührt. «Das kam so stark rüber!»

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